
Warum der Castrop-Rauxeler Bergmann Hermann Stiewe mehrere Tode gestorben ist
Abschied vom Bergbau
Die Arbeit im Bergbau war mit Gefahren verbunden. Das musste Heinz-Udo Stiewe am eigenen Leib erfahren. Noch schlimmer aber erging es seinem Vater. Hermann Stiewe war zweimal totgesagt.
An der Wand hängt eine kleine Grubenlampe, dicht neben einem Knappenbrief. Daneben finden sich noch viele weitere Zechensymbole: Hammer und Schlägel, ein Grubenwagen, Kohle. Auf einem gegenüberliegenden Regal steht eine Figur der heiligen Barbara, Schutzherrin der Bergleute. Daneben noch mehr Kohlestücke. Hierbei handelt es sich aber nicht um ein Bergbaumuseum, sondern um das Zimmer von Heinz-Udo Stiewe in der Seniorenresidenz am Stadtgarten.
Bis heute ist Heinz-Udo Stiewe dem Bergbau verbunden. Und das aus gutem Grund: Schon sein Vater Hermann Stiewe malochte unter Tage, ebenso er selbst und sein jüngerer Bruder. Und von dieser Zeit hat er einiges zu erzählen – nicht nur schönes.
Sohn suchte Vater, der nicht von der Arbeit zurück kam
Hermann Stiewe war Jahrgang 1921 und zunächst Bergmann auf der Zeche Graf Schwerin. Gerne besuchte er nach der Schicht eine der zahlreichen Kneipen auf Schwerin und spielte dort Karten. An ein Ereignis in den 50er-Jahren kann sich sein Sohn noch ganz genau erinnern: An einem Tag kam sein Vater nicht von der Arbeit zurück, obwohl er abends mit seiner Frau fürs Kino verabredet war. „Da schickte meine Mutter mich los und sagte ‚Guck‘ mal, wo der Papa ist.‘“ Zunächst suchte der etwa 10-Jährige die Kneipen des Ortsteils ab – Schwieters, Holtkotte, Casino, Haus Oe. Dort war der Vater aber nicht zu finden. Also ging der Junge direkt zur Zeche. „Dort sagte man mir dann, dass mein Vater längst raus wäre. Also bin ich wieder zurück nach Hause.“

Heinz-Udo Stiewe selbst trat bereits mit 14 Jahren in die Fußstapfen seines Vaters und wurde Bergmann auf der Zeche Erin. © Thomas Rekendt
Als der Vater aber immer noch nicht auftauchte, schickte seine Mutter ihn abermals zur Zeche. „Ich wunderte mich schon, warum da so viele Leute standen. Da sagte man mir, dass drei Leute verschüttet wären und mein Vater tot sei.“
„Unkraut vergeht nicht.“
Für ein Kind natürlich eine schreckliche Nachricht. Ein Kollege seines Vaters nahm den Jungen aber an die Seite und sagte: „Udo, glaub‘ das nicht, wir haben noch gar kein Zeichen von da unten bekommen.“ Erst am nächsten Tag konnten die Kumpel, die durch den Zusammenbruch einer Strebe verschüttet worden waren, befreit werden. Heinz-Udo Stiewe erinnert sich noch lebhaft daran, wie er seinen Vater im Krankenhaus besuchte, und dieser ihm mit hochgestrecktem Daumen sagte: „Unkraut vergeht nicht.“
Einen bleibenden Eindruck hatte der Zwischenfall auf seinen Vater nicht, erzählt Heinz-Udo Stiewe. Hermann Stiewe war nach der Schließung der Zeche Graf Schwerin noch auf der Zeche Erin beschäftigt. Hier ereilte ihn 1969 noch ein zweites Unglück. „Meine Mutter erfuhr beim Metzger vom Tod meines Vaters, weshalb sie mich völlig aufgelöst angerufen hat. Ich bin dann sofort ins Bergmannsheil gefahren“, erzählt Heinz-Udo Stiewe.
An der Seilbahn riss er sich das Wadenbein heraus
Auch diesmal stellte sich die Todesmeldung als falsch heraus. Das Bein von Heinz-Udo Stiewe hatte sich in einer Seilbahn verfangen, wobei ihm das Wadenbein herausgerissen wurde. Trotz der schweren Verletzung konnten die Ärzte das Bein retten. „Da aber nur noch das Schienbein übrig war, blieb nur noch so ein dünnes Bein übrig“, erzählt Heinz-Udo Stiewe und zeigt mit den Fingern die ungefähre Breite des Beins seines Vaters. Er war danach Invalide und starb 1981 mit nur 59 Jahren.

Eine Wand voller Erinnerungen hat Heinz-Udo Stiewe in seinem Altenheim-Zimmer. © Thomas Rekendt
Heinz-Udo Stiewe selbst trat bereits mit 14 Jahren in die Fußstapfen seines Vaters und wurde Bergmann auf der Zeche Erin. Später war er auch noch auf der Zeche Victor aktiv, gab die Arbeit unter Tage aber relativ früh auf. „Einmal hatte sich ein Stein gelöst und ist mir halb auf den Arm gefallen“, erzählt er, während er die große Narbe, die durch den Vorfall zurückblieb, zeigt. „Hätte der Stein mich voll getroffen, wäre der Arm ab gewesen.“
„Die Kameradschaft kann man sich oben gar nicht vorstellen“
Er nahm daraufhin ein Arbeitsangebot über Tage an – im Rangierbetrieb von Rütgers. Aber die Erinnerung an diese Zeit hält er weiterhin aufrecht, auch mit Hilfe seiner Sammelstücke. „Die sind mir auch lieb und teuer“, sagt er. Ihn beeindruckt bis heute vor allem das Zusammengehörigkeitsgefühl unter Tage. „Diese Kameradschaft, die da unten herrscht, kann man sich oben gar nicht vorstellen“, sagt er. Weshalb er diese Tradition bis heute hochhält, und sich wünschen würde, dass sich heutzutage die Menschen daran ein Beispiel nähmen und nicht jeder nur an sich denken würde. „Da unten ging es nur gemeinsam.“