
© Stefan Diebäcker
Das letzte Interview in Dorsten mit Pfarrer Franke: Was gut war und was „unterirdisch“
Abschied von Ulrich Franke
Er war eine Institution in Dorsten. Nach 25 Jahren verlässt Pfarrer Ulrich Franke die Gemeinde St. Agatha in Richtung Olfen. Im Interview zieht er Bilanz - und die ist nicht nur positiv.
Sein Büro im Pfarrheim St. Agatha, das auch immer sein Wohnzimmer war, ist leer. Den Umzug nach Olfen hat Ulrich Franke in den vergangenen Tagen vollzogen. 25 Jahre in Dorsten haben Spuren hinterlassen, auch an den einstmals weißen Wänden. Deutlich ist zu erkennen, wo Schränke und Regale gestanden und Bilder gehangen haben.
Zwei Stühle stehen noch auf dem Parkett. Mehr ist nicht geblieben in dem nun kargen Raum, aber mehr braucht es für ein letztes Gespräch auch nicht. Der Pfarrer von St. Agatha nimmt sich gerne die Zeit, obwohl er vor dem Abschiedsgottesdienst am Sonntag (24. November) noch einige Termine hat.
Was nimmt ein Pfarrer eigentlich mit, wenn er umzieht?
Ein paar Möbel, sehr viele Bücher. Das Auto, ein paar Messgewänder. Stolen und was dazu gehört, meinen Kelch und meine Schalen. Und natürlich nehme ich auch die 25 Jahre in Dorsten und viele Erinnerungen an diese Zeit mit. Sehr vieles, was mir momentan im Kopf herumschwirrt und noch getan werden müsste. Und den Felix-Koffer, den ich an der Agathaschule bekommen habe. Jedes Kind hat eine Erinnerung aufgeschrieben.
Wie sind Sie damals eigentlich nach Dorsten gekommen?
Mein damaliger Personalchef hat mir mitgeteilt, dass ich nach Dorsten gehen soll. Ich war Kaplan in St. Georg in Bocholt. Der Wechsel war mit ein paar Hürden verbunden. Mein Vorgänger, Pfarrer Jesper, war noch da und hat - wie ich jetzt - am Christkönigsonntag seine letzte Messe gefeiert. Ich bin provisorisch in die Kaplanswohnung eingezogen. Das hat sich alles hingezogen - es war ein etwas holpriger Anfang.
Der Bischof hat Sie damals nach Dorsten geschickt. Wie haben Sie es eigentlich geschafft, 25 Jahre zu bleiben?
Das Bistum ist zunächst mal froh, wenn es jemand macht. Und wenn es dann einigermaßen läuft, kann man offenbar bleiben. Ich vermute mal, dass das der Grund war. Als ich 60 wurde, hat das Bistum gefragt, ob ich bleiben möchte. Das machen sie in Münster immer so. Ich habe „Ja“ gesagt, aber ein Jahr später mitgeteilt, dass ich noch mal wechseln möchte.

Das Büro ist leer, der letzte Koffer gepackt: Die Schüler der Agathaschule haben Ulrich Franke am Freitag ein paar Abschiedsbriefe mitgegeben. © Stefan Diebäcker
Was unterscheidet Ihre neue Gemeinde St. Vitus in Olfen von der Gemeinde St. Agatha in Dorsten?
Entscheidend ist für mich, dass die neue Gemeinde kleiner, überschaubarer ist. Das Dorf Vinnum mit einer Kirche gehört noch dazu, außerdem gibt es zwei Kindergärten, ein größeres und ein kleineres Pfarrheim. In Dorsten ist das alles „mal vier“. Hier hängt auch noch ein großer Friedhof dran, dort gibt es einen Kommunalfriedhof. Das überschaubare Feld in Olfen kommt dem zugute, was ich vor allem wieder sein möchte: Seelsorger.
Konnten Sie sich Olfen aussuchen?
Nein, da war nur der Wunsch nach einer kleineren Gemeinde. Anfang der Sommerferien bekam ich dann den Anruf, dass der Pfarrer in St. Vitus überraschend gegangen ist. Ich bin einen Tag vorbeigefahren, habe mit einigen Menschen gesprochen und zugesagt.
Wie ist Ihr erster Eindruck?
Sehr nette Menschen, die ich bisher kennengelernt habe, ein recht familiärer Umgang. Es gibt eine sehr schöne, neugotische Kirche, die erst vor ein paar Jahren renoviert wurde. Es gibt ein großes Pfarrhaus aus derselben Zeit. Die überschaubare Stadt macht einen guten Eindruck. Ich glaube, da kann ich schön leben und arbeiten.
Was bleibt von 25 Jahren in Dorsten?
Das Meiste ist positiv. Und das Positivste verbinde ich mit allem, was ich mit den Menschen zusammen gemacht habe. Auch, wo ich mich mit Menschen nur situativ getroffen habe, bei Trauungen oder Beerdigungen. Oder mit ihnen etwas geplant und Ideen gesponnen habe. Das sind manchmal Begegnungen gewesen, die man heute nicht mehr greifen kann - aber sie bleiben trotzdem haften.
Bei den Menschen zu sein - ist das Ihre Stärke?
