Am 22. März 1945 wurde die Dorstener Altstadt bei einem verheerenden Luftangriff fast vollständig zerstört. Rund 300 Menschen verloren an diesem Nachmittag ihr Leben, über 700 Familien wurden obdachlos.
80 Jahre später wurde in vielen eindrucksvollen Veranstaltungen der Opfer gedacht. Im Zentrum stand ein bewegender Gottesdienst in der St.-Agatha-Kirche – jenem Ort, der selbst einst in Trümmern lag. Pfarrer Dr. Stephan Rüdiger und Pastoralreferent Stefan Biesterfeldt eröffneten den Gottesdienst, der von Schülerinnen und Schülern des Paul-Spiegel-Berufskollegs und des Petrinums mitgestaltet wurde.

Zeitzeuge berichtete
Gekommen war auch Heinz Dupré, einer der letzten lebenden Zeitzeugen. Hautnah hat er die Bombenangriffe im März 1945 miterlebt. Die Erinnerungen an die Geschehnisse treiben dem 87-Jährigen immer noch Tränen in die Augen: „Am 11. März habe ich hier in der Kirche noch Kommunion gefeiert. Einen Tag später war der Geburtstag meiner Oma. Dann kam ein Luftalarm. Als Kind wollte ich wegen der leckeren Kuchenkrümel nicht in den Keller. Doch meine Oma schickte mich und meine Mutter sofort in den Bunker und das waren ihre letzten Worte, die ich nie vergessen habe: ‚Ich passe auf Deine Kuchenkrümmel auf´“.
Während Heinz Dupré und seine Mutter überlebten, wurde das Haus der Großmutter von einer Bombe getroffen und die Oma dabei getötet. Sein Leid war damit aber noch nicht beendet. Wenige Tage später folgte eben jener Angriff, der die Altstadt Dorstens in Schutt und Asche legte. „Es war ein klarer Tag, so wie heute. Die Sonne schien und der Himmel war klar. Wir hatten einen Unterstand an der heutigen B224 in Richtung Erle gehabt. Plötzlich sahen wir die Bomber kommen, die ihre explosive Fracht über Freudenberg ausklinkten. Dann zitterte alles und die Erde bebte“, erinnert sich Dupré.
Angriff auf Krankenhaus
Was geschah, belegen auch trotz ihrer Nüchternheit berührende Aufzeichnungen aus dem Jahre 1945, wie die des damaligen Polizei-Oberleutnant Dreppenstedt, die Dr. Josef Ulfkotte vom Verein für Orts- und Heimatkunde brachte: „Hauptangriff von 12 Minuten Dauer. 600 Sprengbomben und 40 Langzeitzünder. Es handelt sich größtenteils um schwere Kaliber, die eine Durchschlagskraft hatten, um Luftschutzräume und Wasserleitungen zu zerschlagen. Die Altstadt bis auf einige kleine Inseln total in Trümmern. Das Elisabeth-Krankenhaus erhielt im Westteil einen Volltreffer und im nördlichen Teil. Kranke, Ordensschwestern und Kaplan Dammann wurden getötet. Letzterer starb mit den Worten: ‚Herrgott wenn wir gefehlt haben, dann rechne es uns nicht an.‘“

80 Jahre später hatten sich auch junge Menschen ausgiebig mit den Ereignissen beschäftigt. Zehntklässler des Gymnasiums Petrinum präsentierten Ergebnisse ihrer Projekte, die sich mit der Erinnerungskultur und der Zukunft in Dorsten befassten.
In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv hatten Zehntklässler untersucht, wie sich die Berichterstattung über die Bombardierung im Laufe der Jahrzehnte veränderte. „Anfangs lag der Fokus stärker auf dem Wiederaufbau als auf dem Gedenken“, stellte Schülerin Merle Zepmeusel fest.
Die Ergebnisse wurden - nach Zeitperioden geordnet - auf Plakaten festgehalten. Noch bis zum 8. Mai sollen die Plakate in der St.-Agatha-Kirche zu sehen sein – viele Tafeln sind zudem mit QR-Codes ausgestattet, die weiterführende Inhalte, wie z.B. Podcasts, bieten. Eine symbolträchtige Geste folgte am Ende des Gottesdienstes: Zehn sogenannte Lebenslichter wurden an ältere Mitbürger überreicht.
Vergangenheit sichtbar gemacht
Im Anschluss lud Stadtführerin Petra Eißing dazu ein, die historische Innenstadt zu erkunden. Sie zeigte dabei Orte, an denen Dorstens Vergangenheit noch sichtbar ist – trotz der immensen Zerstörung. Außerdem gab eine Menge Geschichten über das alte Dorsten zu hören.

Ein musikalisches Erinnern unter dem Titel „Wie liegt die Stadt so wüst“ war ein weiterer bewegender Programmpunkt. Der Kammerchor Cantus Dorsten, begleitet von der Neuen Philharmonie Westfalen sowie vier renommierten Solisten und Solistinnen, brachte unter anderem Werke von Rudolf Mauersberger und Edward Elgar zur Aufführung. Besonders Mauersbergers gleichnamige Motette, komponiert im Angesicht der zerstörten Stadt Dresden, verlieh dem Abend eine tief bewegende Atmosphäre. Die vernichtende Kraft des Krieges wurde auf musikalische Weise dargestellt.
Am Alten Rathaus hatten Guido Harding und Stefan C. Maus vom Project:Flow eine eindrucksvolle Licht-, Ton- und Text-Installation erstellt. Historische Fotos und Filmaufnahmen wurden auf die Fassade projiziert, begleitet von eigens komponierter Musik und realistischen Tonaufnahmen. So konnte man die Atmosphäre jener Märztage von vor 80 Jahren erahnen.
