Der dreijährige Phil spielt liebend gerne mit seinen Autos. Noch wird er in einer Großtagespflegestelle betreut, für August brauchen seine Eltern jedoch einen Kindergartenplatz. © Iris Woitschell
Kita-Navigator in der ersten Runde
Was fehlt, ist ein Kindergartenplatz
Phil hat kaum Zeit, Jacke und Schuhe auszuziehen. Der Dreijährige flitzt in sein Zimmer, sucht ein Müllauto und legt sich auf den Spielteppich. Der Junge wird vormittags in der Großtagespflegestelle „Kleine Frösche" in Ickern betreut - bis zum Sommer. Dann ist Phil zu alt für die Tagespflege. Seinen Eltern Kai Sandra und Florian Wallbaum fehlt aber etwas: ein Kindergartenplatz. Sie sind ein Beispiel.
Die Platzvergabe endet am Mittwoch, 28. Februar. Wer bis dahin keine Zusage von einem Kindergarten erhalten hat, bekommt Post von der Stadt - mit einer Absage. Zur Erfüllung der angestrebten U3-Versorgungsquote von 42 Prozent für unter dreijährige Kinder fehlen im Kindergartenjahr 2018/19 in Castrop-Rauxel rund 100 Plätze.
Genaue Zahlen Anfang März
Wie viele Eltern tatsächlich bisher ohne Betreuungs-Vertrag sind, will die Stadt Anfang März bekannt geben. Nicht nur viele Kinder unter drei Jahren müssen versorgt werden, sondern auch die, die bereits drei Jahre alt sind. So wie Phil. Seine Eltern sitzen, wie andere auch, jetzt auf heißen Kohlen. Das bedeutet auch Stress für die Verantwortlichen der Stadt und die Kita-Leitungen, die sich gleichzeitig mit dem neuen Vormerk-System für Kindergartenplätze, dem Kita-Navigator, auseinandersetzen müssen.
Ältere Kinder, schlechtere Chancen
"Wir haben uns eigentlich sehr früh gekümmert", erzählt Kai Sandra Wallbaum. Sie sucht bereits im dritten Jahr in Folge einen Platz für Phil. Zunächst mit der Kita-Karte einen U3-Platz und jetzt mit dem sogenannten Kita-Navigator einen Ü3-Platz. Bisher vergeblich. Je älter das Kind, desto schlechter stehen die Chancen. Die U3-Kinder würden in den Kindergärten hochrutschen und die Ü3-Plätze direkt besetzen.
50 Anmeldungen für sechs Plätze
Das bestätigt auch Andrea Echterling, Leiterin der Kita Regenbogen, Wittener Straße 53a. Bei ihr gingen insgesamt 50 Anmeldungen ein. Sie hatte aber nur sechs freie Plätze - alle für Kinder unter drei Jahren. „Es ist wirklich nicht schön, wenn man den Eltern in einer Tour absagen muss", so Echterling.
Ein Elternpaar sei bei ihr gewesen, da sei das Kind noch gar nicht auf der Welt gewesen. Ab September konnten Eltern sich in dem online-basierten Anmeldesystem bei fünf Kindergärten anmelden. „Das Kind sollte im Januar zur Welt kommen und dann ab August zu uns", erzählt Echterling. Das sei schon extrem, wenn ungeborene Kinder auf der Liste stehen.
Kriterien für Platzvergabe
Auch Familie Wallbaum hat Phil bei fünf Kindergärten vorgemerkt. „Wir sind schön artig zu jedem Tag der offenen Tür hingegangen. Man will sein Kind ja auch unterbringen." Die Hürden sind jedoch hoch. Andrea Echterling zählt die Kriterien auf, nach denen sie ihre Plätze vergibt: „Ich schaue, ob die Eltern berufstätig sind, ob jemand alleinerziehend ist, ob es schon ein Geschwisterkind in der Einrichtung gibt und ob das Kind in die Altersstruktur passt." Wallbaums erfüllen eines dieser Kriterien: Sie sind beide berufstätig - und wollen das auch bleiben.
Rechtsanspruch auf Betreuung
„Ich werde klagen, wenn ich keinen Platz kriege", sagt Kai Sandra Wallbaum. Damit wären sie die erste Familie in Castrop-Rauxel, die ihren Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz einklagt. Fraglich ist, was das Ergebnis des Prozesses sein würde. Kindergartenplätze kann die Stadt nicht zaubern. Es gäbe also eventuell Schadensersatz. Florian Wallbaum: "Wir sind uns sehr unsicher, wie es weitergeht. Wir könnten eventuell meine Mutter in Anspruch nehmen, aber Phil soll ja auch gefordert werden und braucht Kontakt zu anderen Kindern. Sonst müssen wir in Betracht ziehen, dass einer von uns kündigt."
