Den Weg zu den Bahnhöfen fahren viele Pendler mit dem Rad. Damit der Drahtesel dort auch sicher steht, gibt es Fahrradstationen – wir haben die Dorstener Einrichtung am Busbahnhof besucht.
Werktags muss Christian Jaschke früh raus. Er holt sein Fahrrad aus der Garage und macht sich um kurz vor 5 Uhr morgens auf den Weg - von seinem Wohnort Dorsten-Holsterhausen radelt er zum Dorstener Bahnhof. Der Holsterhausener besitzt einen Schlüssel für den Außenzugang der verschließbaren und 60 Plätze fassenden Radbox, die allein Stellplatzinhabern wie ihm rund um die Uhr zugänglich ist. „Hier ist mein Rad gesichert, hier ist alles gut beleuchtet, ein guter Service“, sagt der Ingenieur, der beim Fraunhofer Institut in Duisburg arbeitet.
Mit dem Auto oft im Stau gestanden
Jeden Morgen um 5.14 Uhr nimmt Christian Raschke den Zug nach Oberhausen, steigt dort Richtung Duisburg um, am dortigen Hauptbahnhof nimmt er dann den Bus zu seiner Arbeitsstätte – und das ganze nachmittags wieder zurück. Seit ein paar Monaten nutzt er die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Umstiege nimmt er gerne in Kauf. „Mit dem Auto habe ich früher jeden Tag im Stau gestanden, das hat dann genauso lange gedauert.“ Da kam ihm das Angebot der Radstation wie gerufen. „Kürzlich hat meine Frau mich von der Arbeit abgeholt, das Rad habe ich dann übers Wochenende in der Radbox stehen lassen können“, sagt er. „Und ich habe mir keine Gedanken machen müssen, dass mit dem Rad etwas passieren könnte.“
72 Radstationen gibt es laut Verkehrsministerium in NRW, Stand Dezember 2017. Mehr als 60 tragen den vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) NRW lizenzierten Markennamen „Radstation“. Die Dorstener Radstation bietet zwar für ihre Kunden alle genannten Annehmlichkeiten und Dienstleistungen wie Reinigung, Pannenhilfe, Wartung und Fahrradausbesserungen, das ADFC-Siegel trägt sie allerdings nicht. „Das liegt daran, dass es hier in Dorsten keinen ADFC-Ortsverband gibt“, sagt Günter Hölsken, der die hiesige Radstation seit sieben Jahren leitet. Auf der Homepage steht zwar noch, dass regelmäßig in Zusammenarbeit mit dem ADFC Fahrrad-Codierungen angeboten werden. „Aber das ist nicht mehr aktuell, das müssen wir von der Seite nehmen.“

Bahnpendler Christian Raschke hat für seinen Drahtesel einen Stellplatz in der 60 Fahrräder fassenden abschließbaren Radbox der Radstation gemietet. © Klein
280 überdachte Stellplätze
Seit 2003 besteht die Radstation am ZOB (Europaplatz), in direkter Nähe zum Bahnhofsgebäude. Sie wird im Auftrag des Jobcenters der Stadt Dorsten von der „rebeq GmbH“ (Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft im Kreis Recklinghausen) betrieben, die auch die Betriebskosten (Personal, Energie etc.) trägt. Rund 280 überdachte Stellplätze hält sie vor. Rund 60 davon sind der Radstation für Leih- und Reparaturräder vorbehalten. „220 Plätze vermieten wir an unsere Kunden, inklusive der 60 Rund-um-die-Uhr-Plätze in der Radbox“, so Günther Hölsken.
„Derzeit haben wir eine Auslastung von zwei Dritteln, darunter sind allein 100 Dauerkarten von Kunden, die Monats- oder Jahrestickets gekauft haben“, sagt er. Darunter seien nicht nur Berufspendler, sondern auch einige Schüler, die von außerhalb kommen und in Dorsten zur Schule gehen oder in der Lippestadt wohnen und in Nachbarstädten zum Unterricht müssen.
Räumlichkeiten werden per Video überwacht
Die gesamten gut 800 Quadratmeter großen Räumlichkeiten werden per Videokameras überwacht. „Und am Eingang achten zwei Mitarbeiter darauf, dass kein Unbefugter den Radabstellbereich betritt.“ Derzeit ist die Radstation nur vom Busbahnhof aus zugänglich. „Hin und wieder kommt mal jemand, der glaubt, hier Fahrkarten kaufen zu können oder weil er die Toilette benutzen möchte“, so Hölsken. „Doch nach dem geplanten Bahnhofsumbau werden wir uns auf neue Gegebenheiten einstellen müssen.“ Denn das Gebäude soll so umgebaut werden, dass Kunden es künftig auch von der Bahnhofsseite betreten können. „Dann wird es hier eine Menge Durchgangsverkehr geben“, glaubt Hölsken.
Geöffnet ist die Radstation montags bis freitags von 5.45 bis 20.15 Uhr, an Samstagen und Sonntagen ist sie geschlossen. Wer allerdings die 24-Stunden-Radbox mietet, bekommt einen Schlüssel und kommt immer an seinen Drahtesel. Die Kosten für das Abstellen der Räder sind gestaffelt: 70 Cent/pro Tag, sieben Euro/Monat oder 70 Euro/im Jahr. „Bei den Monatstickets ist eine Reinigung enthalten, bei den Jahrestickets sogar eine Inspektion der Räder.“

