
© Lydia Heuser
Brustkrebs: Meissner-Tastkörperchen können Leben retten
Brustkrebs
Jährlich erkranken rund 70.000 Frauen in Deutschland an Brustkrebs. Sehbehinderte Frauen können Knötchen frühzeitig erkennen. Heike Henning ist eine von 40 Frauen, die diese Begabung nutzt.
Früherkennung ist wichtig, um zu verhindern, dass sich der Krebs im gesamten Körper ausbreitet und die Chance auf Heilung sich stark verringert.
Vorsorge ist deshalb wichtig und der Gesetzesgeber sieht vor, dass das Abtasten der Brust durch den Frauenarzt zur jährlichen Vorsorge zählt. Zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr zahlen die Krankenkassen außerdem alle zwei Jahre ein Mammographie-Screening.
Schicksalsschlag führte zur beruflichen Neuausrichtung
Als dritte Säule der Brustkrebsfrüherkennung zahlen mittlerweile 30 gesetzliche Krankenkassen die sogenannten „Taktilographie“ ab dem 30. Lebensjahr. Heike Henning ist eine von deutschlandweit 40 Medizinisch-Taktilen-Untersucherinnen (MTU), die diese Untersuchung vornehmen kann.
In der Frauenärztlichen Gemeinschaftspraxis AIDA an der Kappusstiege und am Standort in Wesel empfängt Heike Henning täglich bis zu sieben Patientinnen in ihrem Untersuchungsraum. Dass Henning heute selbstständig arbeiten kann, ist nicht selbstverständlich, und gleichzeitig hätte sie ohne ihre schwere Erkrankung wohl nie die Qualifikation zur MTU absolviert.
2017 und 2018 erlitt die damalige Übungsleiterin im Eltern-Kind-Turnen Netzhautablösungen beider Augen. Sie kann seitdem nur noch sehr eingeschränkt sehen. Ihre Finger sind dafür umso sensibler. „Das sind die Meissner-Tastkörperchen“, meint Henning auf ihren herausragenden Tastsinn angesprochen. Diese Druckrezeptoren sind bei blinden und sehbehinderten Menschen besonders sensibel.
6 bis 8 Millimeter kleine Veränderungen kann die MTU ertasten
Die Taktilographie baut auf diese Fähigkeit. Ohne Apparaturen oder Strahlen tastet die MTU die Brüste der Patientinnen nach einem erlernten Schema ab. Dafür teilt Henning den Brustbereich mittels spezieller Klebestreifen in vier Sektoren ein und arbeitet sich Millimeter für Millimeter mit Mittel- und Zeigefinger der Führ- und Tasthand entlang der Untersuchungsfelder. In drei unterschiedliche Tiefen der Brust dringt sie dabei vor und kann winzige Veränderungen erfühlen.

Frauenarzt Thorsten Rosen zeigt anhand der Holzkugeln, was die Taktile Untersuchung leisten kann. Die pinken Kügelchen können Ärzte nicht ertasten, die Medizinisch-Taktilen-Untersucherinnen hingegen schon. © Lydia Heuser
„Wir schaffen das als Gynäkologen nicht“, weiß Thorsten Rosen. „Die sensible Verschaltung zwischen Fingerkuppen und Gehirn fehlt uns.“ Hinzu komme der Zeitfaktor: Eine Stunde Zeit kann sich die MTU nehmen.
So erlebte eine Patientin die Untersuchung
Angelika Hennings hat sich das erste Mal von einer MTU untersuchen lassen und ist extra aus Gelsenkirchen nach Dorsten gekommen. Denn: „Man muss keine Patientin bei uns sein, um die Leistung in Anspruch zu nehmen“, erklärt Frauenarzt Rosen.
„Mir hat es sehr gut gefallen“, meint Angelika Hennings. Vor zwei Jahren habe man bei einer Mammographie etwas entdeckt und sie habe drei Wochen auf ein genaues Ergebnis des Arztes warten müssen. „Ich bin in der Zeit tausend Tode gestorben“, erinnert sich die Gelsenkirchenerin. Seitdem meide sie diese Vorsorgeuntersuchung. Ihre Frauenärztin habe ihr dann von der Taktilographie erzählt.
„Ich habe jetzt teilweise einen unangenehmen Druck gespürt, aber das war lange nicht so schlimm wie bei der Mammographie“, beschreibt Hennings ihre Erfahrung. Sie wolle künftig regelmäßig zur Vorsorge gehen. „Die MTU sagte aber, dass ich trotzdem die Mammographie-Termine wahrnehmen sollte.“
Vorsorge ganz ohne Apparate
Findet Heike Henning eine Auffälligkeit, teilt sie dem Arzt ihren Befund mit. Der kann dann mittels Ultraschall oder Mammographie eine exakte Diagnose stellen. „Wir haben mit den MTU ein sehr wirkungsvolles und sanftes zusätzliches Diagnoseverfahren – ganz ohne ‚Apparate’, die manche Patientinnen scheuen“, stellt Thorsten Rosen die Vorteile dar.
Qualifizierung
Die Qualifikation zur MTU, die in der Regel als Reha-Maßnahme von Sozialversicherungsträgern übernommen wird, ermöglicht blinden oder schwer sehbehinderten Frauen die Chance auf einen sinnvollen und anerkannten Beruf. - Das Sozialunternehmen Discovering Hands bietet die Qualifizierung in Berlin oder Nürnberg an.
- Auf der Homepage www.discovering-hands.de gibt ist nähere Informationen sowie eine Auflistung der Krankenkassen, die die Leistung bezahlen. Wessen Krankenkasse die Untersuchung nicht übernimmt, kann die MTU aus eigener Tasche zahlen. Die Kosten liegen bei knapp 50 Euro.
- Wer einen Termin vereinbaren möchte, kann dies bei der Frauenärztlichen Gemeinschaftspraxis AIDA, Kappusstiege 15, unter Tel. (02362) 20 200 machen.
Geboren und aufgewachsen im Bergischen Land, fürs Studium ins Rheinland gezogen und schließlich das Ruhrgebiet lieben gelernt. Meine ersten journalistischen Schritte ging ich beim Remscheider General-Anzeiger als junge Studentin. Meine Wahlheimat Ruhrgebiet habe ich als freie Mitarbeiterin der WAZ schätzen gelernt. Das Ruhrgebiet erkunde ich am liebsten mit dem Rennrad oder als Reporterin.
