Goldgräberstimmung beim Windrad-Bau Viele Last-Minute-Projekte um Herten und Recklinghausen

Goldgräberstimmung beim Windrad-Bau: Last-Minute-Projekte unterwegs
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In der Windenergie-Szene herrscht eine Mischung aus Goldgräberstimmung und Torschlusspanik: Aktuell sind nach Angaben des Regionalverbands Ruhr (RVR) im Kreis RE zusätzlich zu den 99 existierenden Windrädern 37 neue beantragt – die meisten im dünn besiedelten Haltern und Dorsten – und sie werden wohl auch eine Baugenehmigung erhalten. Bauherren gibt es viele – vom großen Energiekonzern bis zum kleinen Bauern.

Die Antragsflut hat einen Grund: Wer Windräder bauen will, weiß, dass der RVR gerade 113 Windenergie-Zonen rund ums Ruhrgebiet plant, in denen neue Windräder künftig genehmigt werden müssen – während sie außerhalb dieser Zonen nur noch gebaut werden können, wenn eine Kommune das ausdrücklich will. Bis zum Sommer, wenn der RVR-Plan in Kraft treten soll, gilt jedoch: Jeder darf bauen, wenn er das Land dafür hat und bestimmte Abstandsregeln einhält.

Ab dem Sommer könnte dann der Plan des RVR greifen: Er platziert jedes dritte der 113 Vorrang-Gebiete im Kreis Recklinghausen. Hier liegt also nicht nur die prominenteste Wind-Vorrangzone – auf der 152 Meter hohen Halde Hoheward in Herten neben dem Horizont-Observatorium. Die Hauptlast der neuen Windrad-Standorte sollen Haltern und Dorsten tragen.

Die „Steckdose des Reviers“

In Haltern werden laut RVR-Plan 682 Hektar Land für neue Windräder reserviert (das sind 6,8 Millionen Quadratmeter), in Dorsten 489 Hektar, in Recklinghausen 48 und in Marl 47 Hektar. Gladbeck und Oer-Erkenschwick bleiben im Kreis RE ganz ohne neue Wind-Vorrangzonen, wie RVR-Planungsdezernent Stefan Kuczera jetzt bei einer Info-Veranstaltung in Haltern bestätigte. Auf die übrigen Kreisstädte entfallen kleinere Flächen, und in Herten soll das höchste Windrad entstehen. Insgesamt werde der Kreis RE bei der regenerativen Stromerzeugung so zur „Steckdose des Reviers“.

Markus Gerber und RVR-Planungsdezernent Stefan Kuczera lächeln bei einer Info-Veranstaltung in Haltern freundlich in die Kamera.
Markus Gerber (Referat Staatliche Regionalplanung beim RVR) und RVR-Planungsdezernent Stefan Kuczera (re.) beantworteten in Haltern Fragen zum schnellen Windenergie-Ausbau. Kuczera ist Mitglied der Grünen und war bis 2018 selbst in der Windenergie-Branche tätig. © Elisabeth Schrief

Wie viele Windräder tatsächlich gebaut werden und wie hoch, ist dabei komplett offen. Neue Anlagen würden heute meist in einem Mindestabstand von 500 Metern zueinander gebaut, so RVR-Chefplaner Kuczera. Stehen sie näher beieinander, sei das „wirtschaftlich nicht sinnvoll“. Maximalhöhen schreibt er nicht vor. Momentan würde meist 180 bis 260 Meter hoch gebaut. „Bei unserer Planung geht es aber nur um das Wo.“

„Dies ist keine Volksabstimmung“

Ab sofort sind „Kritik und Anregungen“ gefragt; formal geht es um die „Änderung des Regionalplans Ruhrgebiet“. Der Recklinghäuser Kreistag und Stadtverwaltungen von Herten bis Haltern bereiten ihre „Anregungen“ aktuell vor. Auch jeder Bürger, jede Bürgerin dürfe sich äußern. Allerdings gelte dabei laut RVR-Chefplaner Kuczera: „Dies ist keine Volksabstimmung.“

Bürger sitzen in Stuhlreihen bei der Anhörung zur Änderung des Regionalplanes zur Beschleunigung des Baus von Windrädern in Haltern.
Bürger und Lokalpolitiker aus dem Kreis RE bei der Anhörung zur Änderung des Regionalplanes zur Beschleunigung des Baus von Windrädern in Haltern. Aus Herten mit seinem spektakulären Windrad-Standort Hoheward kamen besonders viele Politiker, etwa die gesamte Führung der SPD, eine Grüne und ein AfD-Mann. © Elisabeth Schrief

