Kaufleute, Gastronomen und Stadtmarketing sollten gemeinsam für eine Wohlfühlatmosphäre in der Innenstadt sorgen, fordert die IHK. In Dorsten tut sich da im Vergleich schon einiges.

von Michael Wallkötter

Dorsten

, 21.05.2019, 04:45 Uhr / Lesedauer: 5 min

Hier ein Überblick über Stärken, Probleme und Entwicklungen in den einzelnen Kreisstädten:

Dorsten: In der Dorstener Innenstadt tut sich was. Die komplette Fußgängerzone wird zurzeit saniert und erhält eine neue Pflasterung. Auch das Einkaufszentrum Mercaden, das bislang die Erwartungen nicht erfüllt hat, wird in diesem Jahr umgebaut.

Dorsten punktet mit einer historischen Altstadt, in der es noch eine stattliche Anzahl an inhabergeführten Geschäften gibt. Die Zahl der Leerstände ist überschaubar. Der Altstadtmarkt bietet mit seiner Außengastronomie eine hohe Aufenthaltsqualität, der Besucher würde sich jedoch eine größere Auswahl an Restaurants wünschen.

Recklinghausen: Drei Jahre, nachdem Karstadt als Magnet in der Altstadt seine Pforten geschlossen hat, soll in den kommenden Wochen mit der Wiederbelebung des zentralen Komplexes begonnen werden. Ein Düsseldorfer Investor schafft in der früheren Kaufhaus-Immobilie einen Mix aus Wohnen, Büros, Gastronomie und Einzelhandel. Außerdem entstehen eine städtische Kita und ein Hotel.

Von diesem Projekt erhoffen sich Politik und Verwaltung eine Strahlkraft auf weitere Teile der Altstadt. Sorgenkind bleibt nämlich die frühere Prachtstraße, die Breite Straße. Deren unterer Teil zum Wall hin ist nahezu komplett leergezogen. Hoffnung besteht, weil Recklinghäuser einige Immobilien gekauft haben – was sie genau planen, ist noch nicht klar. Im oberen Teil der Breiten Straße ist ein weiteres Hotel geplant.


Marl:
Der Marler Stern, das 1974 als Flaggschiff in der Region eröffnete Einkaufscenter, krankt seit Jahren an Leerständen. Mit der Fakt AG ist nun ein einzelner Investor Mehrheitseigentümer. Zurzeit läuft der Umbau, neben Supermarkt, Discounter, Drogerie- und Tierbedarfmarkt entsteht auf der Fläche des früheren Karstadt-Kaufhauses ein neues System mit 40 bis 50 Shops und Boutiquen. Am 26. September wird Wiedereröffnung gefeiert.

Auch im Nebenzentrum Marl-Hüls sind Veränderungen im Gang. Die Investoren Römer und Partner wollen mit dem „Römerquartier“ Kunden locken, die dort für den täglichen Bedarf einkaufen und dann in der Fußgängerzone bummeln gehen. Auch die kleine Einkaufsmeile wird neu gestaltet, um die Aufenthaltsqualität zu verbessern.

Herten: In der Hertener Innenstadt läuft nach langer Planungsphase ein auf etwa zehn Jahre angelegtes Sanierungsprogramm an. Hässliche Fassaden und dunkle Unterführungen sollen verschwinden, das Glashaus mit der Stadtbibliothek als Publikumsmagnet grundsaniert und neu ausgerichtet werden. In Politik und Bevölkerung erwartet jedoch niemand, dass sich allein dadurch der Einzelhandel in der zum Teil abgestorbenen Fußgängerzone erholt.

Alle schauen hoffnungsvoll auf die Ruine des Einkaufszentrums „Herten-Forum“: Ein Investor will den Klotz abreißen und einen modernen Shopping-Tempel mit offener Flaniermeile bauen. Fast zeitgleich soll in direkter Nähe der neue S-Bahnhof entstehen.

Haltern: Klein, aber fein. So bewertet der Halterner seine Innenstadt. In den beiden Fußgängerzonen mit historischem Ambiente gibt es zahlreiche inhabergeführte Geschäfte, die Bekleidung, Schuhe, Schmuck und Brillen anbieten. Nur vereinzelt trifft man auf leer stehende Ladenlokale.

