Was in dem Brief steht, klingt auf den ersten Blick nicht schlecht: Das Wohnungsunternehmen Vivawest bietet seinen Mietern in einem Schreiben an, die Immobilie, in der sie zur Miete wohnen, zu kaufen: „Damit möchte Vivawest Mietern die Möglichkeit eröffnen, Wohneigentum zu bilden“, heißt es in dem Brief, der unserer Redaktion vorliegt. In Castrop-Rauxel bewirtschaftet das Unternehmen aktuell 1452 Wohnungen. Davon sind 1175 in Ickern. Die Leerstandsquote beträgt 2,8 Prozent. Weiter heißt in dem Brief: „In der Vergangenheit ist unser Angebot auf große Resonanz gestoßen.“
Einigen langjährigen Ickerner Mietern bereitet das Angebot allerdings eher Sorgen als Freude. Zum einen, weil sie gebeten wurden, sich innerhalb von einem Monat – bis zum 30.9. – zurückzumelden. Sie empfinden das als kurzfristig und hätten außerdem Problem dabei gehabt, die passenden Ansprechpartner bei Vivawest zu erreichen. Zum anderen, weil der Brief damit noch nicht zu Ende ist. „Sofern Sie kein Kaufinteresse haben sollten, besteht die Möglichkeit, dass wir das Objekt auch Dritten zum Kauf anbieten“, steht gegen Ende des Textes. Diese Aussicht machte vor allem viele der älteren Mieter gerade mächtig nervös, sagt einer von ihnen unserer Redaktion: „Viele können deshalb gerade nur schlecht schlafen.“
Hunderte Immobilien pro Jahr
Doch zunächst einmal: Was steht überhaupt hinter der Idee von Vivawest, Mietern ihre Immobilien zum Kauf anzubieten? „Dass unsere Mieter ein zuvor gemietetes Haus kaufen können, ist seit vielen Jahrzehnten ein wichtiger Bestandteil unserer Unternehmenstradition und eine wesentliche Säule des Modells einer sozialverträglichen Eigentumsbildung von Vivawest und ihren Vorgängergesellschaften“, schreibt das Wohnungsunternehmen auf Anfrage. „Im Schnitt werden so jährlich einige hundert Wohnungen bzw. Häuser in Privateigentum überführt.“ Dies diene unter anderem der Quartiersentwicklung, da so eine Mischung aus Mietwohnungen und Wohneigentum hergestellt werde.

Angeboten werden gerade lediglich Ein- und Zweifamilienhäuser in Ickern und keine Mehrfamilienhäuser. „Dies betrifft den so genannten Althausbestand, also um Gebäude mit Baujahr aus den 1920er- bis 1950er-Jahren“, so Vivawest weiter. Mieter sagen, dass es vor allem alte Zechenhäuser betrifft, an denen bald etwas gemacht werden müsse. Bei einem solchen Verkauf sei es gängige Praxis, dass Vivawest „aktiv auf die Mieter zugeht“. Wie viele Briefe genau an mögliche Käufer herausgingen? Diese Frage beantwortet das Wohnungsunternehmen auf Anfrage nicht.
Stattdessen schreibt Pressesprecher Gregor Boldt allgemeiner: „Wir haben in Ickern bereits viele persönliche Gespräche geführt. Größtenteils sind wir dabei auf positive Resonanz gestoßen und viele Mieter haben Interesse daran bekundet, ‚ihr‘ Haus zu erwerben.“
Kein Verkauf an Selbstnutzer
Doch was, wenn die aktuellen Mieter gar nicht kaufen wollen – oder können? Etwa weil das nötige Kleingeld fehlt oder sie zu alt dafür sind, noch eine Immobilie zu kaufen. „Natürlich gibt es aber auch Mieter, für die aufgrund ihrer individuellen Lebenssituation ein Hauskauf nicht in Frage kommt“, weiß auch Vivawest. Viele der Menschen, die in den alten Häusern wohnen, dürften selbst alt sein. „Ich gehe bald in Rente und bekomme jetzt sicher keine Finanzierung von der Bank mehr, um ein Haus zu kaufen“, sagt ein Mieter. So gehe es in seiner Straße vielen – und auch denen, die Ende August die Briefe bekamen.
Vivawest indessen scheint die Immobilien definitiv verkaufen zu wollen. „Bei fehlendem Kaufinteresse können wir vor dem Hintergrund der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Situation einen Verkauf an externe Interessenten nicht ausschließen“, so der Pressesprecher. Das fassen einige Mieter als indirekte Drohung auf. Vivawest versucht zu beruhigen: „Ein Verkauf an potenzielle Selbstnutzer ist nicht geplant. Zudem bleiben sämtliche Mieterrechte auch im Falle eines Verkaufs selbstverständlich gewahrt.“ Dennoch muss das Wohnungsunternehmen eingestehen: „Sobald ein Haus verkauft ist, liegt die Entscheidung über die weitere Nutzung logischerweise aber nicht mehr in der Hand von Vivawest, sondern beim jeweiligen Eigentümer.“