Familien mit Kindern und Singles finden nur mit viel Glück bezahlbare Wohnungen in Dorsten

© Claudia Engel

Familien mit Kindern und Singles finden nur mit viel Glück bezahlbare Wohnungen in Dorsten

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Bezahlbare Wohnungen in Dorsten sind knapp. Für Familien mit Kindern und Singles ist die Wohnungssuche schwierig. Die Mieten in Dorsten sind in den vergangenen vier Jahren kräftig gestiegen.

Dorsten, Wulfen-Barkenberg

, 15.11.2018, 04:55 Uhr / Lesedauer: 5 min

Christian (32) und Nicole (29) Karpinski freuen sich auf ihr drittes Kind. Es kommt im Mai 2019 zur Welt. Aber sie haben auch Grund zur Sorge. Denn ihre Wohnung an der Kampstraße 15 hat zwar 80 Quadratmeter, aber nur ein Kinderzimmer. Das teilen sich Niclas (5) und Mia (20 Monate). Seit der Geburt von Mia haben sich die Eheleute auf Wohnungssuche gemacht. Und dabei Absagen und Niederlagen kassiert: „Entweder sind größere Wohnungen viel zu teuer für uns oder in einem Zustand, den wir unseren Kindern nicht zumuten wollen“, sagt Christian Karpinski.

Singles sind genauso arm dran wie wachsende Familien

Der Landschaftsgärtner teilt seine Einschätzung mit Singles in Dorsten. Die alleinerziehende Mama Nadine Stein sucht ebenfalls verzweifelt und bislang vergeblich eine passende Wohnung in Dorsten. „Wenn ich Berichte höre, dass die Miete nicht mehr als ein Drittel des Nettoeinkommens eines Haushaltes ausmachen sollte, kriege ich einen Wutanfall.“ Eine Dreizimmerwohnung unter 750 Euro kalt, die zudem bewohnbar sei, die gebe es in Dorsten nicht.

Die Mieten lägen bei Weitem über dem, was zum Beispiel die Studie von „Prognos“ zum Wohnungsbautag 2017 für bezahlbar bei kleinen und mittleren Haushaltseinkommen hält - nämlich exakt ein Drittel des Nettoeinkommens, damit die Menschen ihren monatlichen Lebensunterhalt bestreiten können, ohne sich verschulden zu müssen.

Mietpreisentwicklung und Einkommen klaffen auseinander

Zwischen Mietpreisentwicklung und Einkommen hat sich die Schere in den vergangenen Jahren immer weiter auseinanderentwickelt. Prognos sagt, dass die Mieten in den Ballungsräumen seit 2011 um bis zu 17 Prozent zugelegt haben, die Einkommen aber lediglich um 7,7 Prozent. Dabei sei zu beachten, dass die Einkommenszuwächse in den unteren Einkommensgruppen deutlich geringer ausgefallen sind.

So liegt die Durchschnittskaltmiete in Deutschland bei 7,65 Euro pro Quadratmeter, in Dorsten sind es laut aktuellem Mietspiegel 7,33 Euro pro Quadratmeter. „Mehr als 800 Euro Warmmiete kann ich mir aber nicht leisten“, sagt Landschaftsgärtner Christian Karpinski. Er bekomme einen Mietzuschuss vom Sozialamt. „Wir wollen ja auch noch leben“, sagt er auch.

In vier Jahren stiegen die Mieten in Dorsten kräftig an

In Dorsten sind die Mieten, wie anderswo auch, seit 2014 kräftig gestiegen. Das ist der hohen Nachfrage nach Wohnraum einerseits und dem gleichzeitig stagnierenden Wohnraumangebot andererseits zuzuschreiben. Dorsten hat zwar im Vergleich mit Nachbargemeinden überdurchschnittlich viel gebaut, aber die Schaffung sozialen Wohnraums vernachlässigt.