Die Gastronomie zwischen Sixtuskirche und Altem Rathaus – neuerdings mit einem Sterne-Restaurant – trifft den Geschmack unterschiedlicher Zielgruppen. Haltern profitiert von seinem Sonderstatus als Wallfahrtsort, darf deshalb jeden Monat zum verkaufsoffenen Sonntag bitten, der zahlreiche auswärtige Besucher anlockt. Die freilich klagen über das zu geringe Parkplatzangebot.

Datteln: Die Innenstadt steht vor deutlichen Veränderungen. Seit knapp einem Jahr arbeitet ein Quartiersmanagement an der Neugestaltung der gesamten Fußgängerzone mit dem Ziel, die Innenstadt attraktiver zu machen – auch in baulicher Hinsicht. Der Einkaufsstandort Datteln ist trotz einiger Leerstände aber immer noch beliebt. Das zeigt die sogenannte Zentralitätskennziffer. Die lag für Datteln im letzten Jahr bei 106 Punkten.

Das bedeutet, dass Datteln Kundschaft aus den Nachbarstädten anzieht. Wichtige Rollen spielen hierbei der attraktive Wochenmarkt, eine sehr aktive Werbegemeinschaft, etliche inhabergeführte Einzelhandels-Geschäfte und auch die Stadtgalerie – ein Einkaufszentrum, das in Top-Lage in das damals leer stehende Hertie-Kaufhaus eingebaut wurde.

Waltrop: In Waltrop ist die Innenstadt zunehmend ein Sorgenkind. Weil die Zahl der organisierten Einzelhändler sinkt, die einen Obolus fürs Stadtmarketing entrichten, fehlen auch die finanziellen Mittel, um zum Beispiel bei Stadtfesten ein Kulturprogramm auf die Beine zu stellen. Zuletzt ist manches inhabergeführte Einzelhandelsgeschäft geschlossen worden, Nachfolger fanden sich nicht. Dabei ist die 30.000-Einwohner-Stadt mit dem „malerischen Winkel“ rund um die St.-Peter-Kirche eigentlich durchaus attraktiv und lädt zum Verweilen ein.

Oer-Erkenschwick: Sorgenkinder in der City sind die Stimbergstraße, Teile des Berliner Platzes und die Marktstraße. Hier stehen viele Geschäftslokale zum Teil schon seit Jahren leer. Doch es tut sich einiges: Das Gebäude des früheren Kaufhauses Klemm wird abgerissen und durch einen Neubau unter anderem mit einem Textilangebot und einem Restaurant ersetzt. Auf dem Berliner Platz und der Marktstraße soll neue Gastronomie entstehen. Außerdem arbeitet die Stadt an einem Entwicklungskonzept, das auch bauliche Veränderungen für die City vorsehen soll.

Die Einkaufsstraßen in den deutschen Innenstädten sorgen bei den meisten Verbrauchern derzeit für lauwarme Begeisterung. Bei einer Befragung von mehr als 59.000 Innenstadtbesuchern in 116 Städten durch das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) gaben die Verbraucher den Stadtzentren im Durchschnitt nur die Schulnote „Drei plus“.

Die Händler im Vest klagen

Städte im Vest waren nicht in die Untersuchung des IFH einbezogen worden. Doch es spricht nichts dafür, dass es in den Innenstädten des Kreises Recklinghausen weniger Probleme gibt. Händler im Vest klagen jedenfalls darüber, dass weniger Menschen in die Innenstädte kommen, weiß Christian Paasche, Handelsreferent der Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen (IHK) in Gelsenkirchen. „Und dieser Eindruck bestätigt sich auch bei unseren Passantenfrequenzzählungen.“

Lässt der boomende Onlinehandel die Innenstädte veröden? Immerhin rund jeder fünfte befragte Innenstadtbesucher hat laut IFH angegeben, er komme inzwischen seltener ins Stadtzentrum, weil er verstärkt online einkaufe. Bei den unter 25-Jährigen waren es sogar 29 Prozent. Der Onlinehandel ist nach einer Studie des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel (bevh) im vergangenen Jahr um mehr als elf Prozent gewachsen.