Das Landesamt für Umwelt und Verbraucherschutz in Recklinghausen hatte zuvor im Auftrag des RVR das Ruhrgebiet untersucht – mit 50 Ausschluss-Kriterien für Windräder von zu großer Nähe zu Straßen, Naturschutz- und Wohngebieten, zu Militäranlagen oder Flugplätzen... Übrig blieben 113 Flächen. Wer dagegen etwas einzuwenden habe, sollte laut Kuczera substanzielle Fakten nennen: etwa wenn eine Windenergiezone wegen einer Hanglage technisch schwer erreichbar sei. Die Frage, ob man ein Windrad unschön oder zu groß finde, sei dagegen „nicht relevant“. Schließlich führe der RVR hier „gesetzliche Vorgaben“ aus, das Grundsätzliche sei längst beschlossen.

Später Gruß von der Ampel-Regierung

Tatsächlich geht der Windenergie-Ausbau zurück auf die alte Ampel-Regierung, die eine 2022/23 eine Gesetzeskaskade auslöste: Als Russland die Ukraine überfiel und die deutsche Erdgas-Versorgung kriselte, hatte Vizekanzler Robert Habeck den beschleunigten Ausbau regenerativer Energien auf den Weg gebracht. Kanzler Olaf Scholz unterstützte die Energiewende durch sein Wort vom „Deutschlandtempo“.

Rund zwei Jahre später kommt dieses „Tempo“ nun im Kreis RE an: Der Bund schrieb den Ländern Flächenquoten vor, die sie für den schnellen Windstrom-Ausbau reservieren sollten.

In NRW goss die schwarz-grüne Landesregierung dies in ein Gesetz, das den Bezirksregierungen und dem RVR die Umsetzung dieser Quoten in ihren Regionen vorschrieb. Mindestens 2036 Hektar Land muss der RVR nun für neue Windräder reservieren. Und RVR-Chefplaner Stefan Kuczera machte in Haltern deutlich, dass man nicht vorhabe, „unter diesem Ziel durchzulaufen“.

Bedauerlich sei, dass man erst im Dezember 2024 erkannt habe, dass die alte Ampel-Regierung eine Rechtslücke hinterließ, die nun quasi überall den Windradbau nach den alten Regeln zulasse. Ein Grund mehr für Kuczera, die neuen Regeln des RVR schnell umzusetzen.

Großer Puffer als Verhandlungsmasse?

Recklinghausens Landrat Bodo Klimpel sagte in Haltern jedoch, dass er zumindest mit einem Standort im Kreis „nicht einverstanden“ ist. Er meint das Hoheward-Windrad in Herten. Weiter betonte er, dass die Belastung durch eine Vielzahl von Standorten von Haltern und Dorsten schon extrem sei.

Möglicherweise bietet sich hier aber noch Verhandlungsmasse für die Politik, denn der RVR plant derzeit mehr Windzonen als er muss. Das Land fordert 2036 Hektar, in Kuczeras Entwurf stehen 2714 Hektar: ein großer Puffer. Der RVR-Chefplaner sagte, er werde dem Essener Ruhrparlament vorschlagen, alle Flächen zu reservieren und die Windvorrangzonen nicht aufs Minimum herunterzufahren – für den Fall, dass auf einigen Flächen am Ende doch nicht gebaut werden könne.

Hoheward: Zweifel an der Hanglage

Wer dem RVR etwas zu den Plänen mitteilen möchte, kann dies bis zum 3. März online tun unter https://beteiligung.nrw.de/k/1010925. Hertens Stadtbaurätin Janine Feldmann, die neben dem Chef der Hertener Stadtwerke, Thorsten Rattmann, in Haltern persönlich anwesend war, wird dies für die Stadt Herten tun. Sie verweist darauf, dass nun ein „konstruktiver Umgang“ mit den RVR-Plänen gefragt sei. Allerdings hege sie auch bautechnisch begründete Zweifel am Standort Hoheward – wegen der steilen Hanglage.

Blick vom 152 Meter hohen Gipfel der Halde Hoheward über das Horizont-Observatorium in den Sonnenuntergang.
Die Halde Hoheward, ein Platz für ein großes neues Windrad? Der wohl spektakulärste von 113 Standorten im Ruhrgebiet ist höchst umstritten. © RVR / Ruben Becker