Sex, Lärm und Dreck in Dorstener Altstadt Anwohnerinnen trauen sich abends nicht aus dem Haus

Sex, Lärm und Dreck: Anwohnerinnen trauen sich abends nicht aus dem Haus
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Entlang der Recklinghäuser Straße und vor dem Alten Rathaus bieten zahlreiche Händler Käse, Fleisch, Obst, Gemüse, Blumen und vieles mehr an. Wie eigentlich an jedem Donnerstag ist Markt in der Dorstener Innenstadt. Auch auf der Lippestraße bis hin zum Franziskanerkloster und darüber hinaus haben einige Beschicker ihre Stände aufgebaut.

Gegen 12 Uhr am Mittag sind viele Menschen unterwegs. Einige von ihnen nutzen die angenehme Sommerwärme und haben an den Tischen der Bäckerei Imping Platz genommen. Eine Mutter mit Kinderwagen sitzt am Trampolin, das auf dem kleinen Platz in den Boden eingelassen wurde und schaut ihrem Kind beim Spielen zu.

Sorgen und Angst bei Anwohnern

Auf den ersten Blick deutet nichts auf das hin, was einigen Anwohnern der Klosterstraße und Lippestraße seit einiger Zeit Sorgen, gar Angst bereitet. Das, was Anna* (*Name von der Redaktion geändert) erzählt, klingt nahezu fernsehreif.

Die Frau spricht von Gruppen junger Menschen, die sich vor allem spätabends und nachts auf dem Platz vor dem Kloster aufhalten. Anna berichtet von Geschrei rund um das Trampolin, Musik, die mitten in der Nacht aus Bluetooth-Boxen dröhnt. Glasscherben, Hülsen von Sonnenblumenkernen und anderer Müll seien die Überbleibsel an den folgenden Morgen.

Eine Telefonsäule in der Innenstadt
Die Telefonsäule am Franziskanerkloster in der Dorstener Innenstadt ist mit Schmierereien und Stickern übersät. © Julian Preuß

Nichts dergleichen liegt am Donnerstagmittag auf dem Boden. Lediglich die Telefonsäule fällt auf. Sie ist übersät von Stickern und Schmierereien in allerlei Farben. Spätestens bis Ende 2025 sollen alle Telefonstellen in Deutschland abgebaut sein, sagt eine Telekom-Sprecherin im Juni 2024 gegenüber dieser Redaktion.

Architektur verstärkt Lautstärke

Wann dieser kleine unschöne Fleck an der Kreuzung Klosterstraße/Lippestraße verschwindet, ist damit absehbar. Die Probleme aber bleiben, meint Anna. Sie spreche für eine Nachbarschaft von etwa zehn Familien, die sich zusammengetan haben. „Durch die Architektur des Klosters wird die Lautstärke noch verstärkt“, fügt die Anwohnerin hinzu.

Auf Nachfrage teilt die Stadtverwaltung Dorsten mit, dass der Ordnungsbehörde „Beschwerden über wiederkehrenden Lärm und Verschmutzungen in diesem Bereich“ vorliegen.

Anna sagt, dass die Anwohner regelmäßig die Polizei informieren würden. Andreas Lesch, Pressesprecher der zuständigen Polizei Recklinghausen, bestätigt dies und konkretisiert, dass es seit Beginn des Jahres rund 40 Anzeigen wegen Ruhestörungen gegeben habe. Diese seien nicht auf eine große Menge, sondern eher auf einzelne Anwohner zurückzuführen.

„Wir sehen eine Konzentration in den Sommermonaten“, sagt der Polizeisprecher weiter. Ungewöhnlich sei diese Beobachtung zu dieser Jahreszeit grundsätzlich erstmal nicht. Zumal dann Innenstadtbereiche auch abends und vor allem an Wochenenden von Natur aus stärker frequentiert seien als reine Wohngebiete.

Kiosk als Anlaufpunkt

„Stundenlang“ würden die jungen Leute vor dem kleinen Kiosk an der Klosterstraße verweilen, sagt Anna. Geöffnet hat dieser montags bis donnerstags von 8 bis 23.30 Uhr und freitags bis sonntags von 8 bis 0.30 Uhr.

Anna sagt, dass vor allem bei den Frauen inzwischen die Angst überwiege: „Wir verlassen ab 20 Uhr das Haus nicht mehr alleine.“ Sie vermutet zudem, dass „kriminelle Machenschaften“ vor sich gehen.

