Franz-Josef Kuhn hat in Bolivien Kinder in Bergwerken schuften sehen. Er hat in Indien erlebt, wie Kinder Steine klopfen. Und in Afrika hat er Mädchen und Jungen getroffen, die unterernährt waren. „Dann wird schnell klar, wie privilegiert wir leben“, sagt er.
Deshalb hat er 1984 die „abc-Gesellschaft zur Förderung des Lesen- und Schreibenlernens in der 3. Welt“ in Dorsten gegründet, deren Präsident er mit inzwischen 86 Jahren noch immer ist. Mittlerweile hat der Verein mithilfe von Sponsoren auch aus Dorsten 62 abc-Schulen mit rund 30.000 Schülerinnen und Schülern gebaut, eingerichtet, ausgestattet und übergeben. Darüber hinaus Brunnen, Solaranlagen und Lehrerhäuser, Außenspielgeräte, Materialpakete für Schüler und Lehrer, Nahrungsmittel und vieles mehr.
Ist er ein Weltverbesserer? Nein, so etwas würde Franz-Josef Kuhn über sich selbst niemals sagen. „Ich glaube, dass wir an die, auf deren Kosten wir zum Teil leben, etwas zurückgeben müssen.“ Bildung vor allem.

Im Frühjahr 2024 ist Kuhn zum 24. Mal in Malawi gewesen, einem der ärmsten Länder der Welt. 28 Stationen in 17 Tagen. „Bei allen Besuchen wurde die große Freude und Dankbarkeit deutlich, eine Schule zu haben“, berichtet er. „Die meisten Schulen sind überfüllt.“
Es ist der ganz persönliche Bildungsauftrag des Franz-Josef Kuhn. Was ihn antreibt, ist das Wissen: „Ein Bauer, der lesen und schreiben kann, verbessert seine Erträge um 20 Prozent. Weil er sich informieren kann.“
Der Verein ist sein Lebenswerk
1971 gründet Kuhn in Dorsten den Spectra-Lehrmittelverlag, später den Verlag „Logo“. Der Ein-Mann-Betrieb, der in den Folgejahren stark expandiert, produziert Lehrmittel für Schüler der Klassen eins bis sechs und für Kindergärten, ist viele Jahre Marktführer für didaktische Lehrmittel.
1998 wird der Verlag an die Holzbrinck-Gruppe verkauft, später an den Westermann-Verlag. Kuhn bleibt bis 2006 als Geschäftsführer, berufstätig ist er aber in unterschiedlichen Funktionen bis Dezember 2018. Seitdem widmet er sich ausschließlich seiner ehrenamtlichen Arbeit für die abc-Gesellschaft. Der Verein ist sein Lebenswerk. „Die Alphabetisierung ist der Weg, den Teufelskreis von Unwissenheit, Armut, Hunger, Krankheit und Kindersterblichkeit zu durchbrechen“, glaubt er.

Franz-Josef Kuhn baut die erste Universität für Ureinwohner in Südamerika, organisiert Alphabetisierungsprojekte für die Hochland-Ureinwohner in Bolivien, Ecuador und Peru. Sie lernen lesen und schreiben, gleichzeitig werden 32.000 Lehrer in der von ihm gegründeten „Lehrer-Wander-Akademie“ weitergebildet. Kuhn zieht selbst durchs Land, lernt Ausbilder an. Die Dorstener Gesellschaft baut ein Schulzentrum in Ecuador, dann die erste Universität für Hochland-Ureinwohner in Südamerika.
Weiter geht’s in Asien. In Nepal hilft die abc-Gesellschaft um die Jahrtausendwende beim Aufbau einer Schule für die Kinder leprakranker Eltern. „Die Schule in Kathmandu nimmt auch die Eltern der Kinder auf“, erklärte der Präsident damals. „Hier lernen sie lesen und schreiben und werden handwerklich ausgebildet, zum Beispiel in der schuleigenen Töpferei.“
Eine enge Verbindung nach Dorsten
Nach dem verheerenden Tsunami auf Sri Lanka am zweiten Weihnachtstag 2004, bei dem auch drei Mitglieder einer fünfköpfigen Familie aus Dorsten ums Leben kommen, initiiert Franz-Josef Kuhn das Projekt „Dorsten hilft“. Mehrere 10.000 Euro sammelt die abc-Gesellschaft binnen kurzer Zeit für ein Schulzentrum und ein Lehrerfortbildungshaus im tamilischen Nordosten des Landes, mitten in der Bürgerkriegs-Region.
Der vor Jahren verstorbene Dorstener Reeder Jürgen Salamon ermöglicht den Bau von 15 Fischerbooten für die Küstenregion. Auch nach einem Hochwasser in Malawi bekommt er 2022 spontan viel Unterstützung auch von Menschen aus Dorsten.
Zu der Stadt, wo vor 40 Jahren alles begann, hatte Franz-Josef Kuhn stets eine enge Verbindung. Er hat zwar „immer in Essen gelebt“, aber die abc-Gesellschaft hat ihren Sitz in Dorsten behalten. Er war im Kuratorium der Tisa-von-der Schulenburg-Stiftung, Dorstens verstorbener Ehrenbürgerin, war im Beirat und ist Mitglied im Verein für jüdische Geschichte und Religion. Auch da geht es ja um Bildung.

