Ferda Hömke (44) muss Apotheke in Mercaden Dorsten schließen „Es fühlt sich unfair an“

Apothekerin Ferda Hömke (44): „Es fühlt sich unfair an“
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Wenn Ferda Hömke über die Ereignisse der vergangenen Monate spricht, kämpft sie zwischendurch mit den Tränen. „Ich habe viel Zeit, Geld und Energie investiert.“ Um nun mit leeren Händen und einem Berg an Schulden dazustehen.

Die 44-Jährige stammt gebürtig aus Krefeld, studierte in Marburg Pharmazie, gab Hebammenunterricht, arbeitete als Apothekerin in Hannover, später in der Pharmaindustrie in München, später wieder als Filialleiterin in einer Apotheke. „Ich habe einen Lebenslauf wie eine 80-Jährige“, sagt sie. 2016 sah sie die Chance, sich selbständig zu machen.

Als die Mercaden in Dorsten noch im Bau waren, entschloss sie sich, dort eine eigene Apotheke aufzumachen. Zunächst 2016 im Rahmen eines Kooperationsvertrags, bei dem sie einen lizensierten Namen und Marketing-Material gegen einen monatlichen Beitrag nutzte. Den Ausbau musste sie trotzdem komplett selbst zahlen. Zwei Jahre später firmierte sie die Apotheke mit dem von ihr patentierten Namen „Achtsam-Apotheke“ um - ohne Kooperationsverträge. „Ich habe mich selbst eher in einem Center als in einer Dorf-Apotheke gesehen“, sagt Hömke.

Die Miete sei sehr hoch gewesen. Und das „in einer fremden Stadt, die ich nicht kannte, mit zwei kleinen Kindern“. Über zehn Jahre lief der Mietvertrag, ihre Zwillinge waren zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alt.

Kredit aufgenommen

Bis zur letzten Sekunde habe sie in ihrem alten Job gearbeitet, bevor die eigene Apotheke eröffnet wurde - in Doppelbelastung. Alles musste neu angeschafft werden. Hömke nahm Kredite im sechsstelligen Bereich auf.

Ab der Eröffnung 2016 war Ferda Hömke gefangen in ihrem „Goldenen Käfig“, wie sie die Apotheke nennt. Denn während der Öffnungszeiten muss immer ein approbierter Apotheker anwesend sein. Als Hömke merkte, dass das Center zunächst schlecht lief und die Kunden ausblieben, verzichtete sie darauf, einen Apotheker als Vertretungsmöglichkeit einzustellen.

Übernachten in der Apotheke

Was bedeutete, dass sie während der Öffnungszeiten von 9 bis 20 Uhr an sechs Tagen die Woche ständig in der Apotheke sein musste. Macht: 66 Stunden pro Woche. Außer, wenn sie regelmäßig nachts Notdienste leisten musste oder verkaufsoffene Sonntage waren. Diese Stunden kamen dann obendrauf. „Ich durfte die Räumlichkeiten nicht verlassen“, sagt Hömke. Nicht mal für die Mittagspause. In den ersten Jahren habe sie sogar an Weihnachten und Silvester gearbeitet. „Ich habe alles von den Kindern in den ersten Jahren verpasst.“

Wie hält man das aus? „Ich bin ein Arbeitstier“, sagt Ferda Hömke über sich selbst. „Wenn du in diesem Hamsterrad drin bist, merkst du das gar nicht.“ Sie sei in einer Spirale gewesen. „Ich bin auch krank zur Arbeit gegangen. Ich konnte mir nicht erlauben, die Apotheke zuzumachen.“

Schlimm seien „die traurigen Gesichter der Kinder“ gewesen. An vielen Tagen sei sie aus dem Haus gegangen, als die Kinder noch im Bett lagen, und zurückgekommen, um die Kinder wieder bettfertig zu machen.

