Fünfmal am Tag öffnen sich hoch droben die Türen, erschallen herunter die Klänge bekannter musikalischer Weisen, drehen sich dazu bunte Figuren für wenige Minuten, bevor sich die hölzernen Läden wieder schließen. Doch meist nur ganz wenige Passanten achten auf das Schauspiel, das ihnen diese Dorstener Sehens- und Hörenswürdigkeit mitten in ihrer Stadt bietet - das war Anfang Dezember 1983 noch ganz anders.
Denn damals, zum traditionellen Nikolausmarkt in der Fußgängerzone, war der Marktplatz voll von Menschen. Sie waren gekommen, um unter lautem Beifall der Einweihung einer neuen Attraktion beizuwohnen: An diesem Tag vor 40 Jahren wurde erstmalig das städtische Glockenspiel in einem privaten Wohn- und Geschäftshaus am Markt 10 in Betrieb genommen.
Pünktlich um 11.45 Uhr öffneten sich die Fenster und die Mozart-Melodie zum Gedicht „Üb immer Treu und Redlichkeit“ sowie das Steiger-Lied erklangen erstmalig - und sind noch immer die Dauerbrenner-Hits im immer wieder wechselnden Liedgut-Reigen.
Martin Wieschus kann sich noch gut an den Tag erinnern. „Das war auch für mich eine ganz besondere Sache“, sagt der 59-jährige Schermbecker. Der heutige Leiter des Bereichs Kirchentechnik der Dorstener Firma „Diegner & Schade“, die das Glockenspiel im Auftrag der Stadt fertigte, war nämlich damals bei dem Unternehmen in der Lehre und bei der Klang-Premiere mit neugierigen Ohren dabei.

Mit der Immobilie, die seinerzeit im Erdgeschoss noch die beiden Textilgeschäfte „P & P Moden“ innehatte, später dann auch die „Goldschmiede am Markt“ und aktuell „Nanu Nana“ beherbergt, war 1982 die letzte kriegsbedingte Baulücke am Marktplatz geschlossen worden. Anlass für den damaligen Stadtdirektor Dr. Zahn, den Bürgern der Stadt mit einem Glockenspiel ein Geschenk zu machen. Thematisch sollte es die über die Jahrhunderte in der Stadt und ihren früher einzelnen Landgemeinden der Herrlichkeit Lembeck ausgeübten Berufe repräsentieren.
Acht Figuren
Der überregional bekannte Bildhauer Professor Bruno Stegmann erschuf für die beiden sich drehenden Walzen jeweils vier farbig bemalte Figuren aus Eichenholz, jede einzelne fast 1,50 Meter hoch: die Ordensschwester (Ursulinen-Kloster), Bauer und Bäuerin, den Bierbrauer, den Richter der Gerichtsbarkeit Lembeck, den Schiffbauer, den Hanse-Kaufmann und den Bergmann.
Martin Köcher, Leiter des Dorstener Stadtarchivs, hat in seinem Fundus alte Berichte über die Hintergründe des Glockenspiels gefunden - mit einigen Anekdoten. So fand er heraus, dass die damalige Baulücke am Marktplatz „Zahn-Lücke“ genannt wurde, weil der damalige Stadtdirektor sie unbedingt verschwinden lassen wollte. Auch einen „Glockenkrieg“ gab es damals, weil die Kirchengemeinde in einer Auseinandersetzung darauf drängte, dass sich die heiteren Glockenspiel-Töne nicht mit dem ernsten Geläut der Kirchenglocken vermischten.

Seitdem sind die Klänge vom Markt 10 immer um 10 Uhr, 11.45 Uhr, 17 Uhr, 18 Uhr und 20 Uhr zu vernehmen. Die Lieder basieren größtenteils auf einem Leseraufruf, den die damalige Lokalredaktion der Ruhr-Nachrichten im Sommer 1983 veröffentlicht hatte. Von „Zeigt her Eure Füße“, über „Freude schöner Götterfunken“ bis hin zu Schlagern („Zwei kleine Italiener“) reichten die Einsendungen, aus denen eine Jury auszuwählen hatte.
41 Musikstücke
Heute sind es 41 unterschiedliche Musikstücke, die per Computer-Programm gesteuert werden. „Sie wechseln passend je nach Tageszeit- oder Jahreszeit“, sagt Martin Wieschus und nennt als Beispiel „Guten Abend, heute Nacht“ zum Ende des Tages oder „Alle Jahre wieder“ zu Heiligabend. Noch heute ist „Diegner & Schade“ für die Wartung verantwortlich: „Einmal im Jahr kommen wir mit dem Hubsteiger vorbei, drücken die Klaviatur, prüfen die Lautstärke, die Gängigkeit der Türen und fetten die Laufwerke ein.“
Übrigens: Nicht nur die meisten Passanten, auch die Immobilien-Eigentümer selbst registrieren das Spiel der Glocken kaum. Das hat aber nichts mit Gewohnheit zu tun. Sondern: „Der Schall geht nach außen Richtung Marktplatz“, sagt Axel Baumgärtel, der mit seiner Frau Sabine Pryzstawik bis vor einem Jahr die Goldschmiede führte: „Wir hören nur das leise ´tok tok tok` der Mechanik.“
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