Vor sieben Jahren erlebt Richard Krause seinen ganz persönlichen Thriller: Er verliert plötzlich an Sehkraft und ist hilflos auf der Autobahn. Heute schreibt er Ruhrgebietskrimis.
Ein Psychokiller mordet sich durchs nördliche Ruhrgebiet. Wahllos passt er nach dem Training junge Fußballer ab und bringt sie bestialisch um. Besorgte Eltern bilden Fahrgemeinschaften oder melden ihre Kinder gleich ganz aus Vereinen ab. Obwohl die Spezialisten vom Landeskriminalamt den Mörder nach und nach immer besser beschreiben können, bleibt er ein Phantom. Eine Spur führt Kriminalhauptkommissar Rolf Fänger nach Barkenberg.
„11 tote Freunde müsst ihr sein“ ist das zweite Buch von Krimiautor Richard Krause alias Richard Blynd. Der Künstlername ist nicht zufällig gewählt. Vor sieben Jahren diagnostizierten Ärzte bei Krause eine Altersbedingte Makula-Degeneration (AMD). Die Makula ist der zentrale Bereich der Netzhaut, wo das Sehen eigentlich am schärfsten ist. AMD-Betroffene sehen an dieser Stelle allerdings nur verschwommen. Krause hat eine besonders schwere Form der Krankheit und nur noch zwei Prozent Sehvermögen. Damit gilt man offiziell als blind. Schwacher Trost: Schlimmer, also komplett dunkel, wird es bei ihm nicht mehr.
Plötzlich hilflos auf der Autobahn
Bis zu seiner Erkrankung war Krause immer auf Achse. „Autofahren war mein Hobby“, sagt der 64-Jährige. Er fuhr Taxi, später auch Kranken- und Schwertransporte, bis er eines Tages den Tacho nicht mehr lesen konnte. Dann ließ das Sehvermögen auch bei Nacht plötzlich stark nach. „Ich weiß noch, wie ich mich auf der Autobahn zur Orientierung erst ans Rücklicht eines Lkws geklebt habe und dann irgendwann anhalten musste, weil ich völlig hilflos war.“
Schuld an der Erkrankung sei sein schlechter Lebensstil, sagt Krause. „Rauchen, trinken, fettes Essen. Wobei ich mein erstes Bier mit 34 getrunken habe. Es war also eher das Essen.“ Öffentlich outet er sich nicht als Blinder. Der Stock bleibt im Schrank, nicht mal den kleinen gelben Pin mit den drei schwarzen Punkten steckt er sich an die Jacke. Es gab eine Zeit, da hat er das gemacht. „Dann hat mich mal ein Trickdieb in Bremen beklaut, seitdem lasse ich es.“
Krause hat gelernt, mit der Behinderung zu leben. Es ist auch nicht so, dass er ständig irgendwo davor läuft. Er kann Umrisse schemenhaft erkennen, Straßenschilder und Gesichter aber nicht. Jeden Tag fährt er mit dem Zug nach Essen, wo er bei einem Taxiunternehmen arbeitet. Kaffee kochen mit der modernen Maschine daheim in Reken ist auch kein Problem. Nur das Lesen fällt schwer. Und damit auch die Recherche für seine Bücher.
