Wer bei Wolfgang Preikschat einkehrt, der wird kaum merken, dass der 73-Jährige das Vertrauen in die Politik verloren hat. 40 Jahre war der Opelaner, der schon vor der Schließung des Opel-Werks in Bochum weich gefallen ist, Mitglied der SPD. Er ist es nicht mehr. Jetzt fragt er sich: Was soll der Mist mit der Grundsteuer-Reform? Sein Zechenhaus in Ickern-End würde – Stand jetzt – für ihn deutlich höher bemessen als bisher: Die Messzahl steigt von 25 auf 43 Euro. Er könne sich das leisten. Aber er sieht es nicht ein.
Um seine Verwunderung zu belegen, zeigt er uns seine Papiere: die neue Berechnung durch das Finanzamt, den alten Gebührenbescheid, seinen Einspruch gegen den letzten Gebührenbescheid der Stadt, wo es schon mal Verwirrung um die Abwassergebühren gab. Und die Bodenrichtwertkarte, die er sich angesehen hat. Dort hatte sein Grundstück bisher den Richtwert 225 Euro pro Quadratmeter. Jetzt soll es auf 260 Euro steigen. Andere Häuser direkt nebenan haben Richtwert 330. „Der Nachbar, direkt hinter der Hecke“, sagt er beim Gespräch auf der Terrasse. „Wer soll denn das verstehen?“

Verstehen: Das würde er gern. Aber wenn man sich die Mitteilung des Finanzamtes anschaut, dann ist es für den Laien einfach undurchschaubar, findet er, wie man zu den neuen Werten überhaupt kommt. Hintergrund der Neuberechnung ist ein Gerichtsurteil, das der Politik und Regierung eine Reform auferlegte, weil die alten Werte auf uralten Daten beruhten, die heute nicht mehr der baulichen Realität entsprächen.
Das Problem aktuell: Land NRW, das hier die Reform umsetzen muss, und Kommunen, also die Stadt Castrop-Rauxel, liegen schwer über Kreuz. Weil im Land Schwarz-Grün regiert und in der Stadt Rot-Grün? Es wirkt, als bekämpften sie sich mit scharfen Klingen. Das Land wird am Ende obsiegen. Doch die Stadt-Oberen befürchten schon jetzt einen heillosen Jahresanfang 2025. Dann muss der EUV Stadtbetrieb die Gebühren für jeden einzelnen Eigentümer in der Stadt berechnen und erheben. Preikschat weiß jetzt schon, was er tun wird: Einspruch einlegen. Einfach so. „Das mache ich jedes Jahr“, sagt er.
„Es wird große interne Verschiebungen geben“, sagte Michael Werner, Chef des EUV, kürzlich im Stadtrat. Am Ende soll die Reform „aufkommensneutral“ sein: Die Stadt soll nachher wie vorher knapp 17 Millionen Euro von den Bürgern und Gewerbetreibenden einstreichen. Zu regeln ist das über den sogenannten Grundsteuer-Hebesatz, der von Stadt zu Stadt unterschiedlich hoch ist und zum Bodenrichtwert und der Grundstücksgröße als Faktor dazu kommt. Nur wie viel von wem kommt, diese Frage ist noch unklar.
Schon im März sprachen wir mit Albert Gottwald: Der lebt seit Jahrzehnten in einem Zechenhaus auf Schwerin. Er befürchtet einen Aufschlag von 65 Prozent. Bei dem Rentner, der noch mit Kohle heizt, stiege nach der Neuberechnung die Jahresgebühr bei der Grundsteuer B von bisher 144 Euro auf rund 240 Euro. Er rechnete uns damals vor, wie viele Brote er davon kaufen kann. Das Geld bei ihm ist knapp. Der 82-Jährige wirkte im Gespräch damals hilflos.

