Von der amerikanischen Kopfwäsche zum Undone-Look: Familie Wagener frisiert seit 125 Jahren

© Michael Schuh

Von der amerikanischen Kopfwäsche zum Undone-Look: Familie Wagener frisiert seit 125 Jahren

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Die Familie Wagener betreibt seit 125 Jahren einen Friseurladen in Castrop-Rauxel. Seit dem Jahr 1894 hat sich zwar vieles verändert, doch manche Dinge haben Bestand.

Castrop-Rauxel

, 30.09.2019, 16:55 Uhr / Lesedauer: 2 min

Mit „Haartrocknen mit warmer Luft“, „amerikanischer Kopfwäsche“ und der „Anfertigung moderner Haararbeiten wie Scheitel“ warb einst das „Spezialgeschäft für Damenhaarpflege von Wilhelm Wagener“. Und selbst der unvorstellbare Luxus „Eigener Eingang“ durfte in der Anzeige nicht fehlen.

Nun gut, diese Reklame ist viele, viele Jahrzehnte alt. Seitdem hat sich so einiges verändert. Doch gleich mehere Dinge haben Bestand: Das Haus Wittener Straße 36 steht noch immer, im Erdgeschoss befindet sich nach wie vor ein Friseursalon, der – wie damals – von der Familie Wagener betrieben wird. Seit nunmehr 125 Jahren.

Ob er den ältesten Salon Castrop-Rauxels betreibt? Inhaber Stefan Wagener überlegt kurz, zieht die Stirn in Falten und sagt dann: „Da gehe ich von aus.“ Tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass sich ein solcher Betrieb weit über 100 Jahre in den Händen von ein und derselben Familie befindet.

Zigarre zum Haarschnitt

Gerade einmal 16 Jahre alt, gründete Stefan Wageners Großvater Wilhelm 1894 sein Barbier-, Friseur- und Haarschneidegeschäft an der Wittener Straße. Wie damals üblich, konnte sich der werte Kunde dort nicht nur die Haare schneiden lassen, sondern bei Bedarf auch Zigaretten oder Zigarren erwerben.

Eigentlich sollte auf Wilhelm Wagener, seines Zeichens siebenfacher Vater, Sohn Hans folgen, doch der fiel im Zweiten Weltkrieg. Also machte zunächst Gattin Bernhardine allein weiter, bevor ein anderer Sohn mit ins Geschäft einstieg.

Da dieser jedoch Bäcker gelernt hatte, wurde der eine Flügel des Geschäfts, in dem sich heute der Herrensalon befindet, kurzerhand zur Bäckerei umgewandelt.

Nach Castrop gelockt

Mit Heinz Wagener, dem Vater des heutigen Inhabers Stefan, kehrte schließlich ein Sohn Wilhelms aus dem Feld zurück, der in die väterlichen Fußstapfen treten konnte. Zwar hatte auch dessen Angetraute Herta einen Meistertitel als Friseurin, sie wohnte jedoch in Soest. „Doch mein Vater hat sie nach Castrop gelockt“, erzählt Stefan Wagener lachend.

35 Jahre lang führten Heinz und Herta Wagener das Geschäft, ehe 1985 Sohn Stefan übernahm, der, wie könnte es anders sein, ebenfalls das Friseurhandwerk erlernt hatte.

Mehr als 20 Mitarbeiter sind im Salon Wagener tätig – und jeder hat sein eigenes Trinkgeldfach.

Mehr als 20 Mitarbeiter sind im Salon Wagener tätig – und jeder hat sein eigenes Trinkgeldfach. © Michael Schuh

Allerdings wollte sich der heutige Inhaber nach seiner Lehre in den 1970er-Jahren nicht sofort niederlassen, sondern erst einmal Erfahrung sammeln. Unter anderem arbeitete Stefan Wagener lange als Fachtrainer bei der Firma Wella, wo er sich fortbilden und das Wissen an andere Friseure weitergeben konnte.

Und daran hat sich bis heute gar nicht so viel geändert. „Man darf nie sagen, der Betrieb besteht weit über 100 Jahre; da geht alles von allein“, sagt der 62-Jährige, der das Geschäft gemeinsam mit Ehefrau Rita führt. „Man muss sich ständig weiterbilden.“

Denn die Zeiten – und damit die Moden – ändern sich. „In den 70er-Jahren haben wir ohne Ende Dauerwellen gewickelt“, erinnert sich der 62-Jährige, „heute möchten viele Kundinnen möglichst natürlich aussehende Haare.“ Im Fachjargon: Undone-Look.

Lockerer und lauter

Zur Weiterentwicklung gehörte sicher auch, vor zwölf Jahren einen weiteren, etwas anderen Salon zu eröffnen: Im „Head Factor“, kaum einen Steinwurf vom Stammhaus entfernt, geht es lockerer zu. Hier lassen sich Kunden frisieren, die keinen festen Termin vereinbaren wollen und etwas lautere Musik schätzen.

Wann Stefan Wagener und seine Frau Rita die Schere beiseite legen, steht noch nicht genau fest. Sicher ist hingegen, dass der Salon auch künftig von einem Mitglied der Wagener-Familie geführt wird.

Die 30-jährige Tochter Theresa, Urenkelin des Gründers Wilhelm, war als Kreuzfahrtschiff-Friseurin bereits auf den Weltmeeren unterwegs. Dass sie aus den USA aber die „amerikanische Kopfwäsche“ mit nach Castrop-Rauxel gebracht hat, ist eher unwahrscheinlich. Die Zeiten sind vorbei.