
© Moritz Brilo
DIA-Vorsitzender Thomas Hein macht Schluss und rechnet ab
Altstadt-Kaufleute
In der Dorstener Interessengemeinschaft Altstadt geht eine Ära zu Ende. Vorsitzender Thomas Hein legt 2020 sein Amt nieder. Doch schon 2019 wird es Veränderungen bei den Stadtfesten geben.
Seinen 60. Geburtstag hat Thomas Hein am vergangenen Sonntag (2. September) mit seiner Frau Heike an der holländischen Nordseeküste gefeiert. „Jetzt ist es an der Zeit, Ruhe in mein Leben zu bekommen“, sagt der Vorsitzende der Dorstener Interessengemeinschaft Altstadt (DIA). Damit meint er nicht nur die ehrenamtliche Arbeit für die Innenstadt-Kaufleute, sondern auch die fortwährende Diskussion um einen Interessenskonflikt.
Denn Thomas Hein ist nicht nur seit 1994 DIA-Chef, sondern auch Geschäftsführer der Agentur Interevent, die seit vielen Jahren im Auftrag der Kaufmannschaft unter anderem das Altstadtfest und das Herbstfest organisiert hat. „Das wird es ab 2019 nicht mehr geben“, sagt Hein. „Ich sehe diese Aufgabe bei der neuen Stadtmarketing-Agentur. So kenne ich das auch aus anderen Städten.“

Sabine Fischer ist die Leiterin der neuen Stadtagentur in Dorsten. Ihr Büro hat sie in der Stadtinfo an der Recklinghäuser Straße 20. © Stadt Dorsten
Anfang der Woche ist Sabine Fischer (56) als Chefin der neuen Stadtagentur vorgestellt worden. Im neuen Marketingkonzept soll der Bereich „Einzelhandel“ eine wichtige Rolle einnehmen, sagt sie. Gerade der Wandel im Einzelhandel stelle alle Städte der Region vor große Herausforderungen. „Der regelmäßige Austausch mit den Gewerbe- und Interessengemeinschaften der Innenstadt und der anderen Stadtteile ist für mich dabei die Basis einer erfolgreichen Zusammenarbeit“, wird Sabine Fischer in einer Pressemitteilung der Stadt zitiert. Die nächsten Wochen will sie nutzen, um sich bei den Akteuren vorzustellen.
Dann lernt sie sicherlich auch den „Bettler von Dorsten“ kennen. So ist Thomas Hein nach eigenen Angaben bezeichnet worden, weil er jedes Jahr Klinken putzen, um Zuschüsse für die Stadtfeste kämpfen musste. „Das muss ich nicht mehr haben.“ Der DIA-Hein sammelte Geld, der Interevent-Hein kassierte es? So einfach ist die Rechnung nach Ansicht des 60-Jährigen nicht zu machen: „Es hat sich ja niemals jemand angeboten, der die Stadtfeste organisieren wollte.“ Und: „Meine Firma hat mit den Stadtfesten in Dorsten nie Geld verdient. Die DIA konnte als Auftraggeber ja auch nicht mehr bezahlen.“
„Ab 2019 ist meine Firma raus“
Keine Stadtfeste, kein Etat - Hein sah es in den 1990er-Jahren als „moralische Verpflichtung“ an, die Altstadt zu beleben. Weil es aus seiner Sicht nicht nur im Interesse der Kaufleute, sondern der ganzen Stadt liegen muss, eine attraktive Altstadt zu haben. Unter der Regie des langjährigen Vorsitzenden etablierten sich zum Beispiel die monatlichen Aktionssamstage.