Ich glaube schon, und das nehme ich auch mit nach Olfen. Es ist eine wichtige Aufgabe nicht nur für mich, sondern auch für die Kirche, deutlicher bei den Menschen zu sein, zu versuchen, sie zu verstehen, und sie dort, wo sie sind, zu begleiten, auch wenn ich nicht immer alles nachvollziehen kann.
St. Agatha ist Ihnen zu groß geworden, sagten Sie vor einigen Wochen. Waren Sie ein Gegner der Fusion von vier Kirchengemeinden?
Sagen wir so: Ich bin kein Freund der Fusion, ich finde auch das Wort ganz schrecklich. Ich halte die Zusammenfassung der vier Gemeinden zu einer Pfarrei auf lange Sicht für die richtige Entscheidung. Wie das aber geschehen ist, war nicht gut, zum Teil unterirdisch.
Was genau meinen Sie?
Als wir fusioniert sind, stand nichts. Es gab das große Fest auf dem Marktplatz, wir sind in die Kirche gezogen, der Weihbischof war da - aber es war eigentlich nichts geklärt. Wie gehen wir das an? Wie läuft das mit den Pfarrgemeinderäten, mit dem Büro? Vonseiten des Bistums, das den Prozess ja forciert hat, war wenig vorbereitet worden.
Wir lebten zum Teil im Tal der Ahnungslosen und haben es einfach mal gemacht. Später stellte sich heraus, was das für eine Mühe ist, den Zusammenschluss organisatorisch einigermaßen in den Griff zu bekommen. Und das auch menschlich einigermaßen hinzubekommen - das ist bis heute nicht gelungen. Viele Menschen leben in ihrer Gemeinde und trauern den alten Zeiten hinterher.
Haben während oder nach der Fusion viele Menschen der Katholischen Kirche den Rücken gekehrt?
Ja, in einigen Gemeinden haben sich Leute zurückgezogen. Gott sei dank nicht alle. Immer wieder heißt es, der Zusammenschluss sei in St. Agatha sehr geräuschlos über die Bühne gegangen. Ich kann Ihnen heute sagen: Hinter den Kulissen hat es auch schon mal geknallt.
In St. Johannes gibt es mittlerweile keine Kirche mehr ...
Auch das, finde ich, ist eine gute Entscheidung mit Blick auf die Zukunft gewesen. Die Kirche ist in eine schöne Familienbildungsstätte umgewandelt worden, aber eine Kapelle ist noch da und somit ein Gottesdienstraum für 30 Jahre gesichert. Ich bin überzeugt, dass die Kirche keine zehn Jahre mehr überstanden hätte, zum Beispiel wegen der demografischen Entwicklung.
Wenn Sie einem jungen Menschen den Beruf des Pfarrers würden schmackhaft machen wollen, wie würden Sie argumentieren?
Wenn Du ein gläubiger Menschn bist, das ist ja die Voraussetzung, und wenn Du mit Gott im Herzen etwas tun möchtest, wo auch immer, dann hast Du es in diesem Beruf mit allen Lebenslagen zu tun, mit allen Menschen. Wenn Du auf diese Menschen zugehst, wird Dir immer noch ein großer Vertrauensvorschuss entgegengebracht. Auch wenn es manchmal schwierig ist und grenzwertig, was die Belastung betrifft, würde ich diesen Beruf wieder beginnen.
Am Sonntag ist Ihr Abschiedsgottesdienst. Aufgeregt?
Nein.
Erleichtert?
Ja, das bin ich, weil ich den Umzug einigermaßen über die Bühne bekommen habe. Ich weiß, dass der Entschluss für mich, aber auch für die Gemeinde richtig war. Aber ich bin nicht erleichtert in dem Sinne, dass ich es endlich hinter mir habe.
Was werden Sie den Menschen in Ihrem letzten Gottesdienst am Sonntag mit auf den Weg geben?
Ich werde ein Projekt besonders hervorheben, nicht weil ich die alte Zeit von St. Agatha beschwören möchte, sondern weil es etwas auf den Punkt bringt: Wir hatten ein Gemeindemotto, das lautete: Mitten in der Stadt, mitten im Leben. Das war ein goldrichtiger Slogan. Wir leben mitten in der Stadt, ebenso wie St. Nikolaus auf der Hardt oder Heilig Kreuz in Altendorf. Und wenn dieser Schalter umgelegt wird, dass die Kirche nicht irgendwo steht, sondern unter den Menschen ist, dann kommt etwas Gutes in Bewegung. Zum Beispiel die Tafel, der Mittagstisch für Bedürftige. Oder das Pfarrfest, das nicht mehr am Pfarrheim, sondern auf dem Kirchplatz gefeiert wird. Mittendrin, offen für alle Menschen.
Veränderungen gab es immer, doch nie waren sie so gravierend. Und nie so spannend. Die Digitalisierung ist für mich auch eine Chance. Meine journalistischen Grundsätze gelten weiterhin, mein Bauchgefühl bleibt wichtig, aber ich weiß nun, ob es mich nicht trügt. Das sagen mir Datenanalysten. Ich berichte also über das, was Menschen wirklich bewegt.
