Lange musste Karlheinz Strötzel warten, bis ihm das passende Motiv vor die Linse lief. Dann aber tauchte glücklicherweise doch noch ein Mann auf, der mit erhobenem Daumen ein Zeitungsexemplar aus seinem Briefkasten zog.
„Nicht einmal in der Fleet Street in London habe ich ansonsten noch Zeitungsleser gesehen“, erzählt der in Raesfeld lebende Fotokünstler. „Dabei schlug in dieser Straße doch früher das Herz der britischen Presse.“
Dass das Lesen einer gedruckten Tageszeitung in der Öffentlichkeit heutzutage selten geworden ist, bedauert der durch zahlreiche Kreativ-Projekte in Dorsten und Umgebung bekannt gewordene Diplom-Designer (Jahrgang 1950). „Mir selbst würde ohne meine beiden Zeitungen morgens einiges fehlen.“
Und so versieht er natürlich seiner aktuellen Ausstellung, die am Donnerstag (3. April) um 16 Uhr im Raum 006 im Bürgerbahnhof in Dorsten eröffnet wird und bis zum 27. Juni auch in Flur und Speisesaal zu sehen ist, die Überschrift „Nicht ohne eine Zeitung“.

Seit 1980 fotografiert Karlheinz Strötzel Menschen und dabei gerne auch Zeitgenossen, die eine gedruckte Zeitung lesen - in Cafes, auf Parkbänken, in Büros, aber auch in Wartesälen, in Bussen und in Zügen. „Deshalb passt meine Ausstellung auch gut hierhin“, betont er und erzählt eine persönliche Anekdote: „Als Student in Dortmund ohne viel Geld in der Tasche habe ich am Bahnhof gerne die 1. Klasse-Abteile der Züge durchforstet, weil die Fahrgäste da ihre Zeitungen liegen gelassen haben.“
30 Fotos sind in der Ausstellung zu sehen
30 Fotos in Schwarz-Weiß und Farbe sind zu sehen. Das älteste stammt aus dem Jahr 1990: Eine punkige Demonstrantin schaut in Prag andächtig in eine Gazette, während um sie herum das Gewusel einer Kundgebung während der „Samtenen Revolution“ tobt.
Auch das erst kürzlich aufgenommene Foto von einigen Studenten ist in Tschechien entstanden. „Sie rufen zwar mit Smartphones Vermieter an“, erklärt Karlheinz Strötzel, „aber in den Händen halten sie die Zeitungen, in denen die Wohnungen inseriert wurden.“
Zu fast jedem Foto kann Karlheinz Strötzel eine ganz persönliche Geschichte erzählen. „Kein Foto ist von mir inszeniert worden“, sagt er. „Und alle Fotografierten habe ich nachher gefragt, ob es für sie in Ordnung ist, dass ich sie abgelichtet habe.“
Daraus sind viele gute Gespräche, Einladungen und sogar langjährige Bekanntschaften entstanden, sagt er.
Die Zeitungsleser-Fotos sind auf Reisen in ganz Europa entstanden. „Vor allem in Südeuropa habe ich viele gute Aufnahmen machen können, weil Zeitungen da zumeist am Kiosk oder im Supermarkt gekauft wurden.“
Aus Dorsten ist kein Bild dabei, aber immerhin eines aus der nicaraguanischen Partnerstadt Waslala, die Strötzel als Vorsitzender des Freundeskreises Waslala oft bereits hat: Ein Mann hält darauf die „El Nuevo Diario“ mit dem Seite 1-Aufmacher über eine Flutkatastrophe in die Kamera.
Besonderer Schnappschuss
Einige der Fotos waren bereits öffentlich zu sehen - im Jahr 2000 nämlich, als die Welt für die Printmedien noch in Ordnung war, zeigte die Volksbank Dorsten anlässlich der „Woche der Zeitung“ eine Werkschau mit Strötzel-Bildern.
„Seitdem sind aber einige schöne Motive hinzugekommen“, so der Fotograf. Beispielsweise der Priester, der in Rom interessiert den „L’Osservatore Romano“ liest. Ein besonderer Schnappschuss: „Diese Tageszeitung des Heiligen Stuhles und der Vatikanstadt wollte ich unbedingt in meiner Sammlung haben.“