Ein Schild mit der Aufschrift "Dauerhaft geschlossen" hängt im Schaufenster der Achtsam-Apotheke in den Mercaden in Dorsten.
Zunächst war die Apotheke in den Mercaden nur vorübergehend geschlossen. Doch alle Rettungsversuche im Hintergrund scheiterten. © Berthold Fehmer

Viel Umsatz - wenig Marge

Für die Umfirmierung 2018 musste sie noch einen Kredit aufnehmen, für ein neues Namensschild, Marketing-Material, Geschäftsausstattung und mehr. Von der ursprünglichen Kredit-Summe war zu diesem Zeitpunkt schon ein großer Teil abbezahlt. Ferda Hömke schaffte es, die Apotheke erfolgreich durch die Corona-Zeit zu bringen und viele Kunden an sich zu binden. „Weil sie gemerkt haben, dass wir alle mit Passion gearbeitet haben.“ Aufgrund politischer Rahmenbedingungen habe sie aber aus viel Umsatz nur wenig Marge erwirtschaften können, sagt Hömke.

Den betriebswirtschaftlichen Teil und den „Dokumentationskrieg“ habe sie nebenbei erledigt. Pro Jahr gab sie sich selbst eine Woche Urlaub. Teilweise habe sie so viel gearbeitet, dass „meine Mitarbeiter dazwischen gegangen sind. Wir waren wie eine Familie, jeder hat auf jeden ein bisschen aufgepasst.“

Hömke sagt aber auch über die anstrengende Corona-Zeit: „Familienleben gab es nicht.“ 2022 erfolgte die Trennung von ihrem Mann und der Umzug von Raesfeld nach Dorsten. Au Pair-Mädchen passten nachmittags auf ihre Kinder auf, aber Ferda Hömke musste nun auch tagsüber Termine für ihre Kinder absolvieren, wofür sie tageweise einen Apotheker als Vertretung bezahlen musste. Das kostete rund 1.000 Euro - pro Tag! Und drückte den Gewinn, den die Apotheke erzielte.

Kredit-Verlängerung

2024 stand die Verlängerung eines Kredits an. Seitens der Bank wurde im Februar auf die hohe Miete hingewiesen, aber grundsätzlich Bereitschaft erklärt, den Kredit zu verlängern. Mit dem Center-Management habe sie über den Mietvertrag gesprochen, sagt Hömke, und auch dort sei Entgegenkommen signalisiert worden. Sowohl Kredit-Verlängerung als auch die Reduzierung der Miete verzögerten sich aber.

Die Bank habe dann am 30. Juni ohne Vorwarnung das Konto „einfach dicht gemacht“, so Hömke. Heißt: Alle Zahlungseingänge wurden einbehalten und mit dem Kredit verrechnet. Alle Rechnungen als Rücklastschrift wurden zurückgeschickt. Ferda Hömke kontaktierte sofort die Bank und fragte regelmäßig nach, um drohende Probleme abwenden zu können. Der Bankmitarbeiter habe gesagt, es tue ihm leid. Hömkes Sachbearbeiterin sei längerfristig erkrankt und es dauere, bis er die Sache geprüft habe.

„Ehrlichkeit nicht belohnt“

Hömke zahlte die Rechnungen zunächst von einem Zweitkonto, doch es nahte der 17. Juli, an dem ein Großhändler immer per Lastschrift sein Geld abbuchte - ein sechsstelliger Betrag. Seitens der Bank wurde ihr signalisiert, man stehe kurz vor der Entscheidung. Als der Großhändler am 17. nicht an sein Geld kam, erklärte Ferda Hömke ihm transparent die Situation. „Ehrlichkeit wird nicht belohnt“, sagt sie heute. Denn sie erhielt direkt einen Brief von einer Rechtsanwältin, dass der Großhändler seine Waren abhole, wenn sie nicht zahlen könne. Frist: fünf Tage, ein Wochenende inklusive.

Am 22. Juli wurde die nicht gezahlte Ware vom Vormonat abgeholt, doch der Bestand im Lager sei immer noch so groß gewesen, dass die Apotheke weiter geöffnet blieb. „Wir konnten nur keine Bestellungen mehr tätigen.“ Erst zu diesem Zeitpunkt erfolgte die Absage der Bank, dass Ferda Hömke keinen weiteren Kredit bekommen werde.

