Raus aus der Wohnungslosigkeit in Dorsten Rafal Nitszke (28) startet Neuanfang mit eigener Wohnung

Raus aus der Wohnungslosigkeit: Rafal Nitszke startet Neuanfang
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Es ist nachts zwei Uhr: Rafal wird geweckt und soll die Wohnung verlassen, in der er für die Nacht untergekommen ist. Er kann den Freund überreden, doch noch bis zum Morgen bleiben zu dürfen. Dann muss er weg. Einen anderen Ort zum Schlafen hat er nicht. Morgens geht die Suche weiter: „Wo kann ich schlafen?“ Eine Sorge und Angst, die nur die wenigsten kennen, die aber immer mehr Menschen in Dorsten betrifft.

Denn: Der Wohnungsmarkt ist angespannt. Genügend Wohnraum für Bedürftige gibt es nicht. Es suchen immer mehr Menschen die Hilfe der Wohnungslosenhilfe der Evangelischen Kirche auf. 2024 erreichte sie einen Rekord: 527 Klienten betreute die Wohnungslosenhilfe. Im Jahr zuvor waren es 312.

Bis Mitte des Jahres können mittlerweile neun Menschen über das „Housing-First“-Programm eine eigene Wohnung erhalten. Rafal Nitszke ist einer von ihnen.

„Ich bin der Betreuer des Projekts Housing First und bis jetzt lief eigentlich alles ziemlich gut, also auch die Kommunikation mit den Vermietern und mit den Mietern“, erklärt Simon Brungs von der Wohnungslosenhilfe.

„Es gibt natürlich einige, die sich mittlerweile eingelebt haben und nicht mehr großartig die Betreuung von mir benötigen, die ist aber auch nicht verpflichtend über Housing First“, erklärt er.

Das Konzept basiert darauf, dass den wohnungslosen Menschen ohne Auflagen und Bedingungen, die über ein normales Mietverhältnis hinaus gehen, Wohnungen zur Verfügung gestellt werden.

Für etwaige Mietausfälle kommt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) auf, der das Programm fördert. Heißt konkret: Die Personen müssen zum Beispiel nicht erst eine Therapie nachweisen oder an Rehabilitationsmaßnahmen teilnehmen, um für das Programm infrage zu kommen.

Die Vermittlung der Wohnungen steht daher an erster Stelle. Ob die Personen dann noch die Hilfe von Simon Brungs annehmen wollen, ist ihnen freigestellt. Rafal Nitszke hat sich das aber fest vorgenommen.

Anreize für Vermieter

„Für Vermieter ist das sehr attraktiv, und die sind auch abgesichert. Die müssen sich da keine Sorgen machen“, erklärt Brungs. Viele der Vermieter haben sogar Wohnungen gekauft, um sie dem „Housing-First“-Programm zur Verfügung zu stellen.

Der LWL übernimmt zum Beispiel 40 Prozent (max. 40.000 Euro) des Kaufpreises und zahlt eine einmalige Prämie von 5.000 Euro für die Bereitstellung von Wohnraum.

„Wer daran interessiert ist, kann einfach mal bei uns auf einen Kaffee vorbeikommen“, bietet Einrichtungsleiterin Vanessa Greef an. Ansprechpartnerin beim LWL ist Verena Feller.

Rafal Nitszke, Vanessa Greeef und Simon Brungs vor der Wohnungslosenhilfe in Dorsten
Rafal Nitszke (l.) fühlt sich bei der Wohnungslosenhilfe in Dorsten gut beraten. Einrichtungsleiterin Vanessa Greef (M.) kennt er schon seit fünf Jahren. Simon Brungs (r.) konnte neu für das Projekt eingestellt werden Er betreut und berät die Klienten. © Alexandra Schlobohm

„Das ist natürlich auch genau das Konzept von Housing First. Wir stellen dir eine Wohnung, und alle anderen Probleme, die du mitbringst, musst du nicht vorrangig bearbeiten. Du darfst entscheiden, inwieweit wir dir helfen, inwieweit du Hilfe annehmen möchtest und inwieweit du an dir arbeiten möchtest, das ist ja ein bisschen anders als das ambulant betreute Wohnen“, erklärt Vanessa Greef.

Neben einem Dach über dem Kopf bedeuten die eigenen vier Wände für Rafal noch mehr: „Die Möglichkeit, nochmal neu zu starten und sein Leben für sich zu finden, und du bist ja auch ziemlich jung und da ist die Ich-Findung ja vielleicht noch gar nicht so richtig abgeschlossen“, sagt Vanessa Greef zu Rafal.

Eine Wohnung in einem neuen Umfeld ist für Rafal, eine neue Chance, seine Zukunft für sich zu verbessern. „Um einfach einen Schlussstrich zu ziehen bezüglich der Wohnungslosigkeit“, so Greef.

Momentan kommt Rafal bei einem anderen Freund auf einem kleinen Sofa unter. Es ist unbequem, seine Knie schmerzen, aber er hat für die Nacht einen Schlafplatz. Bald ist er darauf nicht mehr angewiesen: In wenigen Tagen kann er endlich wieder eine eigene Wohnung beziehen.

Ruhige Gegend

Von außen hat er die Wohnung bereits gesehen. Sie gefällt ihm, da sie in einer ruhigen Gegend außerhalb von Dorsten liegt. Das war ihm wichtig. Besonders freut er sich über den Balkon.

„Rafal lebt halt anders als wir. Und das muss man auch akzeptieren. Und das wird in der neuen Wohnung auch so sein. Er wird sich keine Orchidee ins Fenster stellen oder weiß-rosafarbene Deko irgendwo haben. Das ist vollkommen in Ordnung“, erklärt Vanessa Greef.

Damit meint sie unter anderem seine künstlerische Ader. So hat sich der 28-jährige gebürtige Pole schon überlegt, wie er das in der neuen Wohnung umsetzen möchte. „Ich mache eine Wand voll mit Leinwänden und male darauf“, erklärt er.

Rafal ist mehrmals in den vergangenen fünf Jahren in die Obdachlosigkeit gerutscht. „Ich bin schon seit Jahren depressiv gewesen. Immer wieder gab es Höhen und Tiefen“, sagt Rafal.

Zudem kämpft er mit einer Sucht. Durch eine Therapie hat er es schon einmal geschafft, 220 Tage clean zu sein. Das ist auch jetzt wieder sein Ziel. „Jetzt bin ich wieder am Reduzieren. Ich nehme auch kein Heroin oder sowas. Natürlich nicht. Für mich ist Cannabis der Hauptkonsum.“

Rafal hat noch mehr Wünsche, als von den Drogen loszukommen: Wenn er seine Wohnung hat, möchte er wieder seinen Hobbys nachgehen und arbeiten. „Ich will mich um meinen Führerschein kümmern und dann will ich gerne arbeiten, weil ich die Arbeit brauche“, sagt er. Nicht zu arbeiten, mache einen großen Teil seiner Depression aus.

Er möchte seine Tage gerne mit sinnstiftenden Dingen verbringen: „Wenn ich am Ende des Tages sehe, was ich gemacht habe, macht mich das stolz und baut mich auf. Das fehlt mir zurzeit“, erklärt er.

Er wünscht sich einen Job, bei dem er draußen sein kann, wie zum Beispiel im Garten- und Landschaftsbau. Außerdem möchte Rafal wieder klettern gehen und seiner neu entdeckten Leidenschaft, dem Kochen, nachgehen. „Darauf freuen wir uns auch schon“, sagt Vanessa Greef.