Zu wenig und dadurch stark überlastetes Personal, steigende Fallzahlen, kaum Unterbringungsmöglichkeiten für in Obhut genommene Kinder, schwierige Finanzlage - aktuelle Recherchen des WDR zeichnen ein düsteres Bild der Situation der nordrhein-westfälischen Jugendämter. Doch wie steht es um das Dorstener Jugendamt?
„Einerseits ist es gut, damit Missstände aufzudecken, andererseits erweist man vielen engagierten Jugendamtsmitarbeitern und -mitarbeiterinnen damit immer auch einen Bärendienst“, meint Stefan Breuer, Leiter des Dorstener Jugendamtes. Denn Jugendämter stünden immer schon im öffentlichen Fokus und hätten oft ungerechtfertigt mit einem schlechten Ruf („Die nehmen einem die Kinder weg!“) zu kämpfen.
Dabei sei die Inobhutnahme der allerletzte Schritt - Hauptziel des Jugendamtes sei es, Eltern Hilfe und Unterstützung anzubieten, damit Kinder in den Familien bleiben können. Dabei muss beachtet werden: Anlaufstelle für Familien ist der Allgemeine Soziale Dienst (ASD). Er bietet Rat und Unterstützung, plant Hilfen zur Erziehung, kümmert sich um den Kinderschutz und - wenn es nötig wird - auch um die Inobhutnahme von Kindern.
Jugendamt ist viel mehr als Allgemeiner Sozialer Dienst
„Aber das Jugendamt ist viel mehr als nur der ASD“, erklärt die Erste Beigeordnete Nina Laubenthal. Denn zum Dorstener Jugendamt gehören unter anderem auch die Bereiche Kinder - und Jugendförderung, das Familienbüro, die schulpsychologische Beratungsstelle sowie Kitas bzw. Tagespflege. Auch das „Leo“ sowie der „Treffpunkt Altstadt“ sind beim Jugendamt angesiedelt.
Insgesamt arbeiten rund 260 Menschen beim Dorstener Jugendamt. Um die 30 davon sind im Bereich ASD tätig. Diese kümmern sich aktuell um rund 400 Dorstener Familien. Im Bereich „Hilfen zur Erziehung“ kommen - wenn alle Stellen besetzt sind - rund 25 Fälle auf einen Mitarbeitenden. Zum Vergleich: Bei der im WDR-Bericht exemplarisch begleiteten Mitarbeiterin des Jugendamtes Gelsenkirchen waren es bis zu 65 Fälle.
„Aktuell haben wir in Dorsten das große Glück, dass alle Stellen besetzt sind. Wir schreiben gerade sogar noch eine zusätzliche aus“, sagt die Erste Beigeordnete. Eine zeitnahe Besetzung von vakanten Stellen sei schon seit längerem fast immer gegeben.
300 Leiter befragt
In der WDR-Umfrage, an der deutschlandweit rund 300 Jugendamtsleitungen teilgenommen haben, gab nur ein Drittel der Befragten an, genug Mitarbeitende für den Fachbereich zu haben. Warum steht Dorsten so gut da?
„Einerseits sind die Strukturen in Dorsten anders als in vielen Großstädten in NRW, andererseits haben wir aber in der Vergangenheit auch viel getan, um genau dieses Problem nicht zu haben“, erklärt Nina Laubenthal. So habe man beispielsweise 2019 nach einer überörtlichen Prüfung durch ein Beratungsunternehmen ein sogenanntes Personalbemessungsinstrument an die Hand bekommen.
Dokumentation als Zeitfresser
In der Untersuchung sei genau geschaut worden, welche einzelnen Arbeitsschritte eine Arbeitskraft machen müsse und wie viel Zeit dafür benötigt wird. Auch die Zeit für Dokumentationen, die laut WDR-Umfrage viele Jugendamtsleiter als starke „Zeitfresser“ neben der eigentlichen Arbeit beurteilen, sei darin eingepreist.
„So konnten wir genau sehen, was an Arbeit anfällt und daran unseren Personalschlüssel orientieren“, erklärt Laubenthal. Im vergangenen Jahr hat sie den Dorstener ASD im Rahmen einer Hospitanz mehrere Tage begleitet und die nicht immer einfache Arbeit des Dienstes hautnah miterlebt.

Das kann ASD-Abteilungsleiter Tobias Klempel bestätigen: „Es ist ein Job mit großer Emotionalität, bei dem man auch mal Fälle gedanklich mit nach Hause nimmt. Man trägt viel Verantwortung.“ Er glaubt, dass neben der guten Personalbemessung auch die sehr gute Einarbeitung von neuen Kollegen und Kolleginnen eine entscheidende Rolle beim Dorstener ASD spiele.
Hinzu kämen Supervisionen, um Erlebtes verarbeiten zu können, sowie die stetige Rückendeckung der Vorgesetzen. „Entscheidungen im Bereich Kinderschutz werden nie alleine, sondern immer im Team getroffen. Klare Strukturen helfen da ungemein“, so Klempel.
Praktika für Studierende
Zudem sei es so, dass man beim Dorstener ASD eine Kooperation mit der Fachhochschule Münster und der Katholischen Hochschule NRW habe, durch die interessierte Studierende Praktika beim Dorstener ASD absolvieren könnten.
Nicht von der Hand weisen kann Tobias Klempel allerdings, dass die Zahl der Fälle wie in fast allen Städten auch in Dorsten steigt. Noch bekäme man das jedoch gut abgefangen. Als problematisch würden er und sein Team jedoch die generelle Suche nach Unterbringungsplätzen für in Obhut genommene Kinder sehen.
Schwierige Platzsuche in Dorsten
„Für Jugendämter ist es generell oft eine große Herausforderung, einen Platz für ein Kind zu finden - vor allem, wenn es spezielle Bedürfnisse zu beachten gilt. Da wird regelmäßig im ganzen Bundesland herumtelefoniert“, erzählt der ASD-Abteilungsleiter.
So gaben in der Befragung des WDR dann auch 58 Prozent der Jugendamtsleiter an, dass sie Kinder aufgrund fehlender Plätze schon mal länger als angebracht in einer Familie lassen mussten. 13 Prozent gaben sogar an, dass ein Kind im Jugendamt übernachten musste oder sogar bei einem Mitarbeitenden zu Hause (7 Prozent).
Spezielle Gruppe
„Ich bin froh, dass es so etwas bei uns nicht gibt, denn seit einem Jahr haben wir für solche Fälle eine Inobhutnahme-Gruppe, die in einer Wohngruppe eines freien Trägers angesiedelt ist“, erklärt Nina Laubenthal.
Insgesamt fühle man sich aktuell als Jugendamt gut gerüstet für die Zukunft. „Natürlich wären noch mehr Geld und noch mehr Personal toll, um vor allem im Bereich Prävention und frühkindlicher Bildung noch mehr tun zu können“, so die Erste Beigeordnete.
Stefan Breuer ergänzt: „Noch besser wäre es natürlich, wenn es den Familien gesellschaftlich besser gehen würde und wir viele Fälle gar nicht mehr hätten.“