Wilhelm Siewert hat die rauen, kräftigen Hände eines Gärtners. Unzählige Stunden hat er auf Feldern, in Gewächshäusern und dem eigenen Geschäft verbracht – so wie es vorher sein Vater und sein Opa getan haben. Als er 18 Jahre alt war, heiratete er Barbara – die Frau, die bis heute an seiner Seite steht. 47 Jahre später, im Alter von 65, gehen sie gemeinsam in den Ruhestand. Es gibt keinen Nachfolger. Damit endet die 92 Jahre lange Geschichte des Familienbetriebs. „Mir geht es damit trotzdem gut“, sagt der Mann mit den Gärtnerhänden und lächelt.

Zwischen Pflanzen aufgewachsen
Der Gärtner ist zwischen Pflanzen in Castrop-Rauxel aufgewachsen. Bunte Blumensträuße. Der Duft von nasser Erde. Gespräche an den Marktständen. Kindheitserinnerungen. Bilder im Fotoalbum zeigen den jungen Wilhelm, wie er Felder bewässert. Seit seiner Jugend war klar, dass er den Familienbetrieb übernehmen sollte, sobald sein Vater 60 wird.

Sein Opa Wilhelm hatte 1933 eine Friedhofsgärtnerei gegründet. Damals wurden noch große Flächen zum Gemüseanbau genutzt. Der älteste Sohn – ebenfalls Wilhelm – führte das Geschäft ab 1976 zusammen mit seiner Frau Elisabeth. 1999 übernahmen Wilhelm und Barbara Siewert das Steuer. „Unser Sohn wollte eigentlich bei uns einsteigen“, sagt die Frau, die das Geschäft jahrzehntelang mitgestaltet hat. „Er ist gelernter Gärtner, aber darf krankheitsbedingt nicht als Gärtner arbeiten.“ Er sei nach Berlin gezogen, arbeite dort als Garten- und Landschaftsarchitekt.

Geschäft im Wandel der Zeit
Der Gärtner steht auf der Treppe vor seinem Wohnhaus und erinnert sich an vergangene Zeiten. Wo auf dem Betriebsgelände früher große Gewächshäuser standen, sind jetzt vermietete Garagen. Die Gegend war einmal ländlich, mit Feldern und großen Komposthaufen. „Damals hat das Geschäft richtig geboomt, in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren.“ Jetzt ist hier ein Wohngebiet. Geblieben sind das Geschäft Blumen Siewert und der nahegelegene Friedhof.

Ickerner Institution
Momentan sind die Siewerts mit einer Haushaltsauflösung beschäftigt. „Letztes Jahr, Ende Dezember, ist mein Vater gestorben“, sagt Wilhelm Siewert. Im Januar wurde er beerdigt. „Das war ein bisschen wie eine Promi-Beerdigung“, sagt Barbara Siewert. „Viele Ickerner Bürger sind gekommen. Er war alteingesessen und jeder kannte ihn. Er ist hier geboren und aufgewachsen, hat 87 Jahre hier gestanden und gearbeitet. Für die alten Ickerner sind wir schon noch eine Institution.“ Nicht zuletzt werden sich die Menschen in Castrop-Rauxel an die Weihnachtsmärkte erinnern, die von der Gärtrnerei veranstaltet wurden. Bilder zeigen reihenweise hell erleuchtete Häuser, umringt von strahlenden Christbäumen.

Gründe für das Ende
Drei Hauptgründe sprechen jetzt für den Ruhestand. Erstens das Alter: Mit 65 Jahren können die Siewerts beruhigt in Rente gehen. Zweitens gibt es gesundheitliche Gründe. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass Barbara Siewert selbst 40 Jahre nach der Amputation des Vorfußes noch so gut zu Fuß ist. Und drittens die finanzielle Seite: Die Bestattungskultur hat sich so verändert, dass für Friedhofsgärtner wenig Arbeit übrig bleibt. „Es ist so, dass es sich finanziell nicht mehr lohnt“, sagt der Gärtner. „Für uns ging es immer noch, aber einen Nachfolger würde man nie kriegen, für so einen Betrieb. Ich würde es auch keinem empfehlen.“
Ende April wird das Geschäft voraussichtlich geschlossen. Dann wird das Haus leergeräumt. Ein Käufer ist schon in Aussicht. „Wir wissen aber nur so viel: Es ist kein Gärtner.“
Kunden erinnern sich
Seit die Nachricht von der bevorstehenden Schließung bekannt wurde, teilen viele Nutzer sozialer Medien ihre Erinnerungen. „Weihnachtsmarkt bei Blumen Siewert war immer ein fester Termin im Advent“, schreibt eine Kommentatorin in der Facebook-Gruppe „Du bist Ickerner, wenn...“ Eine Frau erzählt: „Meine gesamte Familie war immer dort, wenn es um Blumen ging. Jeder Strauß sowie Blumengestecke wurden zur vollsten Zufriedenheit und Liebe zum Detail erstellt.“
In einer anderen Frau kommen ebenfalls Erinnerungen hoch: „Da bin ich immer mit meinem Opa hingegangen zum Weidekätzchen pulen. Mein Gott, ist das lange her.“ Ein Mann erinnert sich daran, wie er als Junge sein Taschengeld bei Siewert aufbesserte, indem er Stiefmütterchen pflanzte und Tomatensetzlinge pikierte. Immer wieder fällt das Wort „schade“, doch wird den Betreibern wird der „wohlverdiente Ruhestand“ gegönnt.

„Ich bin nicht wehmütig“
Am Ende fällt es doch nicht leicht, Abschied zu nehmen. „Am Valentinstag wurde uns erst richtig klar, dass das hier unser letztes gemeinsames Jahr im Laden ist“, sagt Barbara Siewert. „Ich bin jetzt nicht wehmütig oder so. Es ist nun einmal so und es gibt keine Alternative.“ Doch an diesem besonderen Tag wurden sie und einige Mitarbeiter doch ein wenig melancholisch.
„Es war ein bisschen komisch“, sagt Wilhelm Siewert und nickt. Große Emotionen lässt sich der Mann mit den Gärtnerhänden nicht anmerken. Doch als er gerade kurz nicht im Raum ist, sagt seine Frau: „Eigentlich braucht mein Mann die Beschäftigung. Er ist ja mit der Gärtnerei groß geworden und kennt es nicht anders.“ In der freien Zeit hat das Ehepaar jetzt erstmal alle Hände mit der Haushaltsauflösung und dem Hausverkauf zu tun. Doch bald fahren sie für vier Wochen an ihr liebstes Reiseziel, die Bretagne. In den Urlaub zu fahren oder die Kinder besuchen, ohne sich nach dem Betrieb richten zu müssen – darauf freuen sich die beiden am meisten.