Wolfgang Preikschat leitete bei Opel eine Produktionseinheit. Er hat ein Wohnmobil vor dem Haus stehen; der Verbrauchsstrom kommt bei ihm seit 2012 fast zu 100 Prozent vom Dach. Seine Frau und er reisen viel. Der 73-Jährige müsste sich die Grundsteuer nicht vom Brot absparen. Aber was bei Gottwald Angst ist, ist bei ihm vor allem das Gefühl, veräppelt zu werden von „denen da oben“. Deshalb wähle er anders als früher; nicht rechtsextrem, aber beim Wahl-O-Mat zur Europawahl war er selbst über die „Wahlempfehlung“ erstaunt: irgendeine Kleinpartei, die zwischen CDU und AfD stehe, also schon recht weit rechts. Dabei sehe er sich eigentlich links.
Preikschat war einer der Bürger, die einer Einladung der SPD in die Agora folgten. In der vergangenen Woche gab es eine Podiums-Diskussion zur Grundsteuerreform. Rund 40 Leute kamen da. Auf dem Podium saßen Politiker und der EUV. Es ging um die nun vom Land NRW empfohlenen Hebesätze für Castrop-Rauxel für Grundsteuer B (Wohnen / Gewerbe), Grundsteuer A (Landwirtschaft) und die Gewerbesteuer, die die Stadt nicht so umsetzen muss, aber doch könnte. Oder solle. So richtig weiß man das aktuell nicht.
Auf Basis dieser Empfehlung hat er sich seine Kosten ausgerechnet: 71 Prozent höherer Steuermessbetrag. Je nach Hebesatz von 838 Prozent oder 703 Prozent würde er 74 Prozent mehr zahlen (360 Euro im Jahr) oder 46 Prozent mehr (302,50 Euro). Wäre die Reform auch für ihn „aufkommensneutral“, müsste der Hebesatz in Castrop-Rauxel auf 482 Prozent gesenkt werden. Das wird in einer klammen Kommune aber in keinem Fall passieren.
Donnerstagabend (5.7.2024) hat der Landtag die Reform beschlossen. Die SPD stimmte dagegen, weil sie eine Schlechterstellung für viele Eigenheimbesitzer darstelle und Gewerbe im Gegenzug günstiger würde. Die Landtags-Abgeordnete Lisa Kapteinat saß auch auf dem Podium in der Agora. Sie habe Preikschat genauso wie der EUV und die anderen Vertreter nicht klarmachen können, was da kommt und warum genau es so kommt, wie es kommt.
Am Freitagmorgen bewertete sie die verabschiedete Reform so: „Das Land hat sich nicht getraut, genauer zu differenzieren, weil ihnen die Zeit zu knapp erscheint. Die Landesregierung hat aber kein Problem damit, eine solche Möglichkeit den Städten zu geben, die dann weniger als ein halbes Jahr Zeit haben und das ganze Risiko, rechtlich und finanziell, tragen würden.“ Nach ihrem derzeitigen Stand traue sich das kaum eine Stadt zu, selbst die Großstädte mit ihren großen Experten-Apparaten nicht.

Klar sei für Preikschat, dass er Einspruch bei der Stadt gegen den Bescheid einlegen werde. Sein Einspruch wegen der Abwassergebühren in diesem Jahr sei noch immer nicht geklärt, sondern beim EUV in Bearbeitung. Und der Stadtbetrieb befürchtet, dass es 2025 nicht besser, sondern noch viel schlimmer wird. Beigeordneter Michael Eckhardt befürchtete schon vor Monaten eine Einspruchs-Flut angesichts der Grundsteuer-Reform, die auf dem Mist des Landes gewachsen sei, aber dann von den Beschäftigten der Kommune ausgebadet werden müsse. Einsprüche sind dabei noch das eine. Es könnten sogar Klagen folgen, die die Stadt unterm Strich sehr teuer zu stehen kommen würden.
360 Euro statt 208 Euro im Jahr für die Grundsteuer: Das sieht Preikschat einfach nicht ein. Gerade, weil es aktuell wohl so aussehe, dass Gewerbeimmobilien tendenziell günstiger würden.

„Die haben uns empfohlen, dass wir E-Mails an die Landesregierung schicken sollen“, sagt Wolfgang Preikschat. „Das Podium in der Agora wirkte so, wie soll ich sagen, genauso hilflos, wie die Verwaltung oder wie alle eigentlich.“
Seit 1983 wohnt Wolfgang Preikschat in diesem Haus an der Groppenbachstraße. Gern wohnt er da, eine tolle Siedlung sei das hier in Ickern-End. Das Haus wurde 1921 erbaut. Stolz zeigt er ein Bild von der Zechensiedlungsgesellschaft Glückauf GmbH: Es hängt in seinem Hausflur, zeigt das Haus, wie es einst geplant und bewohnt wurde. Schweinestall, Ziegenstall, Schuppen, Kohlen-Kriechkeller. Kein Badezimmer. Langer Garten. Ganz dürftig ausgestattet alles. Mit dem eigenen Heimwerker-Talent baute der Autoschlosser seine Doppelhaus-Hälfte nach und nach um. Nie auf Pump, immer wenn wieder genug Geld da war, baute er an und aus, sanierte das Dach, errichtete den Carport, machte den Keller nutzbar, baute die Terrasse.
Heute leben er und seine Frau auf 73 Quadratmetern. Nicht üppig. Aber glücklich. Auch wenn künftig wohl deutlich teurer...
Anmerkung der Redaktion: Wir haben diesen Text, erstmals erschienen am Donnerstag (4.7.), am Freitag (5.7.), dem Tag nach dem Landtags-Entscheid, leicht aktualisiert.