Elf Monate nach Polizei-Unfall in Dorsten Viele Ungereimtheiten, Staatsanwaltschaft irritiert

Zehn Monate nach Polizei-Unfall: Ermittlungen stocken, Staatsanwaltschaft irritiert
Lesezeit

Es war eine lange Nacht für die Beamten der 5. Bereitschaftspolizeihundertschaft in Recklinghausen. Der Sondereinsatz, der im Zusammenhang mit früheren Geldautomaten-Sprengungen im Kreis Borken stand, wurde am frühen Morgen ergebnislos beendet. Die Recklinghäuser Polizisten machten sich am 6. Juni 2023 in der Dunkelheit auf den Rückweg.

Gegen 5 Uhr in der Frühe kam ihr Streifenwagen im Dorstener Ortsteil Lembeck von der Fahrbahn ab. „Aus ungeklärter Ursache“, wie es seitdem heißt, prallte der Mercedes Sprinter auf der Lippramsdorfer Straße frontal gegen einen Baum. Die drei Insassen wurden teilweise lebensgefährlich verletzt.

Ein Fall für das Verkehrskommissariat des Polizeipräsidiums Dortmund. Das ist so üblich, denn wenn Ermittlungen gegen Polizeibeamte geführt werden, übernimmt diese aus Gründen der Neutralität ein anderes Präsidium. Und zwar in der Regel immer dasselbe.

Dortmund und Recklinghausen sind sozusagen ein „Ermittlungspaar“. Sind hüben Polizeibeamte involviert, beginnt drüben die Arbeit. Die Recklinghäuser Kripo muss derzeit beispielsweise herausfinden, warum ein Polizist an der Dortmunder Reinoldikirche auf einen Mann geschossen und ihn getötet hat.

Staatsanwaltschaft verschickt Ermittlungsverfügung

Das ist erst wenige Tage her, der Unfall in Lembeck liegt hingegen mehr als zehn Monate zurück. Ohne dass es mittlerweile ein Ergebnis zur Unfallursache gäbe. Immer deutlicher wird, dass es erhebliche Irritationen zwischen den verschiedenen Behörden gibt. Vor wenigen Tagen hat die Staatsanwaltschaft Essen wegen der Recherchen dieser Zeitung eine sogenannte „Ermittlungsverfügung“ nach Dortmund geschickt.

Die Staatsanwaltschaft fordert nun beispielsweise ein, dass auch der dritte Beamte, der auf der Rückbank des Mercedes Sprinter saß - oder wahrscheinlich lag -, vernommen wird. Das wollte die Polizei Dortmund laut eigener Aussage erst dann machen, wenn „ein Gutachten vorliegt, das erklärt, warum der Gurt auf der Rückbank beim Aufprall gerissen ist“. Was genau der Beamte über die Beschaffenheit des Gurtes sagen soll - unklar.

Beschädigter Streifenwagen nach Unfall
Der Streifenwagen wurde bei dem Unfall erheblich deformiert. Die Ursache des Unfalls vom 6. Juni 2023 ist weiterhin ungeklärt. © Guido Bludau (Archiv)

Zur Aufklärung des Unfallhergangs kann der Beamte wohl nichts beitragen. Er schlief, wurde nach dem Unfall durch den schwer deformierten Wagen geschleudert und so schwer verletzt, dass er zwar vernehmungs-, aber immer noch nicht dienstfähig sein soll.

Der Fahrer, gegen den wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Körperverletzung ermittelt wird, „hat sich dahingehend eingelassen, an den Unfallhergang keine Erinnerung zu haben. Seine letzte tatsächliche Erinnerung habe er an den Antritt der Fahrt“, sagt Leif Seeger, Sprecher der Staatsanwaltschaft Essen.

Der Beifahrer habe ausgesagt, zu dem Unfallgeschehen keine Angaben machen zu können, da er geschlafen habe und erst durch den Aufprall des Fahrzeugs aufgewacht sei. „Dann hat er das Fahrzeug verlassen und dem weiteren verletzten Kollegen Erste Hilfe geleistet.“

Drei Fahrzeuge auf dem Rückweg

Die drei Polizisten waren nicht die einzigen, die zum Sondereinsatz in den Kreis Borken abkommandiert worden waren. Zwei weitere Streifenwagen waren an dem Morgen des 6. Juni 2023 ebenfalls auf dem Rückweg nach Recklinghausen, deren Insassen haben aber von dem Unfall wohl nichts mitbekommen.

Die „Kolonne“ war streng genommen nämlich keine. Der vordere Wagen, bestätigt eine Sprecherin der Kreispolizeibehörde Recklinghausen, war zu weit weg und drehte irgendwann um, der hintere traf am Ort des Geschehens ein, als der Unfall schon passiert war. Niemand hat etwas gesehen, heißt es.

Streifenwagen vor Baum, Feuerwehr und Rettungswagen auf der Straße
Die Lippramsdorfer Straße war nach dem Unfall stundenlang gesperrt. Insgesamt waren drei Streifenwagen der Recklinghäuser Polizei nach einem Sondereinsatz im Kreis Borken auf dem Rückweg gewesen. © Guido Bludau (Archiv)

Wichtige Erkenntnisse erhoffte sich ein Sprecher der Polizei Dortmund am Tag nach dem Unfall von einer „Blackbox“, die es in dem deformierten Streifenwagen gebe. Die Auswertung der Daten werde „ein paar Tage“ dauern, hieß es. Ergebnisse wurden jedoch trotz mehrfacher Nachfrage nie mitgeteilt. Inzwischen ist fraglich, ob es eine solche „Blackbox“ überhaupt gibt. Bei der Pressestelle der Polizei Recklinghausen ist nicht bekannt, dass solche Geräte in den Recklinghäuser Streifenwagen verbaut sind.

Die Staatsanwaltschaft Essen wundert sich auch und möchte nun geklärt wissen, „ob in dem verunfallten Polizeifahrzeug eine Blackbox oder ähnliche Instrumente zur Aufzeichnung der Fahrt verbaut waren“.

Anfang Oktober 2023, vier Monate nach dem Unfall, bestätigte die Polizei Dortmund, dass „der Gutachter seine Arbeit noch nicht beendet hat. Dies nimmt nicht selten eine längere Zeit in Anspruch, als man sich das als Laie vorstellen würde.“

Weitere sechs Wochen später hieß es, dass die Arbeit des Gutachters „unter anderem auch dazu geführt hat, dass der Unfall nachgestellt werden muss - was die Ermittlungen, in die die Staatsanwaltschaft mit einbezogen ist, ebenfalls in die Länge zieht“.

Staatsanwaltschaft weiß nichts von Rekonstruktion

Die zuständige Dezernentin der Staatsanwaltschaft Essen, die nach Meinung der Polizei Dortmund auskunftsberechtigt ist, weiß laut Sprecher Leif Seeger allerdings überhaupt nichts von einer „Rekonstruktion des Unfallgeschehens“. Geschweige denn, ob es mittlerweile ein Ergebnis gibt. Auch das ist Teil der Ermittlungsverfügung, die vor wenigen Tagen von Essen nach Dortmund geschickt wurde.

„Aus meiner allgemeinen Erfahrung in Ermittlungsverfahren halte ich es für realistisch, dass in etwa sechs Wochen die Ermittlungsakte mit den Ergebnissen zu unseren Ermittlungsaufträgen hier wieder eingeht“, sagt Seeger.

Dann ist der Unfall in Lembeck fast ein Jahr her.

Der Artikel erschien erstmals am 12. April 2024.