Die Anwohnerin schildert: „Es werden kleine Gegenstände gegen Geld getauscht.“ Sie ist sich sicher, dass mitten in der Stadt vor ihrer Haustür mit Drogen gedealt wird. Und sie geht noch weiter. „Die ziehen sich außerdem die Nasen auf den Tischen bei Imping.“ Mit „die“, meint Anna augenscheinlich junge Männer mit Migrationshintergrund.

Bäckerei kennt Problematik

Auf Nachfrage sagt Geschäftsführerin Julia Imping: „Wir haben von der grundsätzlichen Problematik gehört.“ Aber sie könne weder bestätigen noch ausschließen, dass nachts an den zusammengestellten Tischen der Bäckerei konsumiert oder gedealt werde.

Stadtverwaltung und Polizei bestätigen, dass Hinweise auf einen möglichen Drogenhandel eingegangen seien. Der Bezirksdienst der Polizei arbeite generell eng mit den entsprechenden Kommunen zusammen, sagt Polizeisprecher Andreas Lesch.

„Wir nehmen solche Hinweise sehr ernst“, sagt Andreas Lesch weiter. Von den zuständigen Stellen würden diese Hinweise geprüft. Tatsächlich feststellen könne die Polizei einen Drogenhotspot an der Kreuzung Klosterstraße/Lippestraße derweil nicht.

Polizei regelmäßig gerufen

Wenn sich dann Streifenwagen dem Franziskanerkloster nähern, würde sich die Gruppen so schnell zerstreuen, dass die Polizisten niemanden mehr antreffen. Deshalb, so erklärt Polizeisprecher Andreas Lesch, habe es bei der Hälfte der etwa 40 angezeigten Ruhestörungen keine Feststellungen gegeben.

Eine Ladenpassage
Die Franziskanergasse, die einen Durchgang von der Lippestraße zur Klosterstraße ermöglicht, dient als Fluchtweg und als Toilette. © Julian Preuß

Die örtlichen Gegebenheiten kommen Flüchtigen zugute. Rund um das Kloster bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, um schnell zu verschwinden oder heranfahrende Polizisten zu umgehen. Beispielsweise durch die enge und in Teilen unübersichtliche Franziskanergasse. Sie verbindet die Lippestraße und Klosterstraße miteinander.

Franziskanergasse wird zum Klo

Dieser wenige Meter lange Durchgang werde allerdings nicht nur als Fluchtweg genutzt, sagt ein weiterer Anwohner, der anonym bleiben möchte. „Tagsüber ist das hier völlig unspektakulär“, sagt er. Nach Ladenschluss in der Innenstadt - sprich nach 19 Uhr - ändere sich allerdings die Klientel. Und: Die Franziskanergasse verwandele sich in eine häufig frequentierte Toilette.

Nahezu täglich stinke es dort nach Urin und Kot. Der Anwohner schildert aus seiner Sicht die „Krönung“: Vor zwei oder drei Wochen habe es ein Pärchen nicht mehr bis nach Hause ausgehalten. Während sich Kundschaft in dem ansässigen Laden aufgehalten habe, hätte das Paar ungehemmt Sex in der Passage gehabt.

Der Anwohner urteilt: „Das ist an mangelndem gesellschaftlichen Verhalten nicht zu überbieten.“ Er fügt hinzu: „Wenn man versucht, die Leute darauf anzusprechen, muss man Angst haben, angegangen zu werden.“

Keine Überschneidung mit Café Kick

Ausdrücklich weist Anna darauf hin, dass die Probleme nicht auf die Klientel des Café Kick, eine niederschwellige Anlaufstelle samt Treffpunkt und Beratungsangebot der Caritas für Drogenabhängige, zurückzuführen sei. Die Caritas hat ihren Sitz in unmittelbarer Nähe am Westgraben.

Seit Mai 2021 gehört der Caritas das Klostergebäude samt Kirche und Ladenpassage. Geschäftsführer Patrick Domin bestätigt ebenfalls, dass sich vor Ort „etwas verändert hat“. Auch er spricht von Jugendlichen im geschätzten Alter von 16 bis 25 Jahren, die sich in den späten Abendstunden auf Höhe des Kiosks am Baumrondell sitzen.

Patrick Domin sieht damit ebenfalls keine Überschneidungen zwischen den Personen, die am Franziskanerkloster für Unruhe sorgen und den Abhängigen, die das Café Kick besuchen. Diese seien älter und hätten schon eine gewisse „Karriere“ hinter sich.