„Wir brauchen dringend bezahlbaren Wohnraum“, sagt Ute Lorenz vom Familienbüro in Dorsten. Der Druck auf die Mittelschichtfamilien sei „verdammt hoch“, so äußerte sie sich auch in der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses. Die „relative Armut“ sei das Problem dieser Familien. „Und das Gefühl, nicht mehr mithalten zu können, sich das Leben nicht mehr leisten zu können.“

Es wird nicht nur zu wenig gebaut, sondern auch zu teuer

Nicht nur in Dorsten fehlt sozialer Wohnraum. Es seien regionale Wohnungsbaulücken entstanden, die sich gerade auf dem sozialen Wohnungsmarkt zeigen, sagt die Prognos-Studie aus: „Es wird nicht nur zu wenig gebaut, sondern auch zu teuer. Der Bestand an Sozialwohnungen ist um eine Million zurückgegangen, liegt aktuell bei unter 1,3 Millionen Wohnungen. Sozialwohnungen haben einen Marktanteil von nur noch 7 Prozent in Deutschland.“

Gleichzeitig zogen die Mieten in Dorsten, wie anderswo auch, zwischen 2014 und 2018 kräftig an, weil viele Menschen aus den Ballungsräumen ihr Glück in vier Wänden in Dorsten gesucht haben. Die Nachfrage ist gestiegen. Die Zuzügler aus den Großstädten im Revier nehmen das Pendeln zum Arbeitsplatz für das Wohnen in Dorsten und wegen der zu den Großstädten vergleichsweise günstigen Mieten in Kauf.

Mieten in Dorsten haben um 8,7 Prozent zugelegt

Immobilienscout, das Online-Portal für Käufer und Mieter, zeigt, wie die Entwicklung in Dorsten ist: Die Mietpreise in Dorsten haben zwischen 2014 und 2018 um 8,7 Prozent zugelegt, in Kreis Recklinghausen waren es sogar 9,2 Prozent.

Christian Karpinski und Nadine Stein bekommen die Preisentwicklung bei der Wohnungssuche zu spüren. Karpinski zahlt für seine Dreizimmer-Wohnung der LEG in Barkenberg zurzeit 340 Euro kalt. Das ist am unteren Ende dessen, was die LEG in Barkenberg verlangt. Für Barkenberg gelten Sondertarife. „Die durchschnittliche Angebotsmiete der aktuell angebotenen Wohnungen liegt bei 4,36 Euro; im rein frei finanzierten Bestand liegt die Angebotsmiete bei durchschnittlich 4,58 Euro“, sagt LEG-Sprecherin Judith-Maria Gillies auf unsere Anfrage.

Familie Karpinski würde gerne in Barkenberg bleiben

Christian Karpinski, gebürtiger Barkenberger, möchte deshalb gerne in Barkenberg bleiben, zumal seine Kinder und seine Frau hier ihre Kontakte haben. „Bislang haben wir aber nichts Passendes von der LEG als Alternative angeboten bekommen, obwohl wir sechs Wohnungen zur Auswahl hatten“, sagt Karpinski.

Eine Wohnung, die er gerne gehabt hätte, sei in letzter Sekunde abgesagt worden. Judith-Maria Gillies sagt, das habe daran gelegen, dass in der Wohnung kurzfristig ein Wasserschaden festgestellt worden sei. Eine andere Wohnung mit Garten wurde der Familie laut Auskunft von Karpinski von einem anderen Bewerber vor der Nase weggeschnappt.

„Bei Wünschen nach Wohnungswechseln legen wir – ähnlich wie bei Neuvermietungen – spezifische Kriterien an, die Interessenten erfüllen sollten. Dazu gehört unter anderem auch der pflegliche Umgang mit der derzeitigen Wohnung“, kommentiert Gillies die Standards für den „Interessentenwettbewerb“. So nennt die LEG das Bewerbungsverfahren für eine Wohnung. Karpinski weist die unverhohlene Kritik der LEG zurück: „Ich habe unsere Wohnung selbst renoviert, ich habe selbst tapeziert. Klar, ich bin kein Anstreicher und Maler, aber es sieht doch ordentlich aus“, sagt er.

