Trauer um Fred Mauritz (98) Der singende Seemann aus Dorsten ist für immer verstummt

Trauer um Fred Mauritz (98): Der singende Seemann ist für immer verstummt
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Das Reihenhaus in Wulfen-Barkenberg, in den 1970er-Jahren erbaut, verriet nicht viel von der ungewöhnlichen Karriere seines Besitzers. Keine Schallplatten an den Wänden, keine Zeitungsausschnitte. Bilder seiner Kinder und Enkel waren ihm und seiner 2008 verstorbenen Ehefrau Lisbeth wichtiger. „Vielleicht hätte ich ganz nach oben kommen können“, sagte er vor knapp 20 Jahren. „Aber darunter hätte die Familie gelitten. Und das habe ich nie gewollt.“

Der „singende Seemann“ singt schon lange nicht mehr. Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte er 2017 bei der Ehrenamtsgala der Stadt Dorsten. „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins ...“ - die Zuhörer haben ihm stehend applaudiert. Am 13. Januar 2025 ist Friedhelm Mauritz mit 98 Jahren im Altenzentrum Maria Lindenhof gestorben.

Friedhelm Mauritz - so heißt er und so steht es auch in der Todesanzeige. Doch kaum einer nannte ihn so. Denn Friedhelm, diesen Allerweltsnamen, hat die Schallplattenindustrie vor vielen Jahrzehnten für die Öffentlichkeit verboten. Das klang zu gewöhnlich für einen, der Stimmung verbreiten, für gute Laune sorgen sollte. Der von Wind und Wetter, Sturm und Drang, von rauer See und Todesängsten singen wollte.

Friedhelm Mauritz - zu viele Buchstaben für Plattencover und Zeitungsüberschriften. Zu viele Silben für Moderatoren in Rundfunk und Fernsehen. Also Fred, kurz und knapp. Fred, der singende Seemann. Der das Meer liebt und es besingt, obwohl er „nie mehr als 100 Meter vom Land weg“ war, wie er mal verriet.

So kann man sich täuschen lassen.

Fred Mauritz singt bei der Ehrenamtsgala 2017 in Dorsten.
Bei der Ehrenamtsgala im Jahr 2017 hatte Fred Mauritz, damals schon 90 Jahre alt, seinen letzten öffentlichen Auftritt. Er bekam stehenden Applaus. © Guido Bludau (Archiv)

Die ungewöhnliche Geschichte des singenden Seemanns begann nämlich keineswegs in Norddeutschland, sondern in einem dreigeschossigen Wohnhaus in Wattenscheid-Leithe. Dort kam Fred Mauritz 1926 zur Welt. „Ich war der kleine verhätschelte Star im Haus“, erinnerte er sich an die ersten Jahre im Bergarbeitermilieu des Ruhrgebiets.

„Nie ein Stiller im Lande“

Der Vater, ein gebürtiger Ostpreuße, war Bergmann, zog mit seiner Familie dann nach Aurich in Ostfriesland. Bis dahin kannte der sechsjährige Sohn das Meer nur aus Büchern. An der Nordsee lebte Familie Mauritz vom Krabbenfang, in seiner Freizeit spielte der Vater gerne Zither und Mandoline.

Und er sang, und beinahe selbstverständlich sang auch der Sohn. Fred Mauritz, katholisch erzogen, war „nie ein Stiller im Lande“ und deshalb auch nicht lange Messdiener. „Die haben mich entlassen, weil ich auf der Kirchenorgel ‚Kleines Mädchen von Hawaii’ gespielt habe“, erzählte er einmal. Ein typischer Mauritz, wie es scheint. Den Schalk im Nacken, aber „das Herz auf Händen“, schrieben Musikkritiker später über ihn.

Ruhrgebietsbarde René Caroll hat den jungen Fred zum Solo-Singen gebracht, die Liebe zur Seefahrt war ja schon vorhanden. Und so wurde Fred Mauritz in den 1960er- und 1970er-Jahren ein Star. Kein ganz großer, denn „ich hatte nie einen Manager und wollte mich nie verkaufen“.

Mauritz stand mit Heinz Schenk, Freddy Quinn und Rex Gildo auf der Bühne, füllte aber auch ganz alleine Schützenfestzelte, sorgte für Stimmung bei Karnevalsvereinen und brachte das ältere Publikum in Altenheimen zum Schunkeln. Das war ihm mindestens genauso wichtig wie die Auftritte in den großen Hallen. „Eigentlich wollte ich gar nicht ganz nach oben“, behauptete er mal. „Aber ich kann zumindest sagen, dass ich auch nie ganz unten war.“

Lebensgeschichte aufgeschrieben

Erinnerungsstücke an seine Laufbahn bewahrte Fred Mauritz in einem Schrank auf. Zwei, drei Ordner, ein paar Videokassetten und Schallplatten. Nicht viel für ein halbes Jahrhundert Musik. „Was wichtig ist, habe ich ohnehin im Kopf“, meinte er. Das gilt für die vielen Erlebnisse ebenso wie für die Texte und Melodien. „Was ich mir einmal gemerkt habe, vergesse ich nicht mehr“, sagte er, als er trotz seines fortgeschrittenen Alters noch voller Energie war.

