Folgen, Aufarbeitung und Lehren Trio spricht über Amokdrohung an der Neuen Schule Dorsten

Amokdrohung: Team der Neuen Schule über Folgen, Aufarbeitung und Lehren
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Noch immer wirkt Bärbel Guske emotional angefasst, wenn sie über das spricht, was sich am 22. November 2023 an der Neuen Schule Dorsten zugetragen hat. Eine damals 14-jährige Schülerin löste mit einem Drohanruf einen Amokalarm aus. Ein online aufgetauchtes Video zeigte zudem einen Schüler, der mit einem vermeintlichen Messer spielte. Die Folge: ein großer Polizeieinsatz, an dem auch ein Spezialeinsatzkommando (SEK) beteiligt war.

Der Haupteingang der Neuen Schule Dorsten
An der Neuen Schule Dorsten wurde die Amokdrohung vom 22. November 2023 und deren Folgen aufgearbeitet. © Julian Preuß

Die Lehrerin erzählt im Dezember 2024: „Ich habe die Amokdrohung aus der Elternperspektive erlebt.“ Sie sei nicht im Dienst und damit auch nicht in der Schule gewesen. Da sie aber unweit der Sekundarschule wohne, habe es sie nicht zu Hause gehalten.

Schule wurde geräumt

Von außen habe sie gemeinsam mit zahlreichen Eltern und Angehörigen beobachtet, wie Polizisten den Gebäudekomplex an der Juliusstraße räumten und durchsuchten, die Kinder und Jugendlichen zunächst in die nahegelegene Turnhalle und anschließend zum Treffpunkt Altstadt brachten. Dort holten Eltern und Angehörige sie ab.

Körperlich verletzt wurde niemand. Dennoch erhob die zuständige Staatsanwaltschaft Essen Anklage gegen zwei Mädchen. Eines der Mädchen soll den Drohanruf getätigt haben. Ihre Komplizin soll ihr dabei geholfen haben.

Zwischenzeitlich wurde gegen zwei weitere Mädchen und zwei Jungen ermittelt. Unter anderem, weil das vermeintliche Messervideo aufgenommen wurde. Das Messer habe sich im Nachgang als „reines Trainingsmesser ohne scharfe Klinge oder Spitze“ herausgestellt. Die Staatsanwaltschaft Essen stellte die Ermittlungen gegen die übrigen vier Jugendlichen ein.

Ereignisse aufgearbeitet

Derweil hat auch die Neue Schule Dorsten die Ereignisse in den vergangenen Monaten aufgearbeitet. Neben Lehrerin Bärbel Guske und Matthias Schütze, Vorsitzender der Elternpflegschaft, sitzt Schulleiterin Susanne Bender mit am Tisch.

Sie legt gelbe Notizzettel aus. „Folgen der Drohung“, „Gewaltprävention“, „Schulsozialarbeit“, „Wahrnehmung der Schule“ und einige weitere Schlagworte sind darauf zu lesen. Auch eine digitale Pinnwand gibt es.

Susanne Bender sagt mit Blick auf die Abläufe, die nach der Drohung in Gang gesetzt wurden: „Aus polizeilicher Sicht war das ein Bilderbuchablauf. Es war genau richtig, wie es gelaufen ist.“

Einsatz „wie aus dem Lehrbuch“

Schon wenige Tage nach der Tat kam Jürgen Dekker, Einsatzleiter der Polizei Münster, während eines Infoabends für Eltern zu dem Fazit, dass die Beteiligten „absolut vorbildlich“ reagiert hätten und der Einsatz „wie aus dem Lehrbuch“ abgelaufen sei.

Man habe sich auf alle verlassen können, fügt Lehrerin Bärbel Guske rückblickend hinzu. Auch die Stadt habe schnell geholfen. Sie fasst zusammen: „Man ist gut versorgt. Das gibt Sicherheit.“

Doch das, was für Sicherheit gesorgt habe - sprich: das große Aufgebot von Rettungskräften und Polizei samt SEK sowie die Einrichtung einer Sammelstelle am Treffpunkt Altstadt - habe in der öffentlichen Wahrnehmung für das exakte Gegenteil gesorgt, sagt Susanne Bender. „Trotz des Lobes“, sagt sie, „blieb das Unsicherheitsgefühl.“

Probealarme lösen Ängste aus

Die habe sich in den Monaten nach der Drohung beispielsweise während der regelmäßigen Alarmübungen gezeigt. Darauf weist auch Stadtsprecher Ludger Böhne hin: „Uns ist bekannt, dass viele der Kinder unter der Situation gelitten haben und bis heute leiden. Schon verpflichtende Probealarme lösen auch heute noch Ängste und Belastungen aus.“ Vorsorglich, ergänzt Susanne Bender, sei das Kollegium deshalb sensibilisiert worden, verstärkt auf die Reaktion der Schüler zu achten.