Nachrückverfahren nach Absage
Für die Verantwortlichen der Stadt ist der 28. Februar noch nicht das Ende aller Tage. Claudia Wimber, Abteilungsleiterin Kinderförderung erklärt, dass die Eltern zwar eine Absage erhalten, den U3-Kindern aber angeboten wird, in einer Tagespflege unterzukommen - sofern das nicht bereits der Fall ist. Die Eltern könnten auch eine Bedarfsanzeige bei der Stadt aufgeben und so ins Nachrückverfahren kommen.
Bedarfsanzeige hört sich bürokratisch und sperrig an - ist letztendlich ein Dokument, in dem die Eltern nochmal alle relevanten Angaben machen können und so auf eine Warteliste rutschen. "Da heißt es dann nicht, wer zuerst kommt mahlt zuerst", betont Wimber, sondern in Gesprächen mit den Verantwortlichen der Stadt, den Trägern und Eltern werde dann versucht eine Lösung zu finden. Auch dort wird wieder auf die Kriterien geschaut, die auch schon Andrea Echterling und die anderen Kita-Leitungen angebracht haben.
Antrag auf Überbelegung
Wimber: „Es ist das gute Recht der Eltern, zu klagen, wir versuchen aber in einem Dialog mit den Eltern hinzubekommen, dass wir noch Plätze generieren können." Dafür muss das Kinderbildungsgesetz komplett ausgereizt werden. Es bestehe unter anderem in Notsituationen die Möglichkeit, einen Antrag auf Überbelegung von Gruppen beim Landesjugendamt zu stellen. "Die haben da einen sehr genauen Blick drauf, was möglich ist", so Wimber.
Zuversicht bei der Stadt
Regina Kleff, Beigeordnete für Soziales, weiß, dass es sechs oder sieben Kinder über drei Jahren gibt, die noch keinen Platz haben - einer davon ist der junge Phil aus Ickern. „Wir sind zuversichtlich, dass wir die noch versorgen können", so Kleff. Schließlich scheide für die über Dreijährigen die Tagespflege aus.
„Die Stadt weiß doch, was auf sie zukommt", ärgert sich Kai Sandra Wallbaum. Sie müsse doch nur ins Geburtenregister schauen, dann wisse sie, wie viele Plätze gebraucht werden."Wenn man Angebot schafft, steigt auch der Bedarf", setzt Kleff dem entgegen. Lange habe man geglaubt, die Geburtenrate in Castrop-Rauxel würde bei rund 500 stagnieren, da habe man sich aber getäuscht. Zuletzt waren es schon mehr als 600 Geburten im Jahr, dazu kämen Zuwanderungen und Zugezogene. Kleff: „Die Zahl geht so schnell nach oben, so schnell kann man gar nicht bauen."
Anbau Recklinghauser Straße
Dennoch gebe es ein paar Bau-Projekte, um mehr Plätze zu schaffen:
Am Rathaus soll noch vor August eine temporäre Kita entstehen mit 14 U3- und 62 Ü3-Plätzen. Am Meisenweg in Ickern soll eine Kindertagesstätte in Trägerschaft der Caritas entstehen. In fünf Gruppen sollen 75 bis 90 Kinder untergebracht werden. Geplant ist diese Baumaßnahme bereits seit 2016, noch sieht man von der Baustelle jedoch nichts. Laut Regina Kleff laufen die Gespräche mit dem Investor und sie ist zuversichtlich, dass die Kita im kommenden Jahr in Betrieb genommen werden kann. Zu spät für den dreijährigen Phil.
Am AWO-Kindergarten an der Recklinghäuser Straße wird gerade ein Anbau erstellt. Dort sollen zwölf U3-Plätze entstehen. Die sind für den Beginn des Kita-Jahres im August auch fest eingeplant. Die Arbeiten laufen nach Plan. Im Jugendhilfeausschuss, der am 8. März tagt, sollen noch weitere Maßnahmen vorgestellt werden. Regina Kleff bleibt hoffnungsvoll: „Das wird schon gut."
Zur Sache - Es knirscht noch etwas im Getriebe des Kita-Navigators
Mit dem Kita-Navigator ist im vergangenen Jahr ein online-basiertes Anmeldesystem für die 38 Kindergärten in Castrop-Rauxel an den Start gegangen. Eltern können sich dort über die Kindergärten informieren und für insgesamt fünf Kindergärten vormerken lassen. Wer Probleme mit der Anmeldung hat, kann sich an die Servicestelle, Bochumer Straße 17, Tel. (02305) 106 25 28, oder direkt an die Kita-Leitungen wenden.
