Es ist eines der größten Netzausbauvorhaben in Deutschland: Betreiber Amprion plant eine Stromautobahn von Heide in Schleswig-Holstein bis nach Dorsten und Marl. Über eine 440 Kilometer lange Erdkabel-Verbindung soll klimafreundlich gewonnener Windstrom von der Nordsee nach Marl-Polsum fließen. Während der Bauzeit wird eine 40 Meter breite Schneise in die Landschaft geschlagen. Höchstspannungsleitungen werden in offenen Gräben verlegt. Nach der Bauphase bleibt die Leitung unter der Erde.
Die Öffentlichkeitsbeteiligung hat begonnen. Bis zum 6. Dezember können Bürgerinnen, Bürger und Verbände Einwände vorbringen.

Wo in unserer Region soll die Trasse verlaufen?
Mehrere Varianten sind geplant: Die Erdkabel-Trasse umgeht den Naturpark Hohe Mark, sie verläuft unterirdisch: „Mit der Bohrung gehen wir unter Lippe und Kanal durch. Südlich der Naturschutzgebietsgrenze tauchen wir auf“, erklärt Projektsprecher Tobias Schmidt. Die Leitung soll entweder westlich um Dorsten herum führen oder entlang des Arenbergischen Forstes bis zum Umspannwerk in Marl-Polsum. Amprion bevorzugt die Variante westlich des Arenbergischen Forstes. Sie ist kürzer, hier sind die wenigsten Konflikte zu erwarten.
Ursprünglich verplante der Netzbetreiber ökologische Flächen, die als Ausgleich für den Industriepark Marl-Dorsten geschaffen wurden. Dort müssten für den grünen Strom Bäume fallen, denn die unterirdische Trasse muss von oben zugänglich sein. Aber das Unternehmen hat sich mit der Stadt intensiv abgestimmt und eine andere Lösung gefunden, lobt Wirtschaftsförderer Dr. Manfred Gehrke. Nun soll die Trasse am Waldrand entlang führen. Nur wenige Bäume sollen im Weg stehen.
Wie leistungsstark soll die Stromleitung sein?
Damit Deutschland seine Klimaziele erreicht, will Amprion eine der leistungsstärksten Stromleitungen realisieren. Sie soll das stark beanspruchte Netz zwischen der Nordsee und Nordrhein-Westfalen entlasten und die Stromversorgung sichern. Die Übertragungsleistung soll zwei Gigawatt betragen.
Hinter dem „Korridor B“ genannten Projekt verbergen sich zwei Strecken, die sich in Niedersachsen überschneiden: eine Trasse von Wilhelmshaven nach Hamm (270 km) und die Höchstspannungsleitung von Heide nach Marl (440 km).
Beide Leitungen könnten rechnerisch die elektrische Leistung von fünf Kohlekraftwerken ersetzen und mindestens zwei Millionen Privathaushalte versorgen. Auch die Industrie soll bedient werden.
Direkt neben den dicken Leitungskabeln aus Kupfer wird Amprion einen Kabelgraben mit Leerrohren bauen, damit die Kapazität später erhöht werden kann. Die gesamten Projektkosten von rund zehn Milliarden will das Unternehmen vorstrecken und später aus Netzentgelten refinanzieren.
Welcher Zeitrahmen ist vorgesehen und wie läuft das Genehmigungsverfahren?
Genehmigungsbehörde ist die Bundesnetzagentur. Amprion hat bei ihr Anträge für das Vorhaben gestellt und die Umweltauswirkungen prüfen lassen. Nun sind die Unterlagen für den Abschnitt von Borken nach Polsum und der Umweltbericht bis zum 6. November öffentlich: www.netzausbau.de/vorhaben48-s2. Damit können Bürgerinnen, Bürger und Verbände bis zum 6. Dezember Einwände vorbringen. Wer keinen Internet-Zugang hat, kann die Bundesnetzagentur anrufen, Tel. 0800 638 9 638, oder anschreiben: Referat 805, Postfach 8001, 53105 Bonn, Betreff: Vorhaben 48, Abschnitt Süd 2.
Eine Eingangsbestätigung wird nicht verschickt. Einwender werden aber über einen Erörterungstermin schriftlich benachrichtigt. Er wird wohl im Frühjahr 2025 stattfinden. Dann wird der Korridor festgelegt: der 1000 Meter breite Streifen Land, innerhalb dessen die Trasse gebaut wird.
Anschließend will Amprion die Planung verfeinern und Anregungen aufnehmen. Im späteren Planfeststellungsverfahren 2027 soll es weitere Infoveranstaltungen und den Erörterungstermin zur Trassenführung geben.
Zum Abschluss wird die Bundesnetzagentur über den Leitungsverlauf entscheiden. „2028 wollen wir den Feststellungsbeschluss bekommen. Dann wird feststehen, wo gebaut wird“, sagt Projektsprecher Tobias Schmidt. In den Betrieb gehen soll die Stromautobahn 2032.
Welche Auswirkungen auf die Umwelt sind zu erwarten?
Nach dem Umweltbericht unabhängiger Büros werden für knapp ein Fünftel des Abschnitts zwischen Borken und Gelsenkirchen erhebliche Umweltauswirkungen nicht ausgeschlossen. Lärmbelästigung ist hier möglich. Tiere, Biotope und Waldflächen können beeinträchtigt werden. Bei alternativen Trassenführungen könnte das aber vermieden werden. Für mehr als vier Fünftel der Fläche sehen Umweltplaner und Ingenieure keine Probleme.
Müssen für grünen Strom Bäume fallen?
„Wir schonen und umgehen Wald so gut es geht“, verspricht Tobias Schmidt. Theoretisch kann die Leitung sogar geschlossen unter einem Wald gebaut werden, das ist allerdings aufwändig. Dort wo Fällungen unvermeidlich sind, will das Unternehmen Bäume zum Ausgleich pflanzen.
Wo sind Konflikte zu erwarten?
In Dorsten. Nahe Altendorf-Ulfkotte soll ein großer Konverter errichtet werden. Dort soll der Gleichstrom in Wechselstrom umgewandelt werden, der zum Umspannwerk in Polsum geleitet wird. Amprion hält die Fläche für gut geeignet. Die Stadt Dorsten, Ratsfraktionen und Anwohner lehnen den Standort ab.
Für den Konverter werden zwei Hallen benötigt - 85 Meter lang, 60 Meter breit, 25 Meter hoch. Sie sollen auf einer umzäunten Fläche von knapp zehn Hektar entstehen. Genehmigungsbehörde ist in diesem Fall die untere Immissionsschutzbehörde des Kreises.
Amprion zieht 60 Meter breite Schneise durch Marl: Hier könnte die Ökostromleitung verlaufen