Wie damals in Dorsten, so läuft es immer: Die abc-Gesellschaft ist auf Spenden angewiesen. Manchmal gibt es Zuschüsse vom Land NRW, oft unterstützen Schulen mit Aktionstagen die Arbeit. „Jeder Euro geht ohne Abzug von Werbe-, Reise- oder Verwaltungskosten in die Projekte“, betont Kuhn stets. „Jedes Projekt wird direkt und unmittelbar durchgeführt und kontrolliert.“
Wie auch die in Malawi. 2008 war Franz-Josef Kuhn zum ersten Mal in einem der ärmsten Länder der Welt im Südosten Afrikas. Ein Taxifahrer brachte ihn in den sehr armen Norden Malawis, nach Chikhosi. Die Dorfbewohner hatten dort versucht, eine Schule zu bauen - ohne Geld und fremde Hilfe.
Kuhn erkannte sofort, dass der Rohbau die nächste Regenzeit nicht überstehen würde. Er versprach Hilfe, sammelte Geld und finanzierte die erste abc-Schule in Malawi. Der Anfang auch in diesem Entwicklungsland war gemacht.
Viel Dankbarkeit erfahren
Die Dankbarkeit, die er jedes Mal erfährt, wenn eine Schule eröffnet wurde, bestärkt den 86-Jährigen in seiner Arbeit. E-Mails mit netten Worten und Fotos, die den Schulunterricht dokumentieren. Ein Video der Cosby-Band aus München entstand während der Eröffnungstage im abc-Schulzentrum in Mpemba
Manchmal gibt es Auszeichnungen für Franz-Josef Kuhn, die ihm eigentlich „nicht so wichtig sind“, wie er sagt. Das Bundesverdienstkreuz hat er bekommen, Orden, Staatspreise und eine Ehrenbürgerschaft. In einem Interview hat er mal gesagt: „Die wirklich zu Ehrenden sind die, die in der sogenannten Dritten Welt unter schwierigsten Umständen ihre Familien mit Anstand und Würde durchbringen und unter größten Opfern ihre Kinder versorgen und schulisch voranbringen.“
Einigen von ihnen ist Franz-Josef Kuhn im Jubiläumsjahr der abc-Gesellschaft wieder begegnet. Es sind genau solche Eindrücke, die ihn auch im hohen Alter noch antreiben.

Im Süden von Malawi war er mit Begleitern auf dem Weg zu einer Baustelle. Sie fuhren durch große Teeplantagen, danach über schlimme Pisten durch Buschwerk und spärlichen Wald. „Plötzlich kamen über 100 Frauen auf unser Auto zu - sie jubelten, tanzten und lachten“, berichtet er. „Sie hatten auf uns gewartet und tanzten den letzten Kilometer zur Baustelle vor uns her. An der Baustelle warteten die Chiefs, die Officials und die Parlamentsabgeordnete.“ Und dann begann ein großes Fest.
Ähnliches ist im Salima Distrikt an einer Baustelle und an der in 2023 übergebenen Mlambe-Grundschule geschehen. Die Tradtional Authority und Headchief Fanny Kodzubwe sagte dem Gast aus Deutschland: „Bevor ihr gekommen seid, konnte in meinem großen Bezirk kaum einer lesen und schreiben. Jetzt weiß ich, dass es nach zwölf Jahren viele können.“
Spenden für die abc-Gesellschaft
Die abc-Gesellschaft ist als förderungswürdig anerkannt und kann Spendenquittungen ausstellen. Jeder Euro fließt ohne Abzug in die Projekte. Konto: IBAN DE86 4265 0150 0070 0130 08, Sparkasse Vest in Dorsten.