Grün, weiß und rot ist das Stück Stoff, das Johannes Keil gefaltet bei sich trägt. „Ich dachte mir schon, dass wir noch ein Foto machen“, sagt er mir einem Lächeln beim Termin mit dieser Redaktion. „Die mexikanische Flagge passt ganz gut zum Thema.“
Tatsächlich ist das Land in Lateinamerika für den 26-Jährigen mehr als nur ein Sehnsuchtsort. Dort, wo andere Urlaub machen, lebt und arbeitet der gebürtige Dorstener. Seit Juli 2023 ist er angestellt als Leiter für Vertrieb und Marktstrategie bei der deutsch-mexikanischen Firma Zeitgeist.
Unternehmen berät ausländische Betriebe
Das 2018 gegründete Unternehmen betreut und berät ausländische Betriebe, die in Mexiko starten möchten - unter anderem in den Bereichen Steuern, Buchhaltung, Personal und Marktstrategie.
Ende April befinde er sich geschäftlich in Deutschland, erzählt Johannes Keil bei einem Spaziergang entlang des Wesel-Datteln-Kanals. So begleitete er beispielsweise eine mexikanische Delegation aus dem Bundesstaat Chiapas zu den Dorstener Drahtwerken. Die Regierungsvertreter knüpften Kontakt zu Geschäftsführer Paul Tüshaus und präsentierten die wirtschaftliche Potenziale ihrer Region.
Der 26-Jährige nutzt den beruflichen Aufenthalt in Deutschland außerdem, um Freunde und seine alte Heimat zu besuchen. Aufgewachsen sei er schließlich in Wulfen-Barkenberg, sagt Johannes Keil. Seine Mutter wohne noch heute dort.
Leidenschaft für Lateinamerika früh entwickelt
„Sie war nicht sonderlich überrascht, als ich ihr mitgeteilt habe, dass ich nun in Mexiko leben und arbeiten werde“, berichtet Johannes Keil. Denn seine Leidenschaft für Lateinamerika habe sich schon vor über zehn Jahren entwickelt, erinnert er sich. Aber der Reihe nach.

Angefangen habe alles mit einem Austauschprogramm von Evonik, dem Arbeitgeber seiner Mutter, sagt Johannes Keil. 2013 habe er dabei ein Jahr in Mexiko bei einer Gastfamilie gelebt. Seitdem spricht er Spanisch. Rückblickend sagt er: „Seitdem hat mich dieses Land nicht mehr losgelassen.“ Er kehrte zurück, machte 2017 das Abitur am Gymnasium St. Ursula. Und dann?
Johannes Keil entschied sich zunächst für ein Bachelor-Studium mit Doppelabschluss: International Management. Zwei Jahre paukte er im baden-württembergischen Reutlingen, zwei Jahre im mexikanischen Puebla - nicht weit entfernt von Mexiko-Stadt.
„Bindeglied zwischen Kulturen“
„Man lernt, Bindeglied zwischen den Kulturen zu sein“, fasst Johannes Keil zusammen. Denn aus seiner Sicht unterscheiden sich Mexiko und Deutschland enorm. „Mir gefällt die Lebensfreude in Mexiko sehr gut. Die Menschen dort sind sehr freundlich im Umgang miteinander“, sagt der Dorstener.
Man komme schnell mit anderen ins Gespräch. Er fügt hinzu: „Man lebt mehr in den Tag hinein, mit etwas weniger Sorge vor dem, was morgen kommt.“ Man agiere spontaner und schaue vielmehr, was das Leben so bringt. In Deutschland sei das anders. Hier sei alles viel organisierter.
Kennengelernt hat Johannes Keil aber nicht nur den mexikanischen Lebensstil. Ein völlig anderes Land erlebte er während seines Master-Studiums. Es verschlug ihn nach Schweden.
Ein Jahr blieb er dort, ehe er für ein weiteres Studienjahr nach Lateinamerika zurückkehrte. Dieses Mal nicht nach Mexiko, sondern nach Kolumbien, in die Hauptstadt Bogotá. Danach folgte die Jobsuche - im Sommer 2023.
Querétaro hat über 800.000 Einwohner
Die Wahl von Johannes Keil fiel auf die Fima Zeitgeist in dem Land, das ihn seit seiner Jugend nicht mehr losgelassen hat: Mexiko. Seine neue Heimat: Santiago de Querétaro, eine Stadt mit mehr als 800.000 Einwohnern, circa vier Autostunden nordwestlich von Mexiko-Stadt gelegen.
„Dort wohne ich fünf Minuten von meinem Büro entfernt“, erzählt Johannes Keil. Die Wohnung teilt er sich mit zwei Mitbewohnern. „Die WG befindet sich in einer sogenannten ‚Gated Community‘“, sagt der Wahl-Mexikaner.
Hohe weiße Mauern umgeben das Wohnviertel. Ein Wächter kontrolliert, wer hinein- und wer hinauskommt. „Besucher brauchen eine Erlaubnis, sie müssen beim Wächter angemeldet sein“, schildert Johannes Keil.
Es gehe schlicht um die Sicherheit. Denn diese ist vor allem in der medialen Berichterstattung immer mal wieder ein Thema. Vor allem die brutalen Verbrechen der Drogenkartelle im mexikanischen Norden, im Grenzgebiet zu den USA, stehen oft im Fokus.
Dorstener möchte mit Klischees aufräumen
Johannes Keil möchte mit dem Klischee aufräumen, das Mexiko vor allem als Schauplatz von die Drogenkriegen bekannt ist. Er selbst habe zwar schon von Schießereien mitbekommen, aber zum Glück noch nie persönlich Erfahrungen mit der dunklen Seite des Landes gemacht. Allerdings solle man sich an einige Grundsatzregeln halten - so zum Beispiel keine nächtlichen Überlandfahrten machen.

Ansonsten unterscheide sich sein Alltag in Santiago de Querétaro nicht allzu sehr von dem in Deutschland, sagt Johannes Keil: Bürozeiten zwischen 9 und 18 Uhr, danach Freizeit. „Ich genieße das Wetter dort“, sagt der 26-Jährige.
Man könne gut feiern gehen und in der schönen Altstadt gebe es zahlreiche Cafés und Restaurants. Tacos und andere scharfe Speisen dürften dann nicht fehlen, meint Johannes Keil mit einem Grinsen.
Ein Manko hat Johannes Keil trotz vieler kulinarischen Vielfalt in Mexiko doch gefunden: Und das ist das fehlende deutsche Brot. Oder genauer: ein Körnerbrot. „Das vermisse ich tatsächlich, sagt der Dorstener. Zudem gebe es in Mexiko teurere oder weniger Varianten von Ritter-Sport- oder Milka-Schokolade, verrät er.
Jährlicher Besuch in der Heimat
Besucht Johannes Keil einmal im Jahr seine deutsche Heimat, so befänden sich in seinem Koffer auf der Rückreise oftmals verschiedene Süßigkeiten, mit denen er dann unter anderem auch seine mexikanischen Freunde und Arbeitskollegen versorge.
Mit im Gepäck hat Johannes Keil bei seiner Rückkehr zudem auch die neuesten fußballerischen Eindrücke. Denn der 26-Jährige erlebte das 1:1 von FC Schalke 04 gegen Fortuna Düsseldorf in der Veltins-Arena mit.
„Die Mexikaner sind ein fußballverrücktes Volk“, sagt Johannes Keil. „Alle meine Freunde kennen Schalke meinetwegen.“ Ansonsten wisse man in Mexiko nicht mehr viel über den Pott-Klub. „Außer, dass die nicht mehr so gut sind wie früher.“
Angekommen an der Hochstadenbrücke faltet Johannes Keil dann das grün-weiß-rote Stück Stoff auseinander. Mit Stolz hält er die mexikanische Flagge in seinen Händen. Schließlich ist das Land für ihn mehr als nur ein Sehnsuchtsort. Und dann ist das finale Foto auch schon im Kasten.