Kurz vor dem Schulstart werden jedes Jahr in der Altstadt Schultüten gefüllt. Mit solchen Aktionen versucht die Interessengemeinschaft Altstadt, die Kunden anzulocken. © privat
„Ich habe tatsächlich darauf gewartet, dass es ein Stadtmarketing gibt, das natürlich einen Etat und Sponsoren haben muss, um künftig Feste und Aktionen zu organisieren“, betont Hein. „Die DIA unterstützt das gerne, aber die Firma Interevent ist ab 2019 raus. Dem unberechtigten Verdacht der Vetternwirtschaft setze ich mich nicht weiter aus.“
Facebook-Hetze ging an die Nieren
Mehr noch: Hein spricht von „Hetzerei bei Facebook“ und meint damit nicht nur die „teilweise unsachliche Kritik“ an seinen Veranstaltungen, sondern auch die Diskussion um den Adventskranz am Recklinghäuser Tor im vergangenen Jahr. Die Taschen habe er sich voll gemacht, hieß es, „dabei hatte ich damit eigentlich nichts zu tun“. Seitdem meidet der DIA-Vorsitzende das soziale Netzwerk. „Mir geht es definitiv besser, auch wenn ich weiß, dass es nicht aufhört.“ Die ärgsten Kritiker hat die DIA vor einiger Zeit zur Diskussion eingeladen, „aber da ist niemand gekommen“.

Für den Adventskranz, der im vergangenen Winter erstmals am Recklinghäuser Tor leuchtete, ernteten die Interessengemeinschaft Altstadt und ihr Vorsitzender Thomas Hein (M.) viel Kritik. © Berthold Fehmer
Die Mitgliederzahl der DIA ist in der Ära Hein um etwa ein Drittel (jetzt 65) gestiegen. Die Arbeit verteilt sich auf wenige Schultern, aber das ist kein Phänomen der Altstadt. „Wir haben nicht die Erwartungshaltung, dass ein Mitglied etwas machen muss“, schränkt beispielsweise Ralf Honsel, der Vorsitzende der Werbegemeinschaft „Wir für Holsterhausen“, ein: „Alle Mitglieder zahlen die Umlagen für die Straßenfeste und die Weihnachtsbeleuchtung, wenn sie Anlieger sind. Das ist mehr, als die Nichtmitglieder machen.“
Beim Tiermarkt in Lembeck packt jeder mit an
Auch in Dorstens größter Werbegemeinschaft, der Lembecker Interessengemeinschaft (LIG, 91 Mitglieder), machen wenige Mitglieder die meiste Arbeit. „Dafür sind der Vorstand und der erweiterte Vorstand ja da“, sagt der zweite Vorsitzende Fritz Cosanne. „Aber wenn es darauf ankommt, ist jedes Mitglied gerne bereit, Arbeit zu übernehmen.“ Beim Tiermarkt am ersten Mai-Sonntag beispielsweise, der größten Veranstaltung im Dorf, seien Helfer schon ab 6 Uhr morgens auf den Beinen, um die beiden Chef-Organisatoren Michael Sprenger und Peter Süthold zu unterstützen.

Der Lembecker Tiermarkt lockt jedes Jahr viele Besucher ins Dorf. © Marie Rademacher
In Lembeck gibt es noch überwiegend eigentümergeführte Geschäfte, „die profitieren natürlich von solchen Großveranstaltungen, weil die Schlossgemeinde weithin bekannt und das Vertrauen in die Lembecker Firmen gestärkt wird“, meint Cosanne. „Hier gibt es noch Geschäfte, die es in den Städten gar nicht mehr gibt, und davon profitieren auch die Kunden.“
In Wulfen gehen die Lichter aus
Die Lembecker Welt ist eine andere als die in der Altstadt. Und die in Wulfen ist nochmal anders. Denn da existiert die Gewerbegemeinschaft Wulfen (GGW) eigentlich nur noch auf dem Papier. Das Interesse sei „auf niedrigem Vorjahresniveau“, sagte Vorsitzender Alexander Knorre-Hüttermann bei der Jahreshauptversammlung im November 2017 den sechs anwesenden Mitgliedern. Die Internet-Seite der GGW wurde gehackt, für einen neuen Online-Auftritt fehlt das Geld. Und wahrscheinlich auch die Lust.
Holsterhausener Kaufleute setzen auf Interevent
In Hervest, seit der Erschließung der Zechenfläche ohnehin räumlich gespalten, wird das alljährliche Bergfest mittlerweile im Wesentlichen vom Schützenverein vorbereitet. In Holsterhausen sind CDU-Mitglied Ralf Honsel und seine Vorstandskollegen die Ansprechpartner für Politik und Verwaltung. Die Werbegemeinschaft organisiert auch den Blumenmarkt Ende April und das Familienfest Anfang September - und vertraut dabei auf die Hilfe der Agentur Interevent von Thomas Hein.
„Das wird auch so bleiben“, versichert der DIA-Vorsitzende. Denn da gebe es ja keinen Interessenskonflikt - und tatsächlich auch Geld zu verdienen. So wie bei der Bierbörse an der Wall- und Grabenanlage. Die wird Interevent laut Hein auch 2019 nach Dorsten holen, „wenn wir eine Genehmigung bekommen. Sollte zu dem Zeitpunkt die Fläche bereits anders vergeben sein, haben wir Pech gehabt.“