Die Platzvergabe durch die Kita-Leitungen erfolgt ab dem 15. Januar eines Jahres. Eltern werden also bis spätestens Ende Februar eine Rückmeldung erhalten, sofern ihr Kind für den Beginn eines Kindergartenjahres (August) vorgemerkt ist. Dann sind die Eltern dazu aufgerufen einen Vertrag mit dem Kindergarten abzuschließen.
Die Stadt investiert für Erwerb von der ITK Rheinland, Wartung und Betrieb jährlich 7843 Euro, bei einer Mindestlaufzeit von sechs Jahren für den Navigator. Ab dem siebten Jahr kostet es dann noch 4754 Euro. Claudia Wimber, Abteilungsleiterin Kinderförderung der Stadt Castrop-Rauxel: „Wir sind sehr zufrieden mit der ersten Runde. Die Handhabung ist sehr einfach, es spart Zeit und die Eltern werden bis zum Vertrag begleitet."
Verbesserungsvorschläge
Sowohl Eltern, als auch Kita-Leitungen und letztendlich auch die Verwaltung haben jedoch ein paar Verbesserungsvorschläge. „Im ersten Jahr passieren Dinge, die wir noch nicht erklären können", so Regina Kleff, Beigeordnete für Soziales. Man werde sich aber zusammensetzen, um zu evaluieren, was sich ändern kann und muss.
Priorisierung: „Nicht alle Eltern gucken sich alle fünf Einrichtungen an, bei denen sie ihr Kind vorgemerkt haben", erklärt Sandra Schubert, Sprecherin des AWO-Unterbezirks. Es hätte auch Eltern gegeben, die beispielsweise in Henrichenburg wohnen und in Frohlinde einen Platz angeboten bekommen haben, sagt Claudia Wimber. Das sei ungünstig. Wer einmal absagt hat seinen Rechtsanspruch verwirkt, wisse aber nicht, ob er noch eine weitere Zusage bekomme. Die Stadt sei in diesem Punkt bereits mit dem Dienstleister im Gespräch, so Wimber. Der Kita Navigator werde unter anderem auch in Recklinghausen, Düsseldorf und Münster einsetzt, dort jedoch auch ohne Priorisierung: „Noch ist der Dienstleister nicht so begeistert, aber je mehr Kommunen mitmachen, desto einfacher wird es", so Wimber.Anonymität: Sandra Schubert, Sprecherin der AWO, hat die Rückmeldung erhalten, dass einige Kita-Leitungen die Anonymität kritisieren, da sie einige Eltern erst bei Vertragsabschluss kennenlernen würden. Natürlich solle jeder zum Tag der offenen Tür kommen, das sei jedoch keine Pflicht. Dieses Problem sei mithilfe der Priorisierung einzudämmen. Auch Andrea Echterling von der Kita Regenbogen sagt: „Ich stelle meine Kita und mein Konzept gerne selber vor und lerne so auch schon die Eltern kennen."Zusagen: „Einige Eltern haben schon drei Zusagen, und ich habe noch keine", erzählt Mutter Kai Sandra Wallbaum. „Da schwillt einem schon mal der Kamm." Entstehen kann dieses Problem, wenn Eltern ihren Vertrag nicht zügig zurückschicken, sondern noch auf weitere mögliche Zusagen warten. Sobald sie den Vertrag bei einer Einrichtung unterzeichnet haben sind sie für die anderen Einrichtungen gesperrt. Eigentlich haben die Eltern zwei Wochen Zeit, um den Vertrag zu unterschrieben, diese Zeitspanne kann aber vonseiten der Kita-Leitungen angepasst werden. „Besser wäre eine einheitliche Zeitspanne", schlägt Andrea Echterling, Leiterin der Kita Regenbogen, vor.Im Kita-Navigator können Eltern sich ausschließlich für einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte vormerken. Falls Eltern eine Betreuung durch eine Kindertagespflegeperson suchen, sollten sie sich direkt an Yvonne Hoffmann, Fachvermittlungsstelle Kindertagespflege, AWO UB Münsterland-Recklinghausen wenden, Tel.: (02305) 1 06 29 48.
Enges Verhältnis zu Tagesmutter
„Der persönliche Kontakt über die Fachberatung ist uns wichtig. Zu einer Tagesmutter haben die Kinder ein sehr enges Verhältnis. Frau Hoffmann schaut direkt welche Pflegestelle zu dem Kind passt, erklärt Claudia Wimber, Abteilungsleiterin Kinderförderung der Stadt Castrop-Rauxel.
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