Die Apothekerin kontaktierte sechs Rechtsanwälte und erhielt komplett unterschiedliche Signale und Empfehlungen. Versuche, bei drei anderen Banken einen Kredit zu bekommen, scheiterten, da ihre Kreditwürdigkeit durch die Ereignisse gelitten hatte. Kunden standen zu dieser Zeit vergebens vor der Tür der Apotheke, „weil wir zur Klärung vorübergehend schließen mussten“.

Hätte die Bank ihr bereits im Februar signalisiert, dass der Kredit nicht verlängert würde, hätte sie viel mehr Zeit und bessere Voraussetzungen bei anderen Banken und für die Mietverhandlungen gehabt, sagt Hömke heute.

Vater stirbt im Urlaub

Am 5. August zog Ferda Hömke die Notbremse. Sie unterschrieb bei ihrem Anwalt, mit dem sie bereits vorher im Kontakt war, die Unterlagen, um eine Regelinsolvenz vorzubereiten. Nachmittags teilte sie ihren Mitarbeitern mit, dass sie sie kündigen müsse. „Während wir da saßen, bekam ich den Anruf, dass mein Vater im Urlaub tot umgefallen ist“, so Hömke: „Da bin ich zusammengebrochen. Meine Mitarbeiter haben sich um mich gekümmert.“ Noch am selben Abend flog sie mit ihren Geschwistern ins Urlaubsland ihres Vaters und kümmerte sich um die Beerdigung. „Ich konnte nicht direkt zurückfliegen. Ich musste dort vieles klären.“ Das dauerte eine Woche.

Als ein Großhändler sah, dass in dieser Woche die Apotheke geschlossen war, stellte er einen Eilantrag. „Der Tod eines Angehörigen ist keine Ausrede, dass du als Gewerbstätige nicht alle drei Tage deinen Briefkasten checkst“, sagt Hömke, die in der Zwischenzeit Post vom Amtsgericht erhalten hatte.

„Das ist der Dank dafür“

Am 19. August stellte sie den Insolvenz-Antrag, der noch nicht abschließend beurteilt wurde. Als Einzelunternehmerin hafte sie mit ihrem ganzen Vermögen. Das Problem: „Ich habe alles in die Apotheke gesteckt.“ Am 15. Oktober gab sie ihre Apothekenbetriebserlaubnis ab. Auch die Waren gingen an die Großhändler zurück. „Meine Apotheke war vorher nicht angeschlagen“, betont Ferda Hömke, die vor allem die mangelnde Transparenz seitens der Bank bemängelt.

Ihre Mitarbeiter würden sie jeden Tag anrufen: „Man müsste meinen, dass die supersauer auf mich sind. Aber sie machen mir überhaupt keine Vorwürfe.“ Alle seien in anderen Betrieben untergekommen. „Sie wurden mit Kusshand genommen“ - auch weil auf Fortbildungen in der Achtsam-Apotheke immer Wert gelegt worden sei.

Ehemalige Kunden würden sie regelmäßig ansprechen und fragen, wie es ihr gehe, sagt Hömke. Einigen habe sie die Hintergründe erklärt, und die allermeisten hätten liebevoll reagiert. „Die fanden uns toll als Apotheke.“ Für die Treue, die lieben Worte der Kunden und den Beistand in der schweren Zeit möchte sich Hömke bedanken.

Zum ersten Mal ausgebremst

Zum ersten Mal in ihrem Leben sei sie „ausgebremst“, sagt Hömke, die nun froh ist, dass sie zwangsweise Zeit bekam, den Tod ihres Vaters zu betrauern. Tagsüber einkaufen zu gehen, fühlt sich für sie immer noch merkwürdig an. Im Wald oder am Kanal spazieren gehen? „Wie schön Dorsten ist, habe ich jahrelang nie gesehen.“ Jetzt merke sie auch, „wie sehr die Kinder mich brauchen“.

Hömke: „Ich musste meinen Kindheitstraum beerdigen, aber die Sache hat auch was Gutes: Ich bin aus dem Hamsterrad raus.“ Seit November arbeitet Hömke nun in Teilzeit in einer Apotheke in Borken. „Ich will weiterhin als Apothekerin Menschen beraten und ihnen helfen.“