
© Verena Hasken
Fanatischer Nazi schoss ehemaligen Freund nachts in Dorsten-Rhade mit der Pumpgun nieder
Serie: Verbrechen in Dorsten
Es ist eines der schlimmsten Verbrechen in Dorstens Geschichte: Am 15. März 1996 erschießt ein Neonazi in Rhade einen ehemaligen Freund. Der Mord mit der Pumpgun gleicht einer Hinrichtung.
Richter Rudolf Esders (79) ist ein erfahrener Schwurgerichtsvorsitzender am Landgericht Essen, als ihm 1997 der Pumpgun-Mörder in seinem Essener Sitzungssaal auf der Anklagebank begegnet.
Ein strammer Rechter sitzt dort vor ihm: „Er hat mit Sendungsbewusstsein agiert. Nicht eiskalt. Sondern aus der tiefen Überzeugung heraus, dass er mit seinen Taten für eine höhere Sache eintritt“, sagt Rudolf Esders über den Dreifachmörder. Der Mann sei ein fanatischer, überzeugter Nazi gewesen.

Rudolf Esders war 17 Jahre lang Vorsitzender des Schwurgerichtes am Landgericht Essen. © Claudia Engel
Dieser Angeklagte kassiert für seine Verbrechen an drei Menschen das wohl höchste nur denkbare Urteil eines Strafgerichts in Deutschland: Lebenslänglich, Sicherungsverwahrung, Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und Unterbringung in der Psychiatrie. Damit will das Gericht verhindern, dass der Täter nach Verbüßung seiner Haftstrafe und medizinisch unbehandelt wieder auf freien Fuß gesetzt wird. Denn: „Der Mann ist brandgefährlich“, sagt Rudolf Esders.
Serie: Verbrechen in Dorsten
In unregelmäßigen Abständen berichten wir hier über Verbrechen in Dorsten. Spektakuläre Gewalttaten, die über die Grenzen der Stadt Dorsten hinaus für Gesprächsstoff gesorgt haben. Wir beleuchten die Hintergründe und sprechen mit Beteiligten, die zur Aufklärung der Straftat beigetragen haben.Wie gefährlich er ist, zeigt sich beim Mord in Rhade an seinem ehemaligen Freund und politischen Weggefährten. Von dem fühlt er sich verraten, weil der ihn bei der Polizei wegen eines Übergriffs angezeigt hat. Als Fememord von Rhade geht das Verbrechen am 15. März 1996 in die Dorstener Verbrechens-Geschichte ein.
Unter einem Vorwand lockt er sein Opfer zur Haustür
Der junge Mann hat den Neonazis und seinem fanatisierten Freund den Rücken gekehrt. Der hatte ihm schon einmal die Pistole an den Kopf gesetzt und ihn bedroht. Die Abkehr verzeiht der Täter ihm nicht. Im Elternhaus der Freundin des Opfers in Dorsten-Rhade kommt es zur finalen Begegnung nach dem „Verrat“.
Am 15. März 1996 klingelt der Mörder spätabends die Mutter des Mädchens aus dem Wohnhaus in Rhade. Er trägt vor, dass er seinen Freund sprechen wolle wegen eines Schadens an dessen Auto.
Der junge Mann wird geweckt. Schlaftrunken kommt er die Treppe hinunter. Ohne ein weiteres Wort mit seinem Gegenüber zu sprechen, zieht der Täter seine Pumpgun hervor und feuert zweimal aus zwei Metern Entfernung aus dem Schrot-Repetiergewehr auf seinen einstigen Weggefährten. Der bricht tödlich getroffen im Treppenhaus zusammen.
Nach der Tat flüchtet der Mörder ins Sauerland
Der Täter flüchtet und wird wenig später gefasst. Da hat er noch zwei weitere Menschenleben auf dem Gewissen.
Ein Psychopath, so wie eiskalt agierende und manipulierende, persönlichkeitsgestörte Menschen in Kriminalromanen auftreten, sei der Täter nicht, sagt Richter Rudolf Esders. Sondern „nur“ ein Mensch ohne jegliche Empathie.