Alles auf den Onlinehandel zu schieben, ist Jens von Lengerke zu billig. „Die Probleme sind vielschichtig“, gibt der Leiter der Abteilung Handel, Dienstleistungen und Stadtentwicklung bei der IHK Nord Westfalen zu bedenken. Die Zentren litten vielmehr auch darunter, dass viele inhabergeführte Geschäfte keine Nachfolger mehr fänden, oder dass große Textilanbieter das Interesse an kleinen und mittleren Städten verloren hätten.

Was eine Einkaufszone attraktiv macht …

Fachmarktzentren in städtischen Randgebieten mit Supermarkt, Discounter und Drogeriemarkt erhöhen nach Einschätzung der IHK den Druck auf die Zentren, während auf der anderen Seite steigende Parkgebühren und Staus dem Konsumenten die Fahrt in die Innenstadt verleiden. Auch sollten sich die Verantwortlichen in den Rathäusern überlegen, ob sie den Handel und die Gastronomie mit einer „Terrassengebühr“ zusätzlich belasten. Außengastronomie sei schließlich ein belebender Faktor für die Innenstädte, betont Jens von Lengerke.

Eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Innenstadtbesucher sich wohlfühlen, das sei die Herausforderung für die Kommunen, betonen die IHK-Experten. Von dem, was Einkaufszonen attraktiv macht, haben Paasche und von Lengerke eine klare Vorstellung.

Neben dem Einzelhandelsangebot, das eine gesunde Mischung aus inhabergeführten Geschäften und Filialbetrieben darstellen sollte, sind dies: Sauberkeit und Sicherheit (Beleuchtung) in den Fußgängerzonen, ausreichend Parkmöglichkeiten, Anbindung an den Nahverkehr, vielfältige Gastronomie, Spielmöglichkeiten für Kinder und attraktive Events wie Stadtfeste kombiniert mit verkaufsoffenen Sonntagen. „Warum nicht auch ein Fitnessstudio in der Innenstadt ansiedeln“, sagt von Lengerke. „Das bringt jedenfalls Frequenz!“

Boris Hedde, Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH)

Boris Hedde, Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) © privat

Boris Hedde, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung, glaubt, dass dem Handel Umsätze verloren gehen, weil viele Konsumenten ihr Geld inzwischen lieber für Essen und Trinken, Streaming-Abos oder Konzertbesuche ausgeben. Der Kampf um die verbliebenen Kunden werde umso erbitterter geführt. „Der größte Gegner für die Einzelhändler in den Innenstädten ist aktuell noch nicht der Onlinehandel, sondern die Einkaufsstraße in der Nachbarstadt“, betont Hedde. Wer überleben wolle, dürfe die Wünsche der Kunden deshalb nicht ignorieren. Wichtig ist den Verbrauchern der IFH-Umfrage zufolge – neben der Vielfalt des Einzelhandelsangebots – vor allem das Ambiente der Innenstädte.

Jeder Händler sollte im Internet zu finden sein

Auch Jens von Lengerke ist überzeugt davon, dass die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt immer wichtiger wird. „Hier bedarf es einer eng abgestimmten Zusammenarbeit von Handel, Gastronomie und Stadtmarketing“, sagt der IHK-Experte. Haltern hat seine Seenlandschaft, Waltrop das Schiffshebewerk, Recklinghausen seine Ruhrfestspiele: Diese Alleinstellungsmerkmale zu nutzen, um Besucher in die Innenstädte zu lenken, sei eine weitere Herausforderung für das Stadtmarketing.

Nicht wenige Einzelhändler entscheiden sich, neben ihrem stationären Geschäft selbst noch einen Online-Shop aufzumachen, um Amazon und Co nicht das Feld zu überlassen. Das könne aber nicht für jeden Ladenbesitzer eine Option sein, meint von Lengerke. Zwingend notwendig sei es aber heutzutage, im Internet für die Kundschaft sichtbar zu sein – zumindest mit Öffnungszeiten, Lage und Sortiment. Der IHK-Experte findet es erstaunlich, dass 20 bis 30 Prozent der Einzelhändler das offensichtlich noch nicht so sehen.

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