Die Bierbörse ist jedes Jahr ein Publikumsmagnet. Diese Veranstaltung organisiert die Interevent GmbH allerdings nicht im Auftrag der DIA. © Ralf Pieper
Auch die Zukunft der weihnachtlichen Eisbahn auf dem Marktplatz ist nicht gesichert. „Wir würden es im Interesse der Stadt gerne machen, auch das Eisstockschießen, wenn wir denn ein angemessenes Angebot bekommen. Bislang haben wir, im Gegensatz zu Aufträgen aus anderen Städten, nur am Glühweinverkauf verdient. Das war dann quasi eine Quersubventionierung. Das wird es so nicht mehr geben.“

Einen Weihnachtsmarkt hat die Altstadt nicht, wohl aber eine sehr beliebte Eisfläche. In anderen Städten lässt sich die Interevent GmbH das gut bezahlen. © Rüdiger Eggert
Ehrenamtliche sind auch im Handel rar
Nach fast 25 Jahren als DIA-Vorsitzender mag Thomas Hein eine gewisse Amtsmüdigkeit nicht verleugnen. Einen Nachfolger zu finden, wird womöglich nicht leicht. Aber Hein ist kein Einzelfall. Ralf Honsel hat seit 1993 bei „Wir für Holsterhausen“ das Sagen. „Solange kein anderer den Hut in den Ring wirft, werde ich mich nicht aus der Verantwortung ziehen. Es ist aber nicht gerade das begehrteste Ehrenamt“, gibt er zu.
Das können auch seine Lembecker Kollegen bestätigen. Die standen vor einigen Jahren auch vor der Frage, wer den Vorsitz übernimmt. Schließlich übernahmen Metzgermeister Matthias Tiemann und Fritz Cosanne das Ruder - mit Erfolg. „Die Mitgliederzahl ist seitdem um mehr als 30 Prozent gestiegen“, bemerkt Cosanne nicht ohne Stolz.
In der Altstadt brach vor mehr als zweieinhalb Jahren das bewährte und erfolgreiche Vorstandsquartett mit dem plötzlichen Tod des zweiten Vorsitzenden Stephan Reken auseinander. Kassierer Manfred Hürland kandidierte im März wegen des nahenden beruflichen Ruhestands nicht mehr, Thomas Hein nimmt 2020 seinen Hut. Nicht im Groll, „aber es müssen auch mal Jüngere ran“.
Die Debatte über einen möglichen Nachfolger wird spätestens Ende des nächsten Jahres losgehen. Noch früher steht die Frage im Raum, wer ab 2019 die Stadtfeste organisiert. Thomas Hein denkt da beinahe zwangsläufig an Luca Schlotmann, der im Juni den „Stadtstrand“ aufschütten ließ, und Hendrik Schulze-Oechtering, den Geschäftsführer der Manuel-Neuer-Stiftung. Beide haben Veranstaltungsagenturen, aber beide sind auch DIA-Mitglieder. Da würde dann wohl der nächste Interessenskonflikt drohen ...
Veränderungen gab es immer, doch nie waren sie so gravierend. Und nie so spannend. Die Digitalisierung ist für mich auch eine Chance. Meine journalistischen Grundsätze gelten weiterhin, mein Bauchgefühl bleibt wichtig, aber ich weiß nun, ob es mich nicht trügt. Das sagen mir Datenanalysten. Ich berichte also über das, was Menschen wirklich bewegt.