Doch es war ein langgehegter Wunsch von Fred Mauritz, dass jemand seine Lebensgeschichte aufschreibt. Gabriele Reiß, seine Tochter, hat es vor fünf Jahren mithilfe ihres Vaters getan. „Ich wusste immer, das wird eine Mordsarbeit“, sagte sie schmunzelnd, als das Werk vollendet war und der Vater, mittlerweile fast erblindet, es stolz in seinen Händen hielt.

Fred Mauritz mit Senioren beim Tanztee im Gemeinschaftshaus Wulfen
Beim Tanztee im Gemeinschaftshaus Wulfen (hier ein Bild aus dem Jahre 2011) war Fred Mauritz stets ein Stimmungsmacher für die Senioren. © Guido Bludau (Archiv)

In 16 Sitzungen von jeweils drei Stunden, meist im Lembecker Café Böhmer, haben Vater und Tochter zwischen Januar und März 2020 das Leben des singenden Seemanns rekonstruiert. Eine Art Vermächtnis, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Die aufregende Künstlerkarriere von Fred Mauritz, dessen Idol der große Hans Albers war, macht dabei erstaunlicherweise nicht den thematisch wichtigsten Teil der Biografie aus. „Wir haben so intensiv wie noch nie über den Krieg gesprochen“, sagte Gabriele Reiß bei der Buchvorstellung. „Mein Vater hat immer wieder davon angefangen. Als schließlich das Buch auf dem Tisch lag, hatte ich das Gefühl: Jetzt hat er endlich damit abgeschlossen.“

Gabriele Reiß und Fred Mauritz mit dem Buch über seine Lebensgeschichte.
Gabriele Reiß hat mit ihrem Vater die Lebensgeschichte des singenden Seemanns aufgeschrieben. © Stefan Diebäcker (Archiv)

Fred Mauritz hat in dieser Zeit „alles noch einmal erlebt“, wie er vor vier Jahren sagte, „mein ganzes Leben, fast jeden Schuss, den man auf mich abgegeben hat“. Er war gerade 18 Jahre alt, als die SS ihn zum Kriegseinsatz zwingen wollte. Doch der junge Mann rannte davon, die Kugeln verfehlten damals ihr Ziel. Wenig später wurde er doch eingezogen und bei der Wehrmacht ausgebildet.

Fred Mauritz war in den letzten Kriegstagen 1945 im „Kessel“ bei Königsberg im Fronteinsatz, kam schwer verwundet ins Marinelazarett nach Waren an der Müritz. Das hat ihn augenscheinlich geprägt, auch wenn er es sich viele Jahrzehnte kaum hat anmerken lassen.

Traumatische Kriegszeit

Viele Episoden kannte Gabriele Reiß aus dem Leben ihres Vaters: Anekdoten aus der Kindheit. Konzerte, Fernsehauftritte. Die traumatischen Erlebnisse der Kriegszeit allerdings kannte die Autorin „in dieser Ausführlichkeit nicht“. Weil die Musik ihrem Vater über Jahrzehnte geholfen hat, den Krieg zu verdrängen.

Das innige Verhältnis zwischen Vater und Tochter hat sich durch die Arbeit an dem Buch nicht verändert, sagte Gabriele Reiß damals. „Ich habe aber mehr verstanden, konnte mehr Zusammenhänge herstellen. Es fügt sich für mich alles zusammen.“

Für ihren Vater auch. Als das über 120-seitige Buch vor ihm lag, dachte er: „Gott sei Dank!“ Und dann fiel ihm ein. „Mensch, das hätte ich auch noch sagen sollen ...“

Denn er hatte wahrlich „ein buntes, wild bewegtes Leben“. So steht es in der Todesanzeige. Und so hat es Fred Mauritz stets besungen. Der Titel des Seemannsliedes: Die letzte Fahrt.

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Trauerfeier am 25. Januar

Die Trauerfeier für Fred Mauritz ist am 25. Januar (Samstag) um 11 Uhr in der Trauerhalle am Waldfriedhof Schultenfeld, Maifelder Allee 50 in Wulfen-Barkenberg. In einigen Wochen findet im engsten Familienkreis die Seebestattung auf der Nordsee statt. So hatte es sich der singende Seemann immer gewünscht.