190 von 1197 Wohnungen stehen leer

190 von 1197 Wohnungen der LEG in Barkenberg stehen zurzeit leer. Die LEG wägt nach eigenen Angaben genau ab, ob Angebot und Interessenten zusammenpassen. Trotz der sechs Offerten kamen Karpinski und LEG nicht zusammen. Er hofft aufs Beste, dass sich noch vor der Geburt des dritten Kindes eine Alternative eröffnet: „Falls wir passende Objekte im Angebot haben, werden wir sie wie bisher auch den Karpinskis anbieten“, sagt die LEG.

Der Leerstand in Barkenberg ist beträchtlich: hier LEG-Wohnungen an der Barkenberger Allee.

Der Leerstand in Barkenberg ist beträchtlich: hier LEG-Wohnungen an der Barkenberger Allee. © Claudia Engel

Die Dorstenerin Miriam Herrera antwortete uns auf unsere Facebookumfrage, welche Wohnungen bei Singles oder Paaren hoch im Kurs stehen, Folgendes: „Ich suche auch seit ca. zwei Jahren eine Single-Wohnung, die bezahlbar ist und nicht 600 Euro kalt kostet. Schlimm finde ich auch teilweise die Zustände gewisser Objekte. Wenn man mal was Bezahlbares gefunden hat, sind im Bad noch die Fliesen aus den 1930er-Jahren ...“

Prognos bestätigt in seiner Studie, dass vor allem Wohnungswechsler und Neumieter Probleme haben, bezahlbare Wohnungen zu finden. „Für Teile der Bevölkerung ist Wohnraum nur noch eingeschränkt bezahlbar. Das gilt insbesondere für Haushalte mit geringem bzw. mittlerem Einkommen.“

Sozialpolitischer Handlungsbedarf besteht

Bei Wohnungswechseln sei es eine Gruppe, die auf große Schwierigkeiten stoße: „Insbesondere bei Familiengründungen oder -erweiterungen, die in der Regel mit einem wachsenden Wohnflächenbedarf einhergehen, führt das Auseinanderfallen von finanziellem Nachfragepotenzial und Angebot zu erheblichen Problemen.“ Hier bestehe, so Prognos, sozialpolitischer Handlungsbedarf.

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Was kann eine Stadt wie Dorsten also für ihre Bürger tun, um sozialen Wohnraum anzustoßen oder zu schaffen? Auch darauf hat Prognos eine Antwort, nachdem die Studie ausführlich den „erheblichen sozial- und wohnungsbaupolitischen Handlungsbedarf“ dokumentiert hat. Prognos schlägt nach der Studie des Pestel-Institutes zum „Mietwohnungsbau 2.0 - bezahlbarer Wohnraum durch Neubau“ eine Senkung der Baukosten vor. Dies sei durch folgende Maßnahmen zu erreichen:

  • die lineare Abschreibung von derzeit zwei auf drei Prozent erhöhen,
  • die Baulandpreise um 25 Prozent senken,
  • Förderprogramme auflegen, um Zinssenkungen zu erreichen.

So könnten laut Prognos die Neubaukosten je nach Standort um bis zu 30 Prozent gesenkt werden. Die Landesbausparkasse hat für Dorsten ausgerechnet, dass jährlich 132 neue Wohnungen gebaut werden müssten, um die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum zu befriedigen.

Zwei Neubaugebiete werden entwickelt

Viel Arbeit also für die Stadt Dorsten, die die Neubaugebiete erklärtermaßen selbst steuern möchte, damit die vorhandene Infrastruktur zum Neubauangebot passt. Zurzeit wird ein Baugebiet am Nonnenkamp auf der Hardt und am Sportplatz Rhade entwickelt. Die Nachfrage nach Häusern und Mietwohnungen in beiden Gebieten ist irrsinnig hoch: Auf der Hardt stehen schon 600 Bewerber auf der Warteliste, in Rhade gab es 105 Bewerber.