Wer bei einem Rundgang durch die Altstadt darauf achtet, findet zahlreiche Gewerbeflächen, die gerade nicht genutzt werden. Manchmal sind die Schaufenster mit Folien beklebt, auf denen „Zu vermieten“ steht. Andernorts stehen Schilder mit derselben Aufschrift in den Schaufenstern – daneben sind jeweils die Kontaktdaten der zuständigen Immobilienfirma zu sehen. Andere Schaufenster sind einfach komplett leer. Größere Unternehmen wie Hussel oder die Postbank, die ihre Filiale am Busbahnhof zum 17.10. geschlossen hat, verweisen auf ihre anderen Standorte. Die Modekette Gerry Weber, die ihre Filiale vor etwa einem Jahr wegen fehlender Profitabilität aufgegeben hat, empfiehlt seitdem per Aushang den Online-Shop.
Die ungenutzten Gewerbeflächen sind unterschiedlich groß – von der überschaubaren Bude bis zu größeren Geschäftsräumen ist alles dabei. Ob direkt am Markt oder in einer der vielen Straßen darum herum – wer in Castrop-Rauxels Altstadt nach einer Gewerbefläche sucht, könnte bei dem Angebot fündig werden. Offenbar ist die Nachfrage allerdings deutlich geringer als das Angebot. Das Resultat: zahlreiche Leerstände.


Viele Passanten unterwegs
Dabei sind im Vergleich zu anderen Städten in der Region relativ viele Passanten in Castrop-Rauxels Altstadt unterwegs. Das hat eine Messung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nord Westfalen kürzlich ergeben. Die Daten hat die IHK im Frühling über einen Zeitraum von acht Wochen hinweg erhoben – jeweils donnerstags von 15 bis 16 Uhr und samstags von 11 bis 12 Uhr an den Standorten Am Markt 25 und Im Ort 7. Zu beachten ist, dass Donnerstage und Samstage zu den Markttagen in Castrop-Rauxel zählen. Somit könnten mehr Menschen als gewöhnlich unterwegs sein.
Laut der IHK gehörte der Standort Am Markt an Samstagen mit durchschnittlich 1423 Passanten innerhalb des Messzeitraums zu den stärksten Standorten im Kreis Recklinghausen. Im Vergleich zur Messung vor zehn Jahren hat sich der Wert kaum verändert. Am Standort Im Ort ist die Passantenfrequenz sogar leicht gestiegen – von 1011 im Jahr 2014 auf 1157 im Jahr 2024. Bei den Messungen an Donnerstagen ermittelte die IHK einen Durchschnitt von 825 Personen Am Markt und 891 Personen Im Ort.
Schließungen und Eröffnungen
Zuletzt hat in der Altstadt die Confiserie Hussel ihre Filiale endgültig geschlossen. Am 17. Oktober hat die Postbank ihre Filiale am Busbahnhof zugemacht. Die Castrop-Rauxeler Filiale des Schuhgeschäfts Grosse-Kreul befindet sich laut Aushang im „Räumungsverkauf wegen Filialschließung“. Auch „Hendrich – Strümpfe und mehr“ und die Bäckerei Schickentanz haben ihre Geschäfte in der Europastadt in diesem Jahr eingestellt. Das Maklerbüro Immolink hat seine Geschäftsräume am Markt im August verlassen.
Neu geöffnet haben in diesem Jahr immerhin auch schon einige Geschäfte. Darunter das wiedereröffnete Kaffeehaus am Münstertor, der Imbiss Sushi Delight am Widumer Platz, die Fahrschule Jürgen Pohl am Stadtgarten, die Wurscht Factory an der Herner Straße und der Barbershop Haci an der Oberen Münsterstraße, das Maklerbüro Bielak am Brückenweg und das Bauernlädchen am Biesenkamp.


„Dieses Jahr war katastrophal“
Kaufleute haben laut der IHK weit über Castrop-Rauxel hinaus mit schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen. Die aktuelle Konsumzurückhaltung, der Bedeutungszugwachs des Online-Handels sowie gesellschaftliche Veränderungen nähmen großen Einfluss auf die Geschäfte. In Castrop-Rauxel erzählte zuletzt Moamen Hab Alruman, Inhaber des Sham Markts für arabische und türkische Spezialitäten, im Gespräch mit unserer Redaktion: „2022 hatten wir noch sehr viele Kunden, letztes Jahr weniger, dieses Jahr ist es katastrophal.“ In den vergangenen zwei Jahren hätten sich die Preise verdoppelt, aber die Kundschaft halbiert. Unter diesen Umständen ist es offenbar trotz verfügbarer Gewerbeflächen schwierig, Kaufleute in größerer Anzahl von Geschäftseröffnungen in Castrop-Rauxel zu überzeugen.


IHK: „Rückzug des Einzelhandels“
Doch wieso läuft es bei vielen Geschäften offenbar nicht rund, wenn die Passantenfrequenz vergleichsweise hoch ist? „Die Gleichung, dass hohe Frequenzen automatisch zu hohen Umsätzen im Einzelhandel führen, geht allerdings nicht mehr in jedem Fall auf“, erklärt die IHK. Es sei nicht mehr ausschließlich die „Anzahl der Läufer“ entscheidend, sondern zunehmend die „Motivation der Käufer“. Sozioökonomische Faktoren wie Geschlecht, Alter und Wohnort „gewinnen daher an Bedeutung“.
Die IHK nennt die Entwicklung in vielen Innenstädten „den Rückzug des Einzelhandels“. Der Einzelhandel verliere „als Frequenzbringer in den Zentren an Bedeutung“. In der Folge „wird die Innenstadt der Zukunft nicht mehr nur ein Ort des reinen Konsums sein. Es braucht wieder mehr Diversität und Nutzungsmischung“. Atmosphäre, Aufenthaltsqualität sowie ein attraktiver Mix aus Handel, Dienstleistung, Gastronomie, Kultur und Freizeit seien maßgeblich entscheidend für „vitale und multifunktionales Städte“.






