Obwohl sie schon vorher mit Kindern gearbeitet hatte, war der Start als Lehrerin an der Dorstener Agathaschule ein Sprung ins kalte Wasser. Vor knapp zwei Jahren bewarb sich die heute 50-jährige Jodie Beckmann als Seitensteigerin für eine ausgeschriebene Lehrerstelle an der Dorstener Grundschule. Bereut hat sie den Schritt bis heute nicht, auch, wenn es zwischendurch immer wieder Phasen der Erschöpfung und Überforderung gab und gibt.
Jodie Beckmann stammt ursprünglich aus Australien. Dort arbeitete sie als bilinguale Erzieherin in einer Kita, studierte später Politik, Geschichte und Sozialwissenschaften. „Eigentlich wollte ich schon immer an die Schule“, erzählt sie. 1992 wanderte Beckmann nach Deutschland aus, machte später in Freiburg ihren Master in Fremdsprachendidaktik.
Beckmann überzeugte
Auf der Suche nach einer Stelle für Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf, fand sie die Ausschreibung der Agathaschule und bewarb sich. „Eigentlich waren wir auf der Suche nach einer Klassenleitung und das sollen Seiteneinsteiger ja erst einmal nicht übernehmen, aber Jodie hat uns mit ihrer vielfältigen Ausbildung und damit, dass sie Native Speakerin ist, überzeugt“, erzählt Schulleiterin Klaudia Ulbrich-Heisig.
Eingestellt wurde die 50-Jährige als Fachlehrerin für Englisch. Für sie bedeutet das seitdem, dass sie jede Schulstunde eine neue Lerngruppe vor sich sitzen hat, auf die sie sich neu einstellen muss. „Den Draht zu den Kindern habe ich schnell gefunden. Aber dadurch, dass ich Lehramt nicht studiert und kein Referendariat gemacht habe, kannte ich das Unterrichtssystem und auch die Lehrpläne nicht“, erzählt Beckmann.
Viel investiert

Viele Stunden musste sie investieren, um sich all dieses Wissen in Eigenregie anzueignen. Zwar erhalten Seiteneinsteiger und Seiteneinsteigerinnen eine berufsbegleitende pädagogische Ausbildung - „aber die kann natürlich nur an der Oberfläche kratzen“, so Schulleiterin Ulbrich-Heisig. Gerne hätte sie die neue Kollegin vor allem in der heftigen Anfangsphase mehr unterstützt, aber wegen Lehrermangels und Krankheitsfälle war das oft nicht möglich.
„Geplant war, dass ich am Anfang mehr mitlaufe und hospitiere, aber aufgrund der Situation in der Schule war ich dann doch viel alleine in der Klasse“, sagt Jodie Beckmann. Für sie und auch Klaudia Ulbrich-Heisig ist das ein eindeutiger Kritikpunkt an der aktuellen Handhabung im Bezug auf Seiteneinsteiger. „Es wäre wirklich wünschenswert, wenn Schulen durch mehr Personal oder mehr Zeiträume unterstützt würden, um Seiteneinsteiger besser einarbeiten zu können. Es ist einfach eine enorme Herausforderung für alle Seiten“, so die Schulleiterin.
Schmaler Grat
Der Grat sei sehr schmal und man müsse aufpassen, Seiteneinsteiger nicht zu überfordern. Wünschenswert wären ihrer Meinung nach beispielsweise feste Ausbildungsstunden wie bei Lehramtsanwärtern und -anwärterinnen, an denen nicht gerüttelt werden könnte. Vieles werde einfach auf die Seiteneinsteiger abgewälzt - ohne Rücksicht auf deren besondere Situation.
Das kann Jodie Beckmann bestätigen: „Ich bin hergekommen, um Englisch zu unterrichten. Mittlerweile mache ich Stunden in ganz anderen Fächern wie Musik oder Sachkunde, in denen ich mich nicht so sicher fühle und teile mir mit einer Kollegin die Klassenleitung“, sagt die 50-Jährige. Sie bereut den Neuanfang nicht, hat aber auch Sorge davor, Aufgaben übernehmen zu müssen, denen sie sich nicht gewachsen fühlt. „Ich bin sehr selbstkritisch und als Grundschullehrerin hat man eine enorme Verantwortung, denn diese Zeit prägt die Kinder.“
Enorme Bereicherung
Nach fünf Unterrichtsbesuchen, die sie auch reflektieren musste, und einem Leistungsbericht der Schule, ist Beckmanns Vertrag inzwischen entfristet worden. Schulleiterin Ulbrich-Heisig möchte sie nicht mehr missen: „Seiteneinsteiger sind eine enorme Bereicherung für die Schule und das Kollegium.“ Der immer größer werdende Lehrermangel sorge dafür, dass in Zukunft mehr Seiteneinsteiger an die Schulen kämen. „Das ist gut, aber die Schulen brauchen mehr Unterstützung und man muss gerade in der Grundschule berücksichtigen, wie vielschichtig die Arbeit dort ist. Das kann man nicht mal eben so lernen, da macht es sich die Politik oft zu leicht“, sagt Ulbrich-Heisig.
Das sieht auch Jodie Beckmann so. „Ich war und bin abends oft sehr müde, weil es einfach sehr viel ist, was man lernen muss. Ich bin eine selbstbewusste, gestandene Frau, aber ich kann mir vorstellen, dass nicht so gefestigte Personen daran auch zerbrechen können“, sagt sie.
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