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Kein Präsenzgottesdienst - Pfarrer wehrt sich. „Wir sind nicht bequem!“
Coronavirus
Ein Pfarrer aus Dorsten schildert ganz persönlich, was Corona mit ihm und der Arbeit in seiner Gemeinde macht. Und er wehrt sich im Interview vehement gegen einen Vorwurf.
Corona ist sein „unguter Wegbegleiter“, seit er im letzten Jahr die Pfarrstelle von St. Agatha in Dorsten angetreten hat. Die Pandemie bestimmt den Alltag von Dr. Stephan Rüdiger und seiner Gemeinde. Jetzt ist klar, dass es dort bis mindestens Ende Januar keine Gottesdienste mit Besuchern geben wird. Das fällt auch dem Pfarrer nicht leicht, aber ist er deswegen bequem?
Herr Rüdiger, manche Pfarreien in Dorsten feiern Gottesdienste mit Besuchern, St. Agatha nicht. Warum?
Unser Seelsorgeteam hat sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, wie bisher auf Präsenzgottesdienste zu verzichten. Die Zahlen sind nach wie vor besorgniserregend. Uns ist diese Entscheidung nicht leichtgefallen; wir sehen aber keine andere Möglichkeit, auf die unmittelbare Gefahr, die vom Coronavirus ausgeht, zu reagieren.
Wie geht es Ihnen persönlich damit?
Ganz ehrlich: Nicht nur der Lockdown, sondern natürlich auch die damit verbundenen, massiven Einschränkungen des kirchlichen Leben kann ich als Priester nur schwer ertragen. Dass es jetzt nochmal einige Wochen so weitergeht, deprimiert mich sehr. Zugleich bin ich dankbar für das Engagement unserer Ehrenamtlichen, die das Online-Angebot sicherstellen und so dazu beitragen, dass das kirchliche Leben überhaupt noch funktionstüchtig ist.
Es gibt die Annahme, dass die hauptamtlichen Seelsorger nun mehr Freizeit haben. Stimmt das?
Ich kenne den Vorwurf „Jetzt haben die ja nichts mehr zu tun“. Das ist natürlich Unsinn! Der Lockdown hat uns in der Pfarrgemeinde dahin gebracht, kreativ und vielfältig auf die Möglichkeiten zu blicken, die uns jetzt durch die Einschränkungen gegeben sind. Allein das Online-Angebot war und ist für die Ehren- und Hauptamtlichen, die involviert sind, kräftezehrend und anstrengend und bedarf mehr Vorbereitung als ein „einfacher Präsenzgottesdienst“.
Was gibt es sonst zu tun?
Die seelsorgerischen, administrativen und organisatorischen Arbeitsprozesse in der Pfarrei gehen ununterbrochen weiter, bis hin zu den Fragen, wie wir in diesem Jahr mit der Erstkommunion und der Firmung umgehen können. Darüber hinaus steht uns turnusmäßig im Juni eine bischöfliche Visitation ins Haus, die unter der gegebenen Situation vorbereitet werden muss. Von „Bequemlichkeit“ und „Freizeit“ kann da nicht die Rede sein.
Was hilft in dieser Situation? Beten?
Auch das. Ich bete täglich darum, dass sich die Situation bald normalisieren möge, und dass wir von diesem „unguten Weggefährten“, der mittlerweile für so viele lebensbedrohlich geworden ist, loskommen. Und ich zehre schon jetzt von der Vorstellung, dass eines Tages ein innigeres Verhältnis zu all denjenigen möglich sein wird, die sich mit der Pfarrei St. Agatha verbunden wissen.
Veränderungen gab es immer, doch nie waren sie so gravierend. Und nie so spannend. Die Digitalisierung ist für mich auch eine Chance. Meine journalistischen Grundsätze gelten weiterhin, mein Bauchgefühl bleibt wichtig, aber ich weiß nun, ob es mich nicht trügt. Das sagen mir Datenanalysten. Ich berichte also über das, was Menschen wirklich bewegt.