Keine Überschneidung mit Platz der Deutschen Einheit

Ähnlich sei das bei den Abhängigen, die sich am Platz der Deutschen Einheit und im Parkhaus am Recklinghäuser Tor aufhalten. Auch mit dieser Klientel gebe es auch seiner Sicht eher keine Überschneidungen.

Das von Anwohnerin Anna angesprochene Unsicherheits- und Angstgefühl bekomme er auch von Ladeninhabern der Franziskanergasse und Besuchern von abendlichen Selbsthilfegruppen gespiegelt.

Dass Teilnehmer aus Angst nicht mehr zu ihren Selbsthilfegruppen gehen, sei indes noch nicht vorgekommen, sagt Patrick Domin. Er ergänzt: „Es wäre fatal, wenn Menschen deshalb in ihrem Krankheitsbild rückfällig werden.“

Gespräch mit allen Beteiligten

Die große Frage bleibt derweil: Wie gehen alle Beteiligten am besten mit der Situation um? Um Antworten darauf zu finden, gab es ein Gespräch, bei dem Vertreter der Anwohner, Caritas, Ordnungsamt und Polizei sowie Bürgermeister Tobias Stockhoff anwesend waren.

Ein Platz in einer Innenstadt
Auf diesem Platz in der Dorstener Innenstadt sorgen abends und nachts junge Menschen für Lärm. © Julian Preuß

Angesprochen auf das Gespräch teilt die Stadtverwaltung mit, dass den Anwohnern entsprechend Hinweise gegeben wurden. Grundsätzlich weist die Stadt darauf hin: „Wenn Zeugen den Verdacht haben, dass Straftaten begangen werden, sollte immer der Polizei-Notruf 110 gewählt werden, ebenso bei Ruhestörungen außerhalb der Dienstzeiten des Kommunalen Ordnungsdienstes.“

Anwohner und Anlieger könnten außerdem eine Art Protokoll führen, rät die Polizei. So bekämen alle Beteiligen ein umfassenderes Bild über das, was im betroffenen Bereich passiert.

Vorschläge diskutiert

Zudem wurden mehrere Vorschläge diskutiert, um unter anderem den Lärm zu mindern, der von der nächtlichen Nutzung des Trampolins ausgeht. Zunächst, so die Stadt, handele es sich dabei um ein Spielgerät und nicht um einen Spielplatz. Demnach müssten dort keine Nutzungszeiten ausgeschildert werden.

Von der Verwaltung heißt es: „Ferner haben wir der Anwohnerin aufgrund von Fallbeispielen aufgezeigt, dass ein Hinweisschild die Problemstellung nicht beheben wird. So wird sich z. B. eine Gruppe von alkoholisierten jungen Menschen, die nach einem Fest durch die Innenstadt ziehen, auch nicht durch ein Schild aufhalten lassen, das Trampolin um 23 Uhr zu benutzen.“

Caritas-Geschäftsführer Patrick Domin schildert, dass man Rolltore und Kameras an der Franziskanergasse installieren könne. Das könne möglicherweise die Vorfälle in der Passage reduzieren.

Umsetzung fraglich

Fraglich sei hingegen, ob diese Maßnahmen die allgemeine Situation verbessern würden und ob diese überhaupt umsetzbar wären. Beispielsweise aus baulichen und datenschutzrechtlichen Gründen.

Für eine Videoüberwachung sprach sich in der Vergangenheit bereits SPD-Ratsherr Friedhelm Fragemann aus, allerdings im Bereich des Kanalufers.

Die Stadt erklärt unterdessen, dass aufgrund der Anwohnerbeschwerden „die Frequenz für Streifengänge durch den Kommunalen Ordnungsdienst“ erhöht wurde. Es lägen außerdem erste Rückmeldungen aus der Anwohnerschaft vor, dass diese Maßnahme wahrgenommen wurde.

Auch Polizeisprecher Andreas Lesch berichtet, dass der Bereich Klosterstraße/Lippestraße „seit einiger Zeit stärker bestreift“ werde. Diese Maßnahme habe „präventiven Charakter“ in der Innenstadt, sagt er. „Außerdem schauen wir, ob wir die Streifen möglicherweise weiter intensivieren.“

Denn vor allem dann, wenn keine Geschäfte geöffnet haben und keine Händler ihre Waren auf dem Markt anbieten, zeigt sich rund um die Klosterstraße und Lippestraße ein anderes Gesicht der Innenstadt.