Dorstener (86) kommt alleine nicht aus dem Haus „Ich werde als Mensch nicht wahrgenommen“

86-jähriger Rollstuhlfahrer kommt alleine nicht aus dem Haus
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Ächzend und krächzend zieht Heinrich Tewes an seiner Hauseingangstür. Der 86-Jährige ist gehbehindert und sitzt im Rollstuhl. Schleppend versucht er mit einer Hand die Klinke zu greifen und aufzuziehen, während er mit der anderen versucht, seinen Rollstuhl zu lenken. Es hat geregnet. Die Tür-Matte, vollgesogen mit Wasser, erschwert seine Anstrengungen. Er kommt nicht raus.

Immer wieder manövriert er den Rollstuhl vor und zurück, in der Hoffnung sie weit genug zu öffnen, damit er mit seinem Rollstuhl durchpasst. Es ist ein Spiel gegen die Zeit. Geht ihm vorher die Kraft aus? Bekommt er die Tür-Matte glatt? Ohne fremde Hilfe schafft es der 86-jährige gehbehinderte Bewohner seit einem Jahr nicht aus seinem Haus. Mit diesem Problem steht er nicht alleine dar.

Heinrich Tewes wohnt in einer seniorengerechten Wohnanlage Am See in Wulfen-Barkenberg. Seine körperliche Einschränkung ist kein Einzelfall. „Hier auf dem Flur wohnt noch eine Dame. Die ist 93 und kommt mit dem Rollator kaum durch die Tür.“

Dazu kämen noch einige andere Bewohner. Alltägliche Dinge, wie der Einkauf im Supermarkt oder der Gang zum Arzt werden zum Spießrutenlauf. Ist jemand da, der kommen und mir die Hauseingangstür aufmachen kann?

Rollstuhl vor Bodenmatte
Wenn es regnet, saugt sich die Bodenmatte voll und verkeilt die Eingangstür. © Janina Preuß

Vor einem Jahr wendet sich Heinrich Tewes hilfesuchend an seine Hausverwaltung. In einem Brief vom Oktober 2023 schreibt er: „Wir sind froh, eine altersgerechte Wohnung zu haben. Betreutes Wohnen setzt auch eine Barrierefreiheit in allen Bereichen voraus.

Die Handhabung der schwer zu öffnenden Haustür ist gerade für die Anwohner mühsam und es besteht eine Unfallgefahr. Eine elektronisch zu öffnende Haustür hilft vielen Mitbewohnern, den Lebensalltag besser zu meistern.“ 15 Bewohner unterschreiben den Brief in Solidarität.

Die Antwort lässt noch immer auf sich warten. Zwischendurch meldet sich Tewes beim Seniorenbeirat in Dorsten. Auch dieser wird aktiv und wendet sich nach eigener Aussage zweimal per E-Mail an die Hausverwaltung – ohne Erfolg. Aus Verzweiflung meldet sich der 86-Jährige bei unserer Redaktion. „Was mich so ärgert: Ich werde als Mensch gar nicht mehr wahrgenommen.“ Er fühlt sich ignoriert und im Stich gelassen.

Zeit mit seiner Frau verbringen

Ausziehen kommt für Heinrich Tewes nicht infrage. Seit zwei Jahren wohnt er in der seniorengerechten Anlage. Seine Frau ist an Demenz erkrankt und wohnt in einer Einrichtung nebenan. „Die ersten sieben Wochen habe ich bei meiner Frau in der Demenz-WG gelebt. Da habe ich es irgendwann nicht mehr ausgehalten.“ Alles, was der 86-Jährige jetzt möchte, ist selbstständig seine Frau zu besuchen, um noch so viel Zeit mit ihr zu verbringen, wie es eben geht.

Mann mit verlängertem Griff an einer Wohnungstür
An seiner Wohnungstür arbeitet Heinrich Tewes mit Tricks, um die Tür zu schließen. © Janina Preuß

Bei Recherchen, wird klar, dass die Hausverwaltung, die in seinem Mietvertrag steht, nicht mehr für Heinrich Tewes und die anderen Bewohner zuständig ist. Eine Tatsache, die dem 86-Jährigen, laut eigenen Angaben, nicht bekannt war. Vielleicht auch der Grund, warum niemand auf seine und die Kontaktversuche des Seniorenbeirats reagiert hat. Wann die Hausverwaltung gewechselt hat, ist unklar.

Erneuter Kontaktversuch

In einer E-Mail an die neue Hausverwaltung schildert die Redaktion die Problematik der Hauseingangstür und die Auswirkungen auf die Bewohner, der seniorengerechten Wohnanlage. Weiter wollen wir folgendes wissen:

  • Seit wann sind Sie für das Objekt zuständig?
  • Seit wann wissen Sie von der Problematik der Hauseingangstür?
  • Warum wurde weder auf das Schreiben von Herrn Tewes noch auf Kontaktversuche durch den Seniorenbeirat reagiert?
  • Wie gedenken Sie mit der Situation umzugehen? Was ist vielleicht schon geplant?
  • Wurden die Bewohner des Objektes vom Wechsel der Hausverwaltung in Kenntnis gesetzt? Wenn ja, wann? Wenn nicht, warum?

Diesmal lässt die Antwort kein Jahr auf sich warten. „Nach Rücksprache mit der Eigentümerin teile ich Ihnen mit, dass wir hierzu keinen Kommentar abgeben werden.“

Wie es jetzt für Heinrich Tewes und die anderen mobil eingeschränkten Senioren weitergeht, bleibt weiter unklar. „Die meinen, die können mit uns machen, was sie wollen.“