
Minister Robert Habeck (Grüne) hat künftig direkten Zugriff aufs umstrittene Kraftwerk Datteln 4. Was macht er mit diesem Einfluss? © dpa / Montage: Forytta
Uniper: Das Kraftwerk Datteln 4 gehört künftig dem Staat – aber was macht er damit?
Milliarden-Abrisskosten mit verstaatlicht?
Wenn es ums Kraftwerk Datteln 4 geht, muss man mit jedweder Wendung rechnen. Die Neueste: Demnächst ist der Staat Eigentümer der Anlage. Und das zu Zeiten eines grünen Wirtschaftsministers.
Das Musterbeispiel eines Formelkompromisses ist Legende: Die rot-grüne Landesregierung wollte 2010