„Die hat er nicht“, sagt sein Richter. Aber er sei auch kein hoffnungsloser Fall. Das habe ihm der Gerichtsgutachter Norbert Leygraf zu verstehen gegeben. „Der Mann ist schwierig, aber eine Behandlung scheint nicht aussichtslos“, soll Leygraf Esders im Prozess gesagt haben. Dieser Hinweis zeigt Wirkung bei der Urteilsfindung.
Feinfühlig entlockte der Richter „seinen“ Tätern die Details
Ein hohes Maß an Empathie, an Einfühlungsvermögen, zeichnet indes Richter Rudolf Esders aus. Wer Gerichtsverhandlungen mit Rudolf Esders erlebt hat, der weiß, wie feinfühlig er die Befindlichkeiten oder die Motive seiner Angeklagten und Zeugen auszuloten wusste und daraus seine Schlüsse zog.
Auch der veritable fünffache Essener Frauenmörder und Frauenvergewaltiger Ulrich Schmidt habe sich ihm letztlich geöffnet, sagt Rudolf Esders. „Der hat alle Taten im Laufe seiner Verhandlung gestanden und war froh, dass endlich alles heraus war.“
Wie er die Wahrheit aus Angeklagten herausgekitzelt hat, schildert er so: „Ich habe mir Tatbilder angeschaut und mich beim Anblick der Fotos in die Gedankenwelt der Täter hineinversetzt. Das hat mir geholfen, die einzelnen Bausteine zusammenzusetzen und mir das Geschehen zu erklären. Manchmal bin ich auf ganz überraschende Erkenntnisse gestoßen.“ Die ihm dann wieder bei den Befragungen im Gerichtssaal nützlich waren.
Der Richter ging wie ein „Profiler“ zu Werke
So „knackt“ Rudolf Esders auf Art eines Profilers auch den Gladbecker Geiselgangster Jürgen Rösner. „Der war leichter zu packen als sein Mitangeklagter Degowski.“ Jürgen Rösner ist einer der wohl populärsten Schwerverbrecher der Nachkriegsgeschichte in Deutschland. Unvergessen der Anblick des Tätowierten, wie er sich die Waffe, mit der er eine Busgesellschaft in Schach hielt, vor laufenden Fernsehkameras in den eigenen Mund steckt.
Rösner versichert Rudolf Esders jedenfalls im Prozess, „dass er so ein schlimmes Verbrechen nie mehr begehen wolle. Vielleicht noch einen Supermarktüberfall, nicht aber Geiselnahme und Mord“, lauteten seine vertraulichen Worte, die er seinem Richter gesteckt hat. Trotzdem sitzt Rösner immer noch in Haft - lebenslänglich, mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und Sicherungsverwahrung.
Dieser Richter Rudolf Esders, der es im Laufe seiner 17-jährigen Tätigkeit als Schwurgerichtsvorsitzender in Essen mit vielen erbarmungslosen Schwerverbrechern zu tun hatte, begegnet nun im Februar 1997 dem Angeklagten, 28 Jahre jung und ein Mörder, der ohne mit der Wimper zu zucken drei Menschen das Leben geraubt hat.
Zugeschlagen, gewürgt und mit dem Klappspaten getötet
Eine junge Frau tötet er, weil er Angst hat, dass sie ihn verrät. Sie ermordet er zusammen mit einer Komplizin, indem sie sie gemeinsam würgen, mit einem Klappspaten totschlagen und dann in der Erde verscharren.
Eine weitere Frau bringt er um, weil sie einen Aufkleber trägt: „Nazis raus“ steht darauf. Der Mörder ordnet sie daraufhin als politisch Linke ein, sucht sie mit einem weiteren Komplizen heim und sticht 91-mal mit einem Messer auf sie ein. Und seinen ehemaligen Freund ermordet er in Rhade ohne mit der Wimper zu zucken mit der Pumpgun, die ihm eine Komplizin besorgt hat.
An zehn Verhandlungstagen im Februar und März 1997 versucht Rudolf Esders, sich in diesen Menschen einzufühlen, der derart schwer Nachvollziehbares begangen hat: Menschen auf grausame Weise um ihr Leben zu bringen, aus Fanatismus, aus politischer Irreleitung. Ein Mensch, der schon als Jugendlicher der menschenverachtenden Ideologie der Nazi folgt.