Mühsame Recherche am Riesen-Monitor
Wenn Krause eine Buchseite lesen will, muss er sie unter eine digitale Lupe legen. Das Gerät scannt die Seite ein und überträgt sie auf einen 32-Zoll-Monitor. Eine Spezialsoftware vergrößert das Eingescannte um das 20-Fache. Krause rückt dann ganz nah an den Monitor ran und arbeitet sich durch den Text. Buchstabe für Buchstabe. Er hat auch ein Vorleseprogramm. „Aber damit macht es noch weniger Spaß, Bücher zu lesen. Das nehme ich nur für Briefe.“

Wenn Richard Krause mal eben etwas im Atlas nachschauen will, muss er die Seite einscannen, zurechtschneiden und mit einer Spezialsoftware auf das 20-Fache vergrößern, um etwas erkennen zu können. © Robert Wojtasik
Fürs Schreiben nutzt Krause ein Programm, das Sprache in Text umwandelt. Er diktiert die Sätze ins Mikrofon und auf dem Bildschirm erscheint der Text. Das geht schnell, kann aber auch nervig sein, weil die Software so ihre Macken hat. „Wenn ich zum Beispiel ‚Der junge Mann‘ diktiere, schreibt das Programm ‚junge‘ immer groß.“ Dann kommt für Krause das Schlimmste am Schreiben: das Korrigieren. Also wieder ranzoomen, Stelle finden und ausbessern. „Das ist wahnsinnig anstrengend für meine Augen.“ Krause, gelernter Kaufmann, ärgert sich dann immer, dass er sich früher auf der Handelsschule geweigert hat, das Zehnfingersystem zu lernen. „Ich wollte nie blind schreiben, heute rächt sich das.“
„Die Architektur in Barkenberg störte mich“
In Krauses Büchern gibt es immer wieder Bezüge zu Dorsten. Da kommt zum Beispiel ein Bestatter vor, den es wirklich gibt. In „Hundspetersilie“, seinem ersten Werk, stirbt ein Mann in der Regionalbahn von Oberhausen nach Dorsten. Dass der Killer in „11 tote Freunde müsst ihr sein“ in Barkenberg lebt, „ist aber reiner Zufall.“
In den Siebzigern hat Krause mal in Barkenberg gelebt. Der älteste seiner drei Söhne ist in Dorsten geboren. „Eigentlich war immer alles gut. Zu der Zeit war ich CB-Funker, meine Frau und ich haben dort auch schnell Freunde gefunden.“ Wirklich warm mit dem Dorstener Stadtteil wurde er trotzdem nie. „Ich kann gar nicht genau sagen warum. Vielleicht war es die Architektur, die störte mich.“
Sohn wollte nicht, dass über ihn geschrieben wird
Früher wollte Krause unbedingt Polizist werden. Aus gesundheitlichen Gründen ging das nicht. Den Weg ist dann sein in Dorsten geborener Sohn gegangen, der heute bei der Bundespolizei arbeitet. „Über ihn und seine Arbeit bei der Polizei wollte ich eigentlich auch mein erstes Buch schreiben, aber das hat er sich verbeten.“
Polizeiarbeit spielt dennoch eine große Rolle in Krauses Büchern. Krimis eben. „Ich habe ein paar gute Kontakte und war auch schon öfter mal mit auf Streife.“ Die Figur des Kriminalhauptkommissars Rolf Fänger, der in beiden Büchern ermittelt, basiert auf einem echten Polizisten.
Ein Laie, der gerne Geschichten erzählt
Krause ist keiner, der ewig an Formulierungen feilt. Manchmal braucht er nur ein paar Minuten für eine Buchseite. Die Geschichten lesen sich so, wie sie entstehen: Krause setzt sich an seinen riesigen Bildschirm, nimmt sein Mikro und erzählt drauflos. Er sagt selbst, er sei absoluter Laie. Es macht ihm einfach Spaß, Kriminalgeschichten zu erzählen.
Hinter Krause steht kein klassischer Verlag. Er veröffentlicht bei Books on Demand, einer Plattform für Eigenpublikation. Gedruckt wird nur auf Bestellung. Schreiben, vervielfältigen, vermarkten – der Autor macht alles selbst und trägt auch das finanzielle Risiko.
Um „11 tote Freunde müsst ihr sein“ auch analog an den Mann zu bringen, hat Krause die Buchhandlungen in der Region abgeklappert. „König & Parrenin in Dorsten war die einzige, bei der ich meine Bücher auslegen durfte.“ 30 Stück auf Kommission hat er dagelassen.
Einst aus Sachsen nach Westfalen rübergemacht. Dort in Münster und Bielefeld studiert und nebenbei als Sport- und Gerichtsreporter gearbeitet. Jetzt im Ruhrpott gelandet. Seit 2016 bei Lensing Media.
