Mensch oder Automat?
Was die Sparkasse in Castrop-Rauxel mit ihren Filialen plant
Das Filialsterben der Sparkassen hat am Freitag ein neues Kapitel bekommen. Um 16.30 Uhr wurde die Geschäftsstelle in Frohlinde nach 50 Jahren für immer abgeschlossen. Und es war nicht das Ende dieser Entwicklung.
Wenn man Wolfgang Baumann nach seiner Meinung zu der Schließung der Sparkassen-Filiale in Frohlinde fragt, hat er eine klare Meinung. „Dat is doch scheiße. Seit fast 50 Jahren habe ich mein Konto hier und kenne die Leute. Dieses Online-Banking is nix für mich, wenn ich was regeln will, dann geh ich da hin und will mit den Leuten sprechen.“
Die Außenstelle wird nun in einen sogenannten SB-Standort umgewandelt – ein Geldautomat und ein Computer, mit dem man Daueraufträge veranlassen und Überweisungen tätigen kann, bleiben in Frohlinde erhalten. Von ehemals zwölf Geschäftsstellen in Castrop-Rauxel sind nun noch sieben erhalten. Nach den angekündigten Schließungen der Filialen in Habinghorst (bis Mitte 2019) und am Hauptbahnhof in Rauxel (bis Ende 2018) werden es dann lediglich fünf sein.
Eine Tendenz, mit der die Sparkassen in Castrop-Rauxel exemplarisch für die Entwicklung im Rest des Landes stehen. Zum 31. Dezember 2017 hatten die Sparkassen in Westfalen-Lippe 1283 Geschäftsstellen, ein Rückgang um 73 Filialen im Vergleich zu 2016.
Wenn Wolfgang Baumann künftig mit seiner Bank sprechen will, muss er ein paar Kilometer weiter fahren, nach Schwerin. Die Geschäftsstelle dort, bleibt bestehen, und nennt sich ab sofort Beratungscenter.
Wolfgang Baumann vor der Filiale in Frohlinde: "„Dat is doch scheiße. Seit fast 50 Jahren habe ich mein Konto hier und kenne die Leute." © Foto: Habersack
Wolfgang Baumann organisiert sich neu. „Auf Schwerin im selben Haus wie die Sparkasse sind auch meine Ärzte. Dann geh ich halt rüber zur Bank, wenn ich mal da bin.“ Wolfgang Baumann denkt pragmatisch, genau wie die Sparkassen. Auch die müssen sich anpassen. An eine neue Kundengeneration, die den Großteil der Bankgeschäfte vom heimischen Rechner aus regelt. An eine Konkurrenz, die fast ausschließlich digital arbeitet und auch deshalb weniger Gebühren verlangt.
„Die Sparkassen sind dabei, sich anzupassen, verlagern ihre Kommunikation mit den Kunden auch auf Kanäle wie WhatsApp, Facebook oder Video-Chats“, sagt Dennis Liebscher von FFE media, einer Agentur aus Berlin, die Sparkassen und Volksbanken in ganz Deutschland berät. „Man kann aber nicht sagen, dass es immer der richtige Weg ist, Filialen zu schließen, um Raum- und Personalkosten zu sparen“, so Liebscher.
"Banken sind in einer Umbruchphase"
Der Berater weiß, dass die Sparkassen gerade einen Spagat meistern müssen: neue Zielgruppen gewinnen, ohne die ältere Kundschaft zu verärgern. „Gerade die Älteren sehen die Neuen Medien oft skeptisch, es wird noch Jahre dauern, bis diese Ängste abgebaut sind, insofern sind die Banken gerade in einer Umbruchphase“, sagt Liebscher.
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Einschätzungen aus dem fernen Berlin, die die Realität in Castrop-Rauxel widerspiegeln. Wilfried Geisler ist 67 Jahre alt und steht vor der Sparkasse an der Dresdener Straße im Stadtteil Deininghausen. Sparkasse bedeutet hier seit 1993: ein Geldautomat und ein Computer für die Erteilung belegloser Aufträge und den Kontoauszugsdruck. „Ich sammele die Überweisungsträger und bringe sie zur Geschäftsstelle an der Wilhelmstraße.“ Einen Briefkasten für Überweisungen gibt es an keinem der SB-Standorte mehr. „Aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich“, teilt Olaf Blomberg, Sprecher der Sparkasse Vest Recklinghausen mit.
Unpraktisch für Kunden wie Wilfried Geisler: „Bankgeschäfte mit dem Computer mache ich nicht und wenn ich Anschreiben bekomme oder was für mein Haus regeln will, muss ich sowieso zur Filiale – kostet aber 5,60 Euro mit dem Bus hin und zurück.“ Aus der Filiale an der Lange Straße in Habinghorst kommt Christian Helmich. Er ist 26 Jahre alt und sieht es gelassen, dass die Geschäftsstelle hier bis Mitte 2019 dichtgemacht wird. „Von den Mitarbeitern hier habe ich sowieso nichts, wenn die Beratungszeiten anbieten, muss ich arbeiten.“ Christian Helmich regelt seine finanziellen Dinge online. „Bei der Sparkasse habe ich nur mein Geschäftskonto, privat bin ich bei einer anderen Bank, wegen der Gebühren“, sagt er.
Eine Kundin, die namentlich nicht genannt werden möchte, findet es gar nicht gut, dass es in Habinghorst bald nur noch Automaten gibt. „Für die vielen älteren Kunden ist das Mist. Seitdem es hier keine Kasse mehr gibt, lassen sich viele am Schalter eine Plastikkarte geben, mit der sie am Automaten ihr Geld kriegen. Wie sollen solche Menschen denn Online-Banking machen?“, fragt sie und geht kopfschüttelnd weiter.
Die Sparkassen begründen die Schließungen mit dem geänderten Kundenverhalten. „Unsere Kunden nutzen durchschnittlich 16 Mal im Monat die App der Sparkasse auf ihrem Smartphone, zehn Mal besuchen sie uns in der Online-Filiale. Den Geldautomaten nutzen sie zwei Mal im Monat. Zu einem Beratungsgespräch kommen sie dagegen nur einmal im Jahr in die Filiale“, sagt Andreas Löbbe, Sprecher des Sparkassenverbandes Westfalen-Lippe.
Warnung an die Sparkassen
Mit einem kritischen Auge verfolgt auch der Deutsche Landkreistag die Entwicklungen in der Sparkassenlandschaft. „Es sind gerade die Senioren, die nicht jede ihrer Angelegenheiten bereits online erledigen. Insofern müssen wir auch der demografischen Entwicklung Rechnung tragen und Sparkassen auch als Bestandteil altersgerechter Strukturen begreifen“, sagt Hans-Günter Henneke, Geschäftsführer des Deutschen Landkreistages auf Nachfrage. Zuvor hatte er die Sparkassen in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung davor gewarnt, weitere Filialen zu schließen.
Im Castroper Stadtteil Merklinde hat die Sparkasse 2016 einen radikalen Schlussstrich gezogen. Nach der Schließung der Geschäftsstelle hat die Bank auch den Geldautomaten abgebaut. In Merklinde leuchtet kein rotes „S“ mehr, der Schriftzug „Sparkasse“ verblasst an der Wand.
„Wir haben in Merklinde keinen Zugang zu Bargeld mehr, wir sind der einzige Stadtteil ohne Geldautomaten“, sagt Heidi Henschel, die gut 100 Meter von der ehemaligen Filiale entfernt wohnt. „Wir müssen jetzt bis nach Bövinghausen, wenn wir Geld brauchen oder Fragen haben. Die Sparkassen sind doch nicht konkursgefährdet, dass sie solche Einsparungen brauchen“, sagt die 46-Jährige. Sie glaubt, dass die Sparkasse sich zurückgezogen hat, weil es hier zu unsicher war.
Das bestätigt der Sprecher der Sparkasse Vest Recklinghausen nicht. „Der von der B235 verhältnismäßig abgelegene Standort und die damit verbundene geringe Nutzungsfrequenz waren die Gründe, die gegen einen Weiterbetrieb sprachen“, sagt Blomberg.
Persönlicher Kontakt in Beratungscentern
Im NRW-Sparkassengesetz heißt es: „Die Sparkassen haben die Aufgabe der geld- und kreditwirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft (...)“ . Henneke, Geschäftsführer des Deutschen Landkreistages, mahnt: „Wichtig ist, dass die Sparkasse ihre Kunden noch erreicht und sie die Sparkasse erreichen.“
Den Wunsch nach persönlichem Kontakt wollen die Sparkassen in Castrop-Rauxel in den fünf Beratungscentern erfüllen. Die beiden Mitarbeiter aus der Filiale in Frohlinde wechseln in das Beratungscenter auf Schwerin. „Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt Christoph Schuchardt, der seit 2001 Leiter der Außenstelle Frohlinde war. „Ich hoffe, viele Kunden in Schwerin wieder zu sehen. 90 Prozent der Menschen, die in die Filiale Frohlinde kamen, kannte ich mit Namen.“
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