Solche Verbrechen werden von schwachen Menschen begangen
Und doch: „Der wirkte nach außen hart, innen ist er weich“, sagt Rudolf Esders über den Angeklagten. Rudolf Esders hält den Mann mit den markigen Sprüchen für einen schwachen Menschen. „Diese ruchlosen Verbrechen werden immer von schwachen Menschen begangen.“ Starke Menschen würden das nicht tun.
Obwohl der Täter es mit Rudolf Esders zu tun bekommt und auch mit dem renommierten forensischen Psychiater Norbert Leygraf, öffnet er sich keinem der beiden. „Wir sind eine Elite ohne Angst“, prahlt er in einem rechten Gesinnungsblatt. So geeicht, gesteht der Angeklagte zwar die Morde. Auf mehr als rechte Parolen lässt er sich öffentlich aber nicht ein.
Richter sieht in ihm einen Vorläufer der NSU
Überdeutlich ist Rudolf Esders deshalb die stramme rechte Gesinnung des Angeklagten in Erinnerung geblieben. „Der war ein Vorläufer der NSU, des Nationalsozialistischen Untergrundes.“
Bevor überhaupt der NSU aktiviert wird, gehört der Täter verschiedenen rechtsextremen Vereinigungen wie Wiking-Jugend und der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) an. Er hat Kameradschaftsabende mit Kumpanen, er tauscht Nazi-Erinnerungsstücke mit einem Franzosen aus.
Den lädt Richter Rudolf Esders als Zeugen in die Schwurgerichts-Verhandlung ein. Ein Mensch, der ebenfalls der Nazi-Ideologie schon in jungen Jahren erlegen ist, sich der Waffen-SS angeschlossen hat und weiter seine rückwärts gewandte Gesinnung pflegt. Empört reagiert dieser Zeuge, als er als Neonazi bezeichnet wird: „Neonazi? Ich bin ein Altnazi“, wirft er sich im Gericht in die Brust.
Aus ganz Deutschland reisten Gesinnungsgenossen an
Im Zuschauerraum sitzen politische Anhänger des Angeklagten, die aus ganz Deutschland angereist sind. „Einer trug schwarze Hosen, braunes Hemd und eine Koppel“, sagt Richter Esders. Der greift beherzt durch, als der Angeklagte bei der Urteilsverkündung schreit: „Somit haben die Juden ihren Willen bekommen.“ Mehrere Zuschauer applaudieren und johlen.
Esders fragt Zeugen, wer von denen geklatscht habe und ordnet eine dreitägige Ordnungshaft für drei Männer an. „Das hat der Angeklagte mir sehr übel genommen, nicht das Urteil und sein Strafmaß, sondern dass ich seine ‚Kameraden‘ so hart rangenommen habe.“ Rudolf Esders bekommt seitdem wegen der latenten Gefahr, in der er schwebt, einmal jährlich eine Meldung von der Polizei in Gladbeck, dem Heimatort des Mannes, den er zu lebenslanger Haft verurteilt hat: Der Täter sitzt noch hinter Gittern.
Ein Hoffnungsschimmer ist geblieben
Rudolf Esders hat trotz der unverrückbaren Verblendung des Schwerverbrechers und der Gefahr, die von dem Mann ausgeht, dafür gesorgt, dass ihm ein Hintertürchen offensteht, um wieder in Freiheit zu gelangen. Denn Rudolf Esders hat bei der Urteilsbegründung mit einfühlsamen Worten in Erinnerung gerufen, dass auch dieser Angeklagte ein Mensch ist. „Ein Mensch in seiner unverlierbaren Würde und seinem unverlierbaren Anspruch auf Achtung, auch wenn er dieses humane Menschenbild jetzt noch nicht versteht.“ „Aber vielleicht tut er das ja eines Tages“, hat Esders noch hinzugefügt.
Der Täter sitzt seit 22 Jahren hinter Gittern.
Seit 20 Jahren als Lokalredakteurin in Dorsten tätig. Immer ein offenes Ohr für die Menschen in dieser Stadt, die nicht meine Geburtsstadt ist. Das ist Essen. Ehefrau, dreifache Mutter, zweifache Oma. Konfliktfähig und meinungsfreudig. Wichtige Kriterien für meine Arbeit als Lokalreporterin. Das kommt nicht immer gut an. Muss es auch nicht. Die Leser und ihre Anliegen sind mir wichtig.