Die Dorstener Radstation befindet sich am Dorstener Busbahnhof und damit in der Nachbarschaft des Dorstener Bahnhofs. © Klein
Idee stammt aus Holland
Die Idee der Radstationen wurde aus den Niederlanden importiert – dort heißt der Service „Fietsenstallingen“. Fahrradstationen werden vom Land gefördert: Die Kommune stellt einen Antrag zur Förderung an das Land, pro Fahrradstellplatz bekommt sie 70 Prozent der Baukosten – finanzschwache Kommunen erhalten sogar 75 Prozent. Die Kommune verpachtet die Station dann an den Betreiber der Radstation – also an eine gemeinnützige Organisation oder an ein privates Unternehmen. In den gemeinnützigen Dorstener Fahrradstation arbeiten zum Beispiel Langzeitarbeitslose.
Zwiespältige Sache
Das Verkehrsministerium NRW empfiehlt Kommunen, die örtlichen Fahrradhändler und -werkstätten zu befragen, bevor eine Station eingerichtet wird. So soll Konkurrenzkampf vermieden werden. Für Klaus Schmitz, größter Fahrradhändler aus Dorsten und Inhaber von „Zweiradexperte Schmitz“ an der Barbarstraße, ist die Sache „zwiespältig“: „Ich bin kein großer Fan der Radstation, auch wenn sie uns nicht viel an Arbeit wegnimmt“, sagt er. „Dass da Räder abgestellt werden können, ist gut und schön, aber dass sie dort kleinere Reparaturen anbieten dürfen, ohne dass ein Werkstattmeister wie bei uns drüber schaut, ist nicht richtig. Da wird mit zweierlei Maß gemessen.“
Selbstwertgefühl wird aufgebaut
An der Fahrradstation in Dorsten arbeiten 17 Beschäftigte in Qualifizierungsmaßnahmen, die oft auch irreführend als „Ein-Euro-Jobber“ betitelt werden. Auch im Bereich Integrationsschulungen ist die Radstation tätig. „Aber zumeist sind es Menschen, die schon länger arbeitslos sind, die vom Jobcenter Dorsten zu uns geschickt wurden“, so Günter Hölsken. „Da geht es nicht so sehr darum, dass sie perfekte Schrauber werden, sondern lernen, wieder Struktur in ihren Alltag zu bekommen oder Selbstwertgefühl aufzubauen.“
Einer von ihnen ist der Dorstener Ron Schnitzler. Der gelernte Maler und Lackierer ist seit zwei Jahren arbeitslos. Unter Anleitung von Piotr „Peter“ Mollik wechselt er Reifen von Rädern, stellt Seilzüge, putzt die Drahtesel der Kunden. „Ich könnte mir vorstellen, so etwas auch in einem richtigen Job zu machen“, sagt der 34-Jährige.

Unter Anleitung von Piotr „Peter“ Mollik (rechts) wechselt der Langzeitarbeitslose Ron Schnitzelr die Reifen von Rädern, stellt Seilzüge, putzt die Drahtesel der Kunden. © Klein
E-Biker werden nicht repariert
E-Mobilität ist bei Fahrradstationen bisher meist nur ein nebensächliches Thema. An der Dorstener Radstation werden zwar E-Bikes abgestellt. „Aber Reparatur-Service bieten wir nicht, da verweisen wir an den Fachhandel“, so Günter Hölsken. Auch eine offizielle Aufladestation gibt es nicht. Er hofft, dass bei der geplanten Umgestaltung des Gebäudes ein solches Angebot geschaffen werde. „Wir können den Leuten bis dahin aber anbieten, dass wir ihre E-Bikes an die Steckdose anschließen, dann können sie zwei Stunden in die Stadt gehen, während wir das Zweirad aufladen.“
Fahrradboxen an kleineren Haltestellen
Auch an kleineren Bahn-Haltestellen in Dorsten gibt es verschließbare Abstellmöglichkeiten in Radboxen. Im Zuge der Umgestaltung des Bahnhofsumfelds Hervest hat die Stadt dort acht Radboxen aufgestellt. Dazu gibt es Fahrradboxen in Rhade und Wulfen. „In Rhade waren zuerst 24 Boxen aufgebaut worden, die aber nicht ausgelastet waren. In Abstimmung mit dem Fördergeber wurden sechs nach Wulfen verlagert“, so Ludger Böhne (Pressestelle der Stadt): „Diese Boxen in den Ortsteilen werden von der Radstation verwaltet und unterhalten.“ Für den weiteren Ausbau steht der Bahnhof Deuten im Blick, der im Zuge der Digitalisierung der Strecke umgebaut werden kann. Die Stadt wolle prüfen, ob es Fördermöglichkeiten gibt, auch hier Radboxen aufzustellen.
Geboren 1961 in Dorsten. Hier auch aufgewachsen und zur Schule gegangen. Nach erfolgreich abgebrochenem Studium in Münster und Marburg und lang-jährigem Aufenthalt in der Wahlheimat Bochum nach Dorsten zurückgekehrt. Jazz-Fan mit großem Interesse an kulturellen Themen und an der Stadtentwicklung Dorstens.
