Als die Türen von Saal 1 im Amtsgericht Castrop-Rauxel geöffnet werden, gehen zwei Brüder zielstrebig hinein. Sie tragen beide die gleichen schwarzen Nike-Sneaker und dürften so um die 30 Jahre alt sein. Was allerdings wichtiger ist: Es ist nicht ihre erste Zwangsversteigerung, denn sie wollen ihr Geld gerne gemeinsam sinnvoll anlegen.
In wenigen Minuten kommt ein Zweifamilienhaus aus Ickern unter den Hammer. Beide Hausteile kommen gemeinsam auf fast 200 Quadratmeter Wohnfläche. Ein Gutachter hatte den Wert der Immobilie auf 370.000 Euro geschätzt. Es gibt aber auch Probleme: Waren das Reihenhaus und das Reihenendhaus einst klassisch vertikal getrennt, wurden irgendwann Wände eingerissen und andere gezogen, sodass die Trennung nun eher horizontal ist. Genehmigt wurde dieser Umbau aber nie.
Gleich beginnt die Versteigerung. Umso besser, für sie, wenn die Brüder alleine bleiben sollten. Denn dann müssten sie gegen niemanden anderen bieten. Ein Freifahrtschein wäre das dennoch nicht. Denn es gibt zumindest bei ersten Versteigerungsterminen klare Regeln. Wird weniger als die Hälfte des Schätzwertes geboten, muss das Gericht ablehnen. Wird hingegen weniger als sieben Zehntel geboten, können die Gläubiger ablehnen. Bleiben sie alleine, müssen sich die beiden jungen Männer also nur mit Bank und Gericht einigen.
Gekauft wie gesehen
Doch daraus wird nichts. Um 12.29 Uhr kommt noch ein dritter junger Mann zur Tür rein und setzt sich in die hintere Stuhlreihe. Dass er sich die Zwangsversteigerung nur aus reinem Interesse anschauen will, weiß außer ihm niemand. Kurz bevor die Türen geschlossen werden, schlüpft noch ein Makler hinein. Er trägt eine dunkle Steppjacke und eine Ledermappe unter dem Arm.
Als der Rechtspfleger zur Eröffnung der Auktion den Grundbucheintrag der Immobilie vorliest, sind alle drei Parteien in ihre Smartphones versunken. Sie alle kennen das auf 370.000 Euro geschätzte Haus an der Leveringhauser Straße in Ickern – und wohl auch seine Problemchen. Das ist entscheidend, wenn man ein Schnäppchen schießen oder Gewinn mit einer Immobilie aus einer Zwangsversteigerung machen möchte. Denn das Gericht übernimmt keinerlei Gewährleistung, wenn die derzeitigen Bewohner nach der Versteigerung noch etwas kaputt machen sollen. Außerdem wird das Haus gekauft wie gesehen, und auf den Bildern im Exposé war durchaus viel Müll zu sehen.

Um 12.47 Uhr sagt der Rechtspfleger schließlich: „Ich eröffne die Bietzeit.“ Doch es tut sich erstmal nichts. Die beiden Brüder gehen abwechselnd zum Telefonieren vor die Tür, und der Makler blättert nochmal langsam durch das Gutachten. Im Saal 1 des Amtsgerichts wird es so leise, dass das Rascheln des Papiers klar zu hören ist. Die Zeit vergeht langsam, die Anwesenden scheinen sich zu langweilen; der Rechtspfleger und die Anwältin unterhalten sich schon darüber, woher sie sich kennen könnten und über ihre weite Anfahrt.
Nur die Hälfte vom Schätzwert
Nach gut 20 Minuten tut sich dann doch etwas: Der Makler bietet 185.000 Euro, also genau die notwendige Fünf-Zehntel-Grenze. Als ob sie wüsste, dass kein anderes Gebot mehr kommen würde, fragt die Anwältin ihn sogleich nach seiner Karte. Und tatsächlich: alle drei Parteien sind kurze Zeit später erneut mit ihren Handys beschäftigt. Die Zeit läuft ab. Einen Versuch unternimmt die Maklerin aber noch: „Wenn noch jemand Interesse hat, der sollte unbedingt heute bieten, denn einen zweiten Termin wird es nicht geben.“ Ein klarer Wink, dass die Bank nicht auf die Sieben-Zehntel-Grenze bestehen wird. Das verstehen auch die beiden Brüder so. Doch sie machen keine Anstalten mehr zu bieten.
Eine Minute später ist tatsächlich Schluss. Die Immobilien geht zusammen mit ihren möglichen Problemen für 185.000 Euro an den Makler. Der Schätzwert war allerdings doppelt so hoch. Ist ihm also ein richtiges Schnäppchen gelungen? Daran zweifeln zumindest die anderen Anwesenden anschließend. Die stillen Beobachter hatten gar nicht erwartet, dass das Haus gleich im ersten Termin unter den Hammer kommt.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 6. Oktober 2024.