Jonathan (32) muss sich entscheiden In Israel kämpfen oder bei Familie in Dorsten bleiben?

Familie oder für Israel kämpfen? Gewissensfrage quält Jonathan Yitzchaik
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Die ersten Rakten schlagen am frühen Samstagmorgen auf israelischem Boden ein. Der großangelegte Angriff der Hamas hat begonnen. Die Terroristen töten die ersten Zivilisten. Sie verschleppen Soldaten, Alte, Frauen und Kinder in den Gazastreifen. Mehr als 4000 Kilometer entfernt wacht Jonathan Yitzchaik in Dorsten auf. Die Nachrichten schocken ihn, als er auf sein Smartphone schaut.

Der 32-Jährige ist nahe Jerusalem geboren und aufgewachsen. Seine Eltern und Geschwister leben noch immer in dem von den Angriffen geplagten Land. Vor gut vier Jahren ist der Programmierer mit seiner Frau Judith Höffkes und dem gemeinsamen fünfjährigen Sohn nach Deutschland gekommen. Erst seit Januar 2023 wohnt die junge Familie in Dorsten.

Jonathan Yitzchaik und Judith Höffkes
Jonathan Yitzchaik und Judith Höffkes haben sich 2014 kennengelernt und leben nun mit ihrem Sohn in Dorsten. © Julian Preuß

Schwer, die richtigen Worte zu finden

Auf englisch erzählt Jonathan Yitzchaik, wie überrascht er von den heftigen Attacken gewesen ist. „Eigentlich dachte ich, dass sich die Sicherheitslage von Gaza stabilisiert hätte“, sagt er. Es fällt ihm schwer, die richtigen Wort für die brutalen Angriffe zu finden. Er habe versucht, seine Familie zu erreichen.

Die erlösende Nachricht: Eltern, Schwester und Bruder sind wohlauf - obwohl die Raketen auch nahe ihrer Aufenthaltsorte eingeschlagen sind. „Jeder ist okay“, sagt Jonathan Yitzchaik. „Aber meine Mutter hat das Haus seit über zwei Tagen nicht verlassen.“

Israelische Sicherheitskräfte inspizieren ein beschädigtes Haus in der Nähe von Jerusalem. Es war zuvor von Raketen aus dem Gazastreifen getroffen worden.
Israelische Sicherheitskräfte inspizieren ein beschädigtes Haus in der Nähe von Jerusalem. Es war zuvor von Raketen aus dem Gazastreifen getroffen worden. © picture alliance/dpa/AP

Die Angst ist riesig, aber nicht neu. Groß geworden ist Jonathan Yitzchaik während der Zweiten Intifada Anfang der 2000er Jahre - einem gewaltsamen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis.

„Ich habe Klassenkameraden sterben sehen“

Zahlreiche unkontrollierte Waffen seien damals im Umlauf gewesen - mit blutigen Folgen. Attentate seien an der Tagesordnung gewesen, erinnert sich Jonathan Yitzchaik: „Ich habe Klassenkameraden und Freunde sterben sehen.“ Teilweise seien sie auf dem Schulweg umgekommen.

Noch immer präge ihn diese Zeit. „Ich habe ein ungutes Gefühl, wenn ich im Restaurant beispielsweise mit dem Rücken zur Tür sitze“, sagt er. Gleiches gelte für herrenlose Rucksäcke oder Taschen. Oft waren in ihnen Sprengsätze versteckt. Präsent gewesen sei deshalb immer ein Gedanke: „Wir brauchen eine starke Armee, die Israel beschützt.“

Jonathan Yitzchaik hat den Wehrdienst eigentlich hinter sich gebracht: „Ich bin seit sechs Jahren raus aus der Armee“, erklärt er. „Es ist lange her, dass ich eine Waffe in der Hand hatte.“ Vor „Ewigkeiten“ habe er das letzte Mal geschossen. Und doch sei es hart, nun soweit weg von dem Geschehen in der Heimat zu sein.

Israel soll weiter existieren

Vor allem für seinen fünfjährigen Sohn hat der 32-Jährige den Wunsch, dass Israel weiterhin existiert. „Er soll wissen, dass er mit Israel einen sicheren Ort hat, zu dem er gehen kann.“

Doch soll er wirklich seinen Sohn und seine Frau in Deutschland zurücklassen und nochmal für Israel kämpfen? So, wie es bereits zahlreiche andere Reservisten machen? „Das ist eine harte Frage“, meint Jonathan Yitzchaik. Seinen ehemaligen Kommandeur habe er bereits kontaktiert, ob er gebraucht wird und ob es für ihn Sinn macht, einzureisen. Ob er eingezogen wird, ist ungewiss.

„Das wäre hart für mich“, sagt seine Frau Judith Höffkes. „Vor allem wegen unseres Sohnes. Und wir haben beide unsere Jobs hier“, sagt die 36-Jährige. Kennengelernt haben sich der Programmierer und die studierte Islamwissenschaftlerin während eines Schottland-Urlaubes im Jahr 2014.

Familie in Israel gegründet

Später sei sie dann nach Israel gegangen, um eine Begegnungsstätte für Israelis und Palästinenser zu leiten. Und das eigentlich nur für zwei Jahre. Doch dann hätten sich die beiden wieder getroffen - und später eine Familie gegründet.

Eine klare Antwort hat Jonathan Yitzchaik deshalb nicht auf die Frage, ob er kämpfen soll. Unterstützen will er dennoch. Zumindest will er den Menschen in Dorsten helfen zu verstehen, welche Auswirkungen die Geschehnisse seit Samstagmorgen für Israelis haben.

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