Es gibt viele Fragen, die ich aufgrund meines türkischen Papas und meiner deutschen Mama dauernd zu hören bekomme. Viele davon sind zum Alltagsrauschen geworden und die Antworten sind schon eingesprochen, vorbereitet und zum Abspielen bereit. Zur Weihnachtszeit, wenn alle so langsam in Stimmung kommen, ist eine Frage immer wieder präsent: „Feiert ihr überhaupt Weihnachten? Dein Papa ist doch Türke...“.
Die Antwort ist immer dieselbe: „Ja, wir feiern Weihnachten. Ziemlich traditionell sogar – mit Baum, Geschenken, Familie und Pipapo!“ Wirklich nerven tut mich die Frage nicht mehr, jedoch sind die Antworten lästig geworden. Aber man will sich ja nicht die Stimmung verderben lassen.
Natürlich habe ich die bekannte Frage als kleines Kind auch mal meinem Vater gestellt. Seine Antwort: Bei Weihnachten gehe es um die Familie, besonders um die Kinder, der Rest sei eine Sammlung an Bräuchen und Gewohnheiten.
Ein klassischer Heiligabend
Gewohnheiten hat meine Familie an Heiligabend auf jeden Fall – für mich ist das meine Wohlfühl-Routine, die ich nicht missen möchte. Orchester auf dem Marktplatz, Assistenzaufgaben in der Küche, Gäste begrüßen, eine ausgiebig gedeckte Tafel und Geschenke unterm Weihnachtsbaum.
Als meine Schwester und ich klein waren, sollten wir nach dem Essen in unsere Zimmer gehen, spielen und nach dem Christkind Ausschau halten. Mama klingelte dann nach einer gefühlten halben Ewigkeit und unten gab es schließlich die Geschenke. Das Highlight jedes Kindes.

Fürs Essen ist meine Mutter zuständig. Oft gibt es „Hühnchen Provenzale“, ein Hühnchen in Tomatensoße mit Brot als Beilage – also nicht die Klassiker Kartoffelsalat und Bockwurst oder Gans mit Rotkohl. Das Festmahl ist wohl eine der wenigen Ausnahmen, die unseren Heiligabend von dem anderer Familien, die in Deutschland feiern, unterscheidet.
Unsere harmonische Familienfeier gleicht der, die meine in der Türkei lebenden Verwandten am 31. Dezember feiern. Auch da gibt es Geschenke und die Familie kommt zusammen. Meine Cousine hat sogar angefangen, einen Baum, ja einen Weihnachtsbaum, aufzustellen.
Für meine Schwester und mich war das ein kleiner Vorteil. Wenn wir über Silvester in der Türkei waren, haben wir gleich noch mal eine Kleinigkeit bekommen. Weihnachten 2.0 also. Welchem Kind würde das nicht gefallen?
Die Weihnachtszeit in Istanbul
Der Christbaum meiner Cousine ist nur ein Auswuchs der kommerziellen Weihnachtseuphorie in Istanbul. Richtig wahrgenommen, habe ich das während meines Auslandsjahrs von 2019 auf 2020. Ich konnte die komplette Vorweihnachtszeit im Dezember 2019 in Istanbul erleben.
Alles ist weihnachtlich geschmückt. Tannenbäume mit Kugeln und Lichterketten, rote Schleifen, Mistelzweige und Rentierschlitten.
Besonders in den Einkaufsstraßen und -häusern kam ich in weihnachtliche Stimmung. Wie auch nicht, wenn Mariah Careys „All I Want for Christmas“ in gefühlter Dauerschleife läuft? Selbst die Weihnachtsmärkte sind dort angekommen: Kleine einheitliche Holzhütten mit verschiedenen Ausstellern, die handgemachte Stücke verkaufen. Es gibt zwar keinen Glühwein und keine Bratwurst, aber gebrannte Mandel, Wollsocken und Kerzen. Und natürlich andere türkische Leckereien.
Mein Heimweh war da ganz schnell vergessen. Denn ich kam mir vor, als wäre ich in Santas Weihnachtswerkstatt gestolpert.

Der Unterschied liegt im Datum
Eine weitere Gemeinsamkeit ist der hektische Geschenkekauf. Sowohl die Istanbuler als auch ich haben im Dezember die Geschenke für die Liebsten gekauft. Wann es die Geschenke gibt, ist der einzige Unterschied.
Für die christlichen Türken klassisch am 24. Dezember, für die muslimischen Bürger, für die Silvester das Äquivalent zu unserem „Weihnachten“ ist, am 31. Dezember und für die Orthodoxen am 6. Januar.
Amerikanische Einflüsse
Dieses Jahr möchte meine Mutter sogar noch ein anderes Datum ausprobieren: den Morgen des 25. Dezember. Entspannt die Bescherung im Schlafanzug machen, so wie viele US-Amerikaner das praktizieren. Eine Weihnachtstradition, die es ihr besonders angetan hat.
Der Vater meiner Mutter hat lange in die Staaten gelebt, weswegen wir viele Urlaube dort verbracht haben und viel von der Kultur mitgenommen haben. Für meine Mutter sind meine Schwester und ich alt genug, um auf eine abendliche Bescherung zu verzichten. Außerdem müsste sie sich abends dann den Stress nicht mehr antun.
Wirklich begeistert bin ich von der Idee nicht. Ich zweifele auch an, dass unsere ruhige Bescherung im kleinen familiären Rahmen so stressig ist. Längst werden die Geschenke schon in den Tagen vor dem 24. Dezember unterm Baum verteilt. Wir wissen ja alle mittlerweile, wo die Geschenke herkommen.
Doch was zählt, ist die Familie, egal wann und wie gefeiert wird. Und, dass es Geschenke gibt. Das sehe ich wie mein Vater.
Weitere Weihnachtsgeschichten finden Sie HIER:
Weihnachten ist ein Katalysator für Konflikte: Paartherapeutin gibt Tipps
Grenzenloser Einsatz: Die Poremskis fahren 2500 km, um mit Obdachlosen Weihnachten zu feiern
Video-Umfrage : Was kommt Heiligabend in Unna auf den Tisch?