Erst erschossen, dann geköpft Tierschützer entsetzt: Seltener Seeadler in Dorsten gefunden

Erschossen und geköpft: Seltener Seeadler in Lembeck gefunden
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Er war zum Maskottchen von Sciez geworden, einer kleinen französischen Stadt am Ufer des Genfer Sees, deren Name er trug. „Sciez“ war ein junges Seeadler-Männchen, ein Greifvogel, dessen Art streng geschützt ist. Umso entsetzter waren eigens aus Frankreich angereiste Tierschützer, als sie kürzlich nahe einer viel befahrenen Landstraße in Dorsten das tote Tier entdeckten - es war von einer Gewehrpatrone durchlöchert und dann enthauptet worden, auch die beiden Füße mit den Kennzeichnungsringen waren abgeschnitten.

Ein Vogelmord, der in den vergangenen Wochen bei einigen Zeitungen und auch TV-Stationen in Frankreich viel Resonanz fand - und jetzt auch die Justiz in Deutschland beschäftigt. Denn laut des Biologen und Vogelschutzexperten Axel Hirschfeld handelt es sich bei „Sciez“, der am 2. April (Sonntag) im Dorstener Stadtteil Lembeck nahe der L 608 und dem Kaisersweg aufgefunden wurde, um einen der ersten Seeadler, die sich vor Monaten im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten französischen „Wiederansiedlungsprogramms“ des Vogelparks „Les Aigles du Leman“ in der Region „Haute-Savoie“ ausgebreitet hatten - 130 Jahre, nachdem diese Vogelgattung am Lac Leman in Frankreich von Jägern ausgerottet wurde.

Axel Hirschfeld ist auch Pressesprecher des „Komitees gegen den Vogelmord“. Dieser gemeinnützige Verein kümmert sich derzeit in Kooperation mit dem französischen „Amt für biologische Vielfalt“ (sogenannte „Umweltpolizei“) um diesen ungewöhnlichen Fall - und sucht Zeugen, die Anfang April verdächtige Beobachtungen gemacht haben.

Toter Seeadler.
Der in Lembeck aufgefundene Jungadler wurde geköpft, seine Füße wurden abgeschnitten. © Privat

Eine wichtige Frage dabei ist: Wie gelangte „Sciez“, der vor sieben Monaten Fernweh bekam, seine ursprüngliche Heimat verließ und seitdem per GPS-Sender von Wissenschaftlern auf seinen Wanderungen durch Europa verfolgt werden konnte, überhaupt nach Lembeck?

Denn es steht fest, dass der Vogel schon einen Tag zuvor und fast 20 Kilometer weiter weg von einem unbekannten Wilderer abgeschossen wurde. Axel Hirschfeld: „Das haben die Daten des Senders, mit denen der Adler ausgestattet war, eindeutig bestätigt.“

Tod in Coesfeld

Laut dieser Daten befand er sich am 1. April (Samstag) - übrigens auf den Tag genau ein Jahr nach seiner Geburt - am Letter Bruch in Coesfeld. Dort müssen ihn die tödlichen Gewehrschüsse getroffen haben. Die übermittelten Daten wiesen nämlich ab da keine körperlichen Vitalzeichen und zunächst auch keine Bewegungen des Vogels mehr auf.

Und dennoch hat der Sender laut Axel Hirschfeld nach dem Tod des Vogels bis zum 2. April zwei weitere Signale gegeben: Zunächst aus Reken nahe der L 608, später vom letztendlichen Fundort in Lembeck. „Zwischendurch gab es keine Daten“, so Hirschfeld, „vielleicht gab es keinen Empfang, weil der tote Adler in einer Kiste lag und in einem Wagen abtransportiert wurde.“

Interview im Tierpark
Jacques-Oliver Travers - hier bei einem Interview - ist der Direktor des Tierparks, das die Seeadler am Genfer See wieder in freier Wildbahn ausgesiedelt hat. © Provat

Die französischen Vogelschützer haben den Seeadler am 2. April in Lembeck samt des teuren Senders abgeholt und in die Heimat überführt. „Eine tierärztliche Autopsie bestätigte den Verdacht, dass der Adler mit einem Jagdgewehr abgeschossen worden ist und die dadurch erlittenen Verletzungen die Todesursache waren“, so Hirschfeld.

Das Komitee, für das Axel Hirschfeld tätig ist, betreut das Projekt „EDGAR – Erfassungs- und Dokumentationsstelle für Greifvogelverfolgung und Artenschutzkriminalität“, das mit Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert wurde und sich nun über Spenden finanziert. Die Mitarbeiter dokumentieren alle bekannt gewordenen Fälle illegaler Greifvogelverfolgung in Deutschland, erstatten Strafanzeigen, beraten Finder, Zeugen und Behörden, bieten Vorträge an und recherchieren vor Ort.

Komitee-Mitarbeiter tragen tote Weißstörche
Mitarbeiter des Komitees gegen den Vogelmord sind auch im Ausland aktiv, hier im Norden des Libanons nahe der syrischen Grenze bei der Bergung illegal geschossener Weißstörche. © Komitee

„Mehr als 1.650 Fälle haben wir seit 2015 untersucht“, so Hirschfeld. Das Komitee steht im aktuellen Fall weiter mit den französischen Adlerschützern in Kontakt und hat inzwischen Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. „Alle vorhandenen GPS-Daten sowie eine umfangreiche Dokumentation wurden an die Staatsanwaltschaft Essen weitergeleitet“, so Hirschfeld: „Denn solche besonders geschützten Greifvögel abzuschießen, ist eine Straftat.“ Zeugen werden gebeten, sich entweder bei der Polizei oder in der Bonner Geschäftsstelle des Komitees (Tel. 0228-665521, E-Mail: EDGAR@komitee.de) zu melden.

Jacques-Olivier Travers, Direktor des französischen Tierparks und gleichzeitig Leiter des Seeadler-Wiederansiedlungsprogramms, zeigte sich in einem Interview mit dem TV-Sender „France 3“ entsetzt darüber, dass Kopf und Füße des Vogels „chirurgisch abgeschnitten“ worden seien. „Der Täter wollte sie wohl als Trophäe haben.“

„Menschen sensibilisieren“

Dem Schützen fiel aber nicht der Sender auf dem Rücken des Seeadlers auf. „Sonst hätten wir den Vogel nie gefunden und nie erfahren, was passiert ist“, so der Parkdirektor. Und wenn die Chancen auch gering seien, den Täter zu überführen, hofft Ravers zumindest, dass der Tod von Sciez die Menschen „weiter für den Schutz bedrohter Tierarten sensibilisiert“.

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