Dabei versuchten die Verantwortlichen bereits kurz nach der Amokdrohung den psychischen Folgen entgegenzuwirken. Susanne Bender blickt zurück: „Wir saßen abends noch zusammen und haben überlegt: ‚Was passiert morgen?‘“

Rund 15 Schulpsychologen, zusammengezogen aus unterschiedlichen Bereichen, seien an die Schule gekommen, um je nach Bedarf das Erlebte mit Lehrern, Schülern und Eltern zu besprechen.

Schulsozialarbeit wird ausgebaut

Zusätzlich hatte Dorstens Schuldezernentin und Erste Beigeordnete Nina Laubenthal während des Eltern-Infoabends Ende November 2023 angekündigt, dass die Schule eine weitere Schulsozialarbeiterstelle bekomme.

Über ein Jahr später arbeiten drei Sozialarbeiter an der Neuen Schule. Zudem werde das Team weiter ausgebaut, kündigt Susanne Bender an. Eine weitere Stelle in der Schulsozialarbeit sei kurz vor der Besetzung, bei einer weiteren Stelle werde es wohl im Februar 2025 soweit sein. Susanne Bender dazu: „Mit fünf solcher Stellen sind wir weit vorne.“

Entsprechend viel (gewalt-)präventive Arbeit werde geleistet. Dazu gehören unter anderem Sozialtrainings in verschiedenen Jahrgangsstufen, beispielsweise das Programm „Stark im Miteinander - Fair Mobil“ für die fünften Klassen. Die Schüler lernen so unter anderem spielerisch, konstruktiv mit Konflikten umzugehen.

Tagebücher als Ventil

Oder das Projekt Changewriters. Das Schreiben von Tagebüchern soll für die Kinder und Jugendlichen zu einem Ventil werden. Lehrerin Bärbel Guske habe das Tagebuchschreiben mit Erfolg in ihrer fünften Klasse eingeführt.

Einige weitere Punkte: die Einführung von Klassenräten, UNESCO-Projekttage - die Neue Schule möchte UNESCO-Projektschule werden - oder im Fall der Fälle auch erzieherische Maßnahmen.

Ein Nebeneffekt der Amokdrohung: Die Dorstener Sekundarschule sei nochmals in den Fokus der Bezirksregierung Münster gerückt - und damit auch der Mangel an Lehrkräften, sagt Matthias Schütze, Vorsitzender der Elternpflegschaft. Dieser Aspekt und der damit einhergehende Unterrichtsausfall sei schon mehrfach auch durch die Elternschaft angemerkt worden. Die Eltern, so Susanne Bender, hätten sich zurecht beschwert, dass so viel Unterricht ausgefallen sei.

Abordnungsstellen füllen Lücken auf

Susanne Bender erklärt mit Blick auf die Zahl der Lehrkräfte, dass die Schule nach der Drohung inzwischen wieder bei annähernd 100 Prozent angekommen sei. Vor gut einem Jahr seien es nur knapp 90 Prozent gewesen. Sogenannte Abordnungsstellen - also Lehrkräfte, die von woanders an die Neue Schule Dorsten gezogen wurden - hätten die Lücken aufgefüllt.

Das bedeute aber dennoch nicht, dass alle Lehrkräfte tatsächlich unterrichten. Schließlich gebe es auch Lehrkräfte, die innerhalb der Schule andere Aufgaben haben oder besondere Funktionen übernehmen. Diese stünden dann nicht für den Unterricht zur Verfügung.

Des Weiteren habe es Fortbildungen für das Lehrpersonal gegeben, auch in Zusammenarbeit mit der Polizei, sagt Susanne Bender. Ein Aspekt: die Messer-Thematik. Nach der Amokdrohung sorgte das Video des Trainingsmessers mit dafür, dass etliche schwer bewaffnete Polizisten die Schule durchsuchten. Susanne Bender betont: „Messer werden in der Schule nicht akzeptiert.“

Allerdings habe es in der Zeit vor der Tat Einzelne gegeben, die dachten, sie könnten beispielsweise mit einem Messer ihre Sicherheit erhöhen. Bei Hinweisen, dass eine Person ein Messer bei sich habe, sei es wichtig, die entsprechenden Jugendlichen direkt aus dem Unterricht zu holen. Entweder, sie würden das Mitführen eines Messers freiwillig zugeben und den Gegenstand aushändigen, oder es werde die Polizei informiert. Die Schulleiterin erklärt aber auch: „Es gab bisher keine Situation, in der Schülerinnen und Schüler mit einem Messer angegriffen wurden.“

„Mehr auf Erfolge gucken“

Grundsätzlich, da sind sich Susanne Bender, Bärbel Guske und Matthias Schütze einig, müsse wieder Vertrauen in die Sicherheit aufgebaut, Normalität einkehren und auch wieder über andere Inhalte gesprochen werden. Bärbel Guske meint: „Wir müssen mehr auf die Erfolge, auch auf die kleinen Erfolge, gucken.“