Michael Austermann und seine Frau Nicole haben ihre Doppelhaushälfte in Dorsten 1998 gekauft. Ein Zechenhaus von 1912, in das die Familie viel Arbeit, Geld und Zeit gesteckt hat. „Früher gab es hier mal einen Schweinestall im Garten und im Haus zwei Wohnungen“, sagt Nicole Austermann. Nun wohnt die Familie dort auf 170 Quadratmetern.
Als 2022 die Grundsteuererklärung für die Immobilie gefordert wurde, klemmte sich Nicole Austermann dahinter. Die komplizierte Anmeldung bei ELSTER und ebenso komplizierte Sprache der Formulare machten das schwierig. Im August 2022 gab sie die Erklärung elektronisch ab.

Anfang Februar 2023 kamen nun per Post die Bescheide des Finanzamts an. Und die lösten beim Paar mindestens ebenso viele Fragen aus wie schon die Grundsteuererklärung. „Wir sind wahrscheinlich nicht die Einzigen, die mit diesen ganzen Berechnungen des Finanzamtes nicht klar kommen. Ich schätze, die Leute werden es wegheften und das große Erwachen kommt dann bei dem Bescheid von 2025“, glaubt Nicole Austermann.
„Ich finde es einen Witz, dass die auf der Rückseite berechnen, was ich an Netto-Kaltmiete in diesem Haus erzielen würde oder was eine Vermietung der Garage bringen würde“, nennt Nicole Austermann ein Beispiel: „Ich wohne doch selber drin. Ich vermiete doch nicht. Ich weiß überhaupt nicht, was die da wollen.“
„Kapitalisierter Reinertrag“
Mit einer tatsächlichen Vermietung hat der Wert in der Tat nichts zu tun. Es handelt sich um eine statistisch ermittelte Nettokaltmiete, die im Schnitt zu zahlen wäre. Sie ist wie der „Abzinsungsfaktor“, der „kapitalisierte Reinertrag“ und viele weitere für Laien einer der eher kryptischen Teile der Berechnung des neuen Grundsteuerwerts, die über zwei Seiten geht. Diese soll realistischer als der früher genutzte Einheitswert (der auf Werten von 1964 beruht) widerspiegeln, welchen Wert die Immobilie aktuell besitzt. Im Falle von Familie Austermanns Immobilie kommt das Finanzamt auf einen Grundsteuerwert von 229.000 Euro.
Was die Austermanns befürchten: Würden sie den aktuellen Hebesatz der Stadt Dorsten mit den neuen Daten multiplizieren, kämen sie auf statt aktuell 226,72 Euro Grundsteuer auf 618 Euro pro Jahr, die sie zahlen müssten. „Knapp 400 Euro mehr - kommt das wirklich so?“, fragt Nicole Austermann. Eine solche Multiplikation von neuen Messbeträgen und alten Hebesätzen sei „ein Multiplizieren von Äpfeln und Birnen“, sagt Stadtsprecher Ludger Böhne.

Grundsätzlich gilt: Die nun vom Finanzamt zugestellten Bescheide sind nicht für die in 2023 oder 2024 zu zahlende Grundsteuer in Dorsten relevant. Ab 2025 errechnet sich die zu zahlende Grundsteuer aus dem Grundsteuermessbetrag mal dem Hebesatz der Kommune.
Während der erste Bescheid des Finanzamts den Grundsteuerwert mittteilt, errechnet der zweite Bescheid den Grundsteuermessbetrag (Grundsteuerwert mal Messzahl). Im Falle der Austermanns wären das dann 229.000 mal 0,00031 (im Bescheid als 0,31 von Tausend angegeben). Macht 70,99 Euro.
Wer berechnet den Hebesatz?
Dieser Wert wird für die Grundsteuer 2025 mit dem dann gültigen Hebesatz Dorstens multipliziert. Stadtsprecher Ludger Böhne sieht auch für die Stadt noch offene Fragen: „Es ist einstweilen offen, ob überhaupt die Kämmerer die Hebesätze berechnen – oder ob das Land den Kommunen nach Feststellung aller Messbeträge jeweils individuelle Hebesätze unter Berücksichtigung der bisherigen Einnahmen aus der Grundsteuer B vorgibt. Uns liegen dazu noch keine Erkenntnisse vor.“
Grundsätzlich und sehr vereinfacht funktioniere die Hebesatzberechnung so: „Die Stadt Dorsten nimmt aktuell rund 22 Millionen Euro aus der Grundsteuer ein. Dieser Betrag geteilt durch die Summe aller neuen Messbeträge – die noch nicht vollständig vorliegen – ergibt den Faktor für den Hebesatz, bei dem die Stadt nach der Reform nicht mehr einnehmen würde als nach der Reform der Grundsteuern“, so Böhne.
„Transparenz ermöglicht“
Gianluca Fischer, Sprecher der Oberfinanzdirektion NRW, teilt auf Anfrage mit, dass auch 2025 die Kommunen die zu zahlende Grundsteuer festsetzen. „Es ist beabsichtigt, die Grundsteuer aufkommensneutral zu reformieren. Das Ministerium der Finanzen wird daher sämtliche Kommunen öffentlich über den jeweiligen Hebesatz informieren, der zur Aufkommensneutralität in der jeweiligen Kommune führt. So wird Transparenz darüber ermöglicht, ob seitens der Kommune mit den Hebesätzen Steuern gesenkt, erhöht oder gleich gelassen werden.“
Was die Austermanns ab 2025 tatsächlich an Grundsteuern bezahlen werden, kann derzeit also niemand beantworten. Ludger Böhne: „Da die einem Urteil des Bundesverfassungsgericht folgende Reform der Grundsteuer eine tatsächlich bestehende Ungerechtigkeit beseitigen soll, ist nach der Systematik zu erwarten, dass Eigentümer älterer Häuser und Eigentumswohnungen – die bisher die Nutznießer dieser Ungerechtigkeit waren – künftig mehr bezahlen und die Besitzer jüngerer Häuser könnten entsprechend entlastet werden.
Gravierende Unterschiede
Im Ergebnis könnten diese Unterschiede „gravierend sein“, so Böhne - dies sei nach den bisherigen Messbeträgen zumindest zu erwarten. „Diese liegen je nach Alter, Größe, Nutzung und Lage in einer Hauptschwankungsbreite von 20 bis 120 Euro. Wenn diese Beträge sich einander annähern, ist abhängig von Gesamtsumme und Hebesatz sowohl ein Steigen wie auch ein Sinken der Steuerlast wahrscheinlich.“
Nicole Austermann überlegt, Einspruch gegen die Bescheide zu erheben. Vier Wochen hat sie dafür Zeit. Ein Musterschreiben dafür hat sie sich bereits aus dem Internet geladen, sagt aber auch: „Das ist für mich total unverständlich.“
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