Seine schwere Krankheit zog Ralf Kubis in die Öffentlichkeit. Und vermutlich rettete genau die ihm das Leben. Wir trafen den Castrop-Rauxeler Ralf Kubis 20 Jahre danach wieder.
Ralf Kubis sagt: „Diese Diagnose war ein Schock für mich.“ Weil er immer wieder nachts schweißgebadet aufwacht und sich beim Sport oft schlapp fühlt, geht der begeisterte Handballspieler im September 1999 zum Arzt.
Das Ergebnis: Der 22-jährige hat Leukämie – Blutkrebs. Zwar können die Ärzte mit Tabletten das Verhältnis von Kubis roten und weißen Blutkörperchen wiederherstellen.
Dauerhafte Heilung aber verspricht nur eine Stammzellentransplantation von einem gesunden und geeigneten Spender. Die Wahrscheinlichkeit einen zu finden: 1:100.000. Wir treffen ihn 20 Jahre später wieder. Ralf Kubis lebt.
Das war lange Zeit nicht abzusehen, gar total unwahrscheinlich, dass dieses Treffen jemals möglich sein würde. Denn eine weitere Hürde, die damals auftaucht: Die notwendigen Tests des Bluts potenzieller Spender übernimmt keine Krankenversicherung. Und die kostet 100 Mark. Pro Probe. Viel Geld, aber nicht zu viel, um Kubis Leben zu retten.
Hilfsaktion mit ungeahntem Erfolg
Ralf Kubis hätte es damals nicht alleine aufbringen können. Den eigenen Mitspieler und Freund gewissermaßen dem Tod zu überlassen kam, beim TuS Ickern, für den er Handball spielte, aber überhaupt nicht in Frage. Man rief eine Hilfsaktion ins Leben, um Geld zu sammeln und Spender zu finden.

© Repro: Matthias Stachelhaus
Spätestens mit der Ankündigung eines Benefizspiels für Ralf Kubis wurde die Erkrankung des Castrop-Rauxelers zum Stadtgespräch. Weit über 20 Mal berichteten die Ruhr Nachrichten von Oktober 1999 bis Februar 2000 über die Hilfsaktion.
„Die Öffentlichkeit war für mich damals schwieriger als die Krankheit. Das war mir unangenehm“, sagt Kubis heute. Harald Kubis, Ralfs Vater, sprang häufig ein, beantwortete Fragen, war ansprechbar.
Über 150.000 Mark Spenden
Gefühlt die ganze Stadt kannte zur Jahrtausendwende nur ein Ziel: Ralf Kubis muss geholfen werden! Spenden sammelte nicht nur der TuS, Arbeitskollegen bei Rütgers brachten allein 17.000 Mark zusammen.
Es gab Aktionen auf Weihnachtsmärkten, viele Privatspender und Wohltätigkeitsorganisationen sammelten Geld für die Behandlung. Die Ruhr Nachrichten und das Kino Kurbel starteten zur Premiere des James-Bond-Blockbusters „Die Welt ist nicht genug“ die Aktion „Das Geld ist nicht genug“. Über 150.000 D-Mark kamen insgesamt zusammen.
Über 1500 Blutspenden
Den Gipfel erreichte das Engagement bei einer Blutspendeaktion in der Habinghorster Sporthalle am 9. Januar 2000. Hier ließen sich über 1500 Menschen als potenzielle Spender testen.
So viele, dass die Bestände an Blutprobenröhrchen in NRW über Nacht aufgelöst wurden. Ein Erfolg, der alle Erwartungen überstieg. „Ich hatte im Stillen mit 800 Spendern gerechnet. Dass es 1525 werden sollten, hat mich total umgehauen“, sagte DRK-Geschäftsführer Christoph Behrenspöhler am Tag nach der Aktion.
Wochenlang wurden die Proben getestet, bis es Ende Februar die erlösende Nachricht gab: Es gibt einen Spender für Ralf Kubis! „Es ging relativ schnell“, erinnert der sich. Anfang März kam er in eine Spezialklinik nach Wiesbaden. Zunächst unterzogen die Ärzte Kubis einer Chemotherapie. Die vom Krebs befallenen Zellen mussten abgetötet werden, bevor die Spende der gesunden Stammzellen erfolgen konnte.
Behandlung mit mehreren Rückschlägen
Danach verbrachte Kubis sechs Wochen in einem sterilen Krankenzimmer. Abwehrkräfte hatte sein Körper nämlich quasi keine. Jeder Husten, jedes Niesen hätte für den 22-Jährigen eine Infektion mit schweren Folgen nach sich ziehen können.
Gerade als sich die Werte von Kubis zu stabilisieren begannen, gab es eine Hiobsbotschaft: „Mein Körper hatte die erste Spende nicht komplett angenommen“, erzählt er heute. Also bat man den Spender erneut um Hilfe, legte eine zweite Stammzellentransplantation nach.
„Ab da ging es aufwärts“, sagt Ralf Kubis. Langsam, aber stetig, kämpfte er sich zurück ins Leben. Einige kleinere Infekte nach der zweiten Spende waren zu überstehen, bevor Kubis im Sommer 2000 das Krankenhaus verlassen und zur Kur fahren konnte. „Da habe ich mich von den anderen Patienten abgesondert. Ich wollte einen Abschluss finden.“ Besonders der veränderte Tagesrhythmus bleibt Kubis bis heute in Erinnerung. Weil die Behandlungen ihn stark geschwächt hatten „brauchte ich immer einen Mittagsschlaf“.
„Ich lebe heute ohne Beschwerden“
Ein Jahr später verschlechterten sich Kubis‘ Werte. Er nahm an einer Studie für ein neues Medikament teil. Es sollte die Krebszellen einkapseln, die dann vom Körper abgebaut werden sollten. Mit Erfolg. Denn heute, nach unzähligen Behandlungen und jahrelangen Nachuntersuchungen, gilt Kubis als geheilt. „Ich lebe heute ohne Beschwerden.“
Und der schöne Teil von Kubis Geschichte geht weiter: Seine Frau lernte er mit 25 kennen und lieben. Ralf Kubis ist heute stolzer Vater von zwei gesunden Töchtern (8 und 12 Jahre). Nur dem Handball kehrte Kubis mit 32 Jahren den Rücken zu. Die Gelenke spielten nicht mehr mit.
Geblieben ist vor allem eines: Dankbarkeit. „Es ist schon Wahnsinn, was der Verein und alle anderen Helfer damals für mich getan haben.“
Beruflicher Quereinsteiger und Liebhaber von tief schwarzem Humor. Manchmal mit sehr eigenem Blick auf das Geschehen. Großer Hang zu Zahlen, Statistiken und Datenbanken, wenn sie denn aussagekräftig sind. Ein Überbleibsel aus meinem Leben als Laborant und Techniker. Immer für ein gutes und/oder kritisches Gespräch zu haben.
