Der dienstälteste Friseur Dorstens hört auf Jürgen Rütter (79) geht nicht ganz freiwillig

Von Klaus-Dieter Krause
Jürgen Rütter (79), der dienstälteste Friseur von Dorsten, hört auf
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Jürgen Rütter bekam von seinem Vermieter völlig überraschend die Kündigung der Geschäftsräume an der Klosterstraße 6. Am 30. Dezember ist deshalb Schluss. Dabei hätte der 79-Jährige, tatkräftig unterstützt von seiner Familie, gern noch weiter gemacht. Denn Rütter ist wahrlich ein Friseur mit Leib und Seele. Ihm wurden Schere und Kamm quasi in die Wiege gelegt.

Seine gesamte Familie hat sich dem Friseurhandwerk verschrieben. Seine Eltern, seine Geschwister („von vier Kindern scherte nur eines aus und wurde Beamter“, scherzt Rütter, „das ist das schwarze Schaf der Familie.“), seine Frau Brigitte und seine beiden Töchter Sandra und Jessica wuschen ebenfalls der Kundschaft die Köpfe und sorgten dafür, dass alle gut frisiert den Heimweg antraten.

Vater Gustav Rütter absolvierte einst seine Lehre im Dorstener Salon Goebels. Danach zog es ihn nach Brünen, wo er sich selbstständig machte. Und dort ist die Friseurdynastie Rütter bis heute aktiv. Jetzt betreibt dort der Sohn von Jürgen Rütters verstorbenem Bruder den Laden.

Mit 21 Jahren einen Salon übernommen

Jürgen Rütter lernte im väterlichen Salon von der Pike auf sein Handwerk. Und das muss eine gute Schule gewesen sein. Denn bereits mit 21 Jahren übernahm er in Bad Berleburg einen Herrensalon und machte sich mit nur 23 Jahren mit seiner Ehefrau Brigitte in Dorsten selbstständig.

Dort schloss sich ein Kreis: Die Familie Rütter übernahm am 1. September 1967 den Salon Goebels in Dorsten, in dem Vater Gustav das große Einmaleins der Haarschneide-Kunst gelernt hatte.

Jürgen Rütter mit Familie und Angestellten
Im Kreise seiner Familie und seiner Angestellten fühlte sich Jürgen Rütter immer Wohl. © Berthold Fehmer

Doch für seinen Sohn Jürgen hörte das Lernen auch als Meister nicht auf. Rütter nahm an Fortbildungen teil und fiel durch seine Fertigkeit dem Kursleiter so positiv auf, dass der ihn überredete, als Ausbilder mit ihm an Wochenenden „auf Tour“ zu gehen. So kam der Dorstener in Europa weit herum. Mal ging es nach Österreich, mal nach England, nach Manchester oder London.

Dafür musste man stets auf dem Laufenden sein. Voraussetzung war, die 25 weltweit angesagtesten Frisuren zu beherrschen. Und weil Rütter das beherrschte, durfte er sich mit Fug und Recht „Intercoiffeur“ nennen. Ein Titel, der bis heute den Salon schmückt.

Prominente Kunden

Daher kam die Familie auch niemals in Versuchung, sich an dem Wettbewerb um den originellsten Geschäftsnamen zu beteiligen. Kreationen wie „Sahaara“ oder „Ponyhof“ überließ man anderen, die Bezeichnung „Intercoiffeur Rütter“ hatte Strahlkraft genug, um eine treue Stammkundschaft zu gewinnen.

Der Andrang war zeitweise so groß, dass die Familie Rütter einen zweiten Salon im Lippetorcenter eröffnete. Um den „Struwwelpeter“ kümmerten sich Brigitte Rütter und die Töchter Sandra und Jessica. Und Jürgen Rütter freute sich, dem damaligen Dorstener Bürgermeister Hans Lampen den Kopf zurechtrücken zu dürfen.

Jürgen Rütter 1977 mit Pop-Duo Baccara
Das Pop-Duo Baccara frisierte Jürgen Rütter einst für einen Fernsehauftritt. © privat

Aber da Rütter die Fortbildungen im Auftrag von Firmen wie Wella oder Alpecin später in Gelsenkirchen allein weiter führte, kamen auch bundesweit prominente Kunden hinzu. „Yes Sir, I Can Boogie“, kann Rütter zu Recht sagen, denn in Dorsten frisierte er das Nr.-1-Hit Pop-Duo Baccara für einen Fernsehauftritt. Im Auftrag von RTL kümmerte sich der Dorstener auch um die Frisur von TV-Legende Frank Elstner. Und Schalkes Manager Rudi Assauer.

So konnte Jürgen Rütter seiner Fußballbegeisterung auch während der Berufsausübung weiterhin frönen. Durch die Familie und die zeitliche Belastung hatte seine vielversprechende Karriere im Leistungssportbereich mit 28 Jahren ein Ende gefunden.

Sportliches Multitalent in der Freizeit

Denn Rütter war in jungen Jahren ein äußerst talentierter Sportschütze. Das begann mit dem Luftgewehr und führte zum Kleinkaliberschießen über eine Distanz von 50 Meter. Und dabei traf Jürgen Rütter meist ins Schwarze: Auf die Vereins- und Kreismeisterschaft folgten die Bezirks- und Landesmeisterschaft. Schließlich ging es sogar um den deutschen Meistertitel, wobei Rütter sich mit Rang 18 unter 400 Teilnehmern sehr gut schlug.

Parallel dazu lief er halbrechts im Mittelfeld für seine Fußballvereine auf den Platz. Zunächst für Brünen, später für Dorsten-Hardt. Und als der enge Zeitrahmen dafür keinen Platz ließ, suchte sich das sportliche Multitalent andere Betätigungsfelder: Skifahren im Winter, Tennis im Sommer. Dazu einmal in der Woche Tanzen und Radfahren.

Schalke-Fan überlässt den Frauen das Reden

In Schwung bleiben ist für ihn lebenswichtig. Denn nach einem Schlaganfall musste Rütter ein Jahr lang pausieren, kehrte aber mit eisernem Willen wieder in den Salon zurück, zumindest von Donnerstag bis Samstag. Zur Freude seiner Kunden, zu denen seit 1988 auch der Schreiber dieser Zeilen gehört. Selbst als dessen Haare immer weniger wurden, genoss er den Aufenthalt auf dem Friseurstuhl: Mit wem sonst als mit Dauerkartenbesitzer Jürgen Rütter kann man sich so gut über Schalke 04 unterhalten?

Was zu der Frage führt, welche Themen der Meister seines Handwerks bespricht, wenn er eine Frau frisiert. Da hat Jürgen Rütter einen besonderen Kniff: „Ich bin im Salon stets von Frauen umgeben. Deshalb habe ich ein gutes Gespür für das richtige Thema. Das muss ich nur ansprechen und dann plaudern die Damen so ausgiebig, dass ich mich komplett auf meine Arbeit konzentrieren kann.“