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Jennifer Schug: „Einige in der SPD haben gegen mich gearbeitet!“
Kommunalwahl 2020
Über drei Monate sind seit ihrem Rücktritt vergangen. Jetzt hat die ehemalige Parteivorsitzende und Bürgermeister-Kandidatin der SPD, Jennifer Schug, erstmals Rede und Antwort gestanden.
Sie hat konsequent gehandelt, sagen die einen. Sie hat ihre Partei drei Monate vor der Kommunalwahl im Stich gelassen, meinen andere. Jennifer Schug hat mit ihrem Rücktritt als Parteivorsitzende der SPD und Bürgermeister-Kandidatin polarisiert. Öffentlich geäußert hat sie sich zu den Gründen bislang kaum.
Frau Schug, wie waren die letzten drei Monate?
Anders. Ich habe ein bisschen gebraucht, um mich an die neue Situation zu gewöhnen. Es fehlt ja einiges im Tagesablauf, in der Struktur der Woche, aber so langsam habe ich mich daran gewöhnt und genieße auch die Zeit, mehr zu Hause zu sein.
Die SPD, Ihre Partei, hat bei der Kommunalwahl massiv Stimmen verloren und ihr Ergebnis von 2014 nahezu halbiert. Wie groß ist Ihr Anteil daran - oder Ihre Schuld?
Das werden wir wohl nie exakt herausfinden. Ich glaube schon, dass es eine Rolle spielt, wenn man keinen Bürgermeisterkandidaten hat. Zum anderen glaube ich aber auch, dass dieses Wahlergebnis das Resultat der politischen Aktivitäten der letzten Jahre ist. Da geht es nicht nur um die letzten zwei, drei Monate, da spielt viel mehr hinein. Es war ja auch in den letzten Jahren nicht immer ruhig in der SPD.
Auch Corona hat sicherlich eine Rolle gespielt. Es gab Umfragen, dass die Leute, die derzeit in der Verantwortung sind, gute Chancen haben, ein gutes Ergebnis einzufahren. Das hat sich ja überall und auch in Dorsten bestätigt.
Wo wäre die SPD mit Jennifer Schug gelandet?
Das weiß ich nicht. Bei der Bürgermeisterwahl hätte ich sicherlich bessere Chancen gehabt als die beiden kurzfristig nominierten Kandidaten von Grünen und Die PARTEI. Der eine ist jung und unbekannt, der andere macht vor allem Spaß. Ich bin sicherlich bekannter und sehr verwurzelt in Dorsten. Und ich wäre mit einem konkreten Programm angetreten. So aber war Herr Stockhoff wohl für viele Wähler die einzige Lösung.

Ein Bild von trügerischer Einigkeit: Bei ihrer Nominierung der Bürgermeisterkandidatin stimmten Ende Februar ein Drittel der Delegierten gegen Jennifer Schug (M.). © SPD Dorsten
Sie sind im Juni als Parteivorsitzende und Bürgermeisterkandidatin zurückgetreten. Warum?
Wir reden über ehrenamtliches Engagement. Ich finde, da muss das Verhältnis stimmen zwischen Engagement und Zeitaufwand auf der einen Seite und dem, was man zurückbekommt an Anerkennung, Spaß und Unterstützung. Das muss jeder für sich definieren, für mich was dieses Verhältnis aber zuletzt sehr aus der Waage gekommen.
Das wird ja nicht erst im Juni so gewesen sein.
Nein, das ist natürlich eine Entwicklung, ein Prozess. Man darf ja nicht vergessen: Ich wäre das Gesicht der SPD gewesen, hätte hauptsächlich in der Öffentlichkeit gestanden, wäre auf Plakaten gewesen, angesprochen und kritisiert worden. Das ist keine einfache Situation, aber ich nehme es als Kandidatin in Kauf - für die Sache. Wenn ich dann aber zunehmend das Gefühl bekomme, dass Teile der Partei nicht mitziehen oder sogar gegen mich arbeiten, macht das Ganze keinen Sinn mehr.
Wer sind diese „Teile“?
Ich werde sicherlich keine Namen nennen. Aber ein Beispiel: Wir haben acht Ortsvereine, der Wahlkampf muss in allen Ortsteilen stattfinden. Ich hätte ja nicht mit einer Bank und einem Stehtisch unterm Arm auf eigene Faust durch die Stadt reisen können. Das alles muss vorbereitet und von der Partei geleistet werden. Aber diese Zusammenarbeit hat eben schon in der Wahlkampfvorbereitung nicht wirklich geklappt. Ich war die Spitzenkandidatin, da erwarte ich selbstverständlich, dass man hinter mir steht.
Wie ist der Rücktritt dann genau abgelaufen?
Im vertrauten Kreis habe ich schon vorher gesagt, dass ich mir das unter diesen Voraussetzungen nicht mehr vorstellen kann. Als ich für mich dann die Entscheidung endgültig getroffen hatte, habe ich es in einer Sitzung des Stadtverbandes gesagt.
Gab es Versuche, Sie zum Bleiben zu überreden?
Im engsten Kreis schon, in meinem Hervester Ortsverein auch. Die waren wirklich geschockt, als ich meinen Rücktritt erklärt habe.
Bei Ihrer nichtöffentlichen Nominierung Ende Februar hat ein Drittel der Delegierten gegen Sie gestimmt, obwohl Sie die einzige Kandidatin waren. Das hätte Ihnen eine Warnung sein können, vielleicht sogar müssen.
Ja, natürlich. Ich hätte spätestens da meine Bedingungen deutlich formulieren müssen, unter denen ich das überhaupt noch mache. Ich habe aber bis zum Ende gedacht, dass wir alles demokratisch lösen können. Ich habe immer versucht, alle ins Boot zu holen, aber das geht vielleicht nicht. Möglicherweise war ich da zu naiv.
Haben Sie die SPD im Stich gelassen?
Nein, das sehe ich anders. Ich habe in meiner ganzen aktiven Zeit immer sehr ehrlich und deutlich gesagt, wofür ich stehe. Für mich war dann im Juni einfach der Punkt gekommen, dass es keinen Sinn mehr gemacht hat. Und für manche in der Partei wohl auch nicht, sonst hätten sie mich unterstützt. Klar ist: Wenn wir dieses Wahlergebnis mit mir als Bürgermeisterkandidatin gehabt hätten, hätte ich anschließend die Verantwortung übernommen und mich zurückgezogen.
Wird es eines Tages ein Comeback von Jennifer Schug geben?
Ich bin immer noch Beisitzerin im Ortsverein Hervest, dem fühle ich mich verbunden. Und natürlich bleibe ich ein politisch interessierter und engagierter Mensch. Ein Comeback an anderer Stelle sehe ich derzeit nicht. Dafür war die Enttäuschung einfach zu groß.
Veränderungen gab es immer, doch nie waren sie so gravierend. Und nie so spannend. Die Digitalisierung ist für mich auch eine Chance. Meine journalistischen Grundsätze gelten weiterhin, mein Bauchgefühl bleibt wichtig, aber ich weiß nun, ob es mich nicht trügt. Das sagen mir Datenanalysten. Ich berichte also über das, was Menschen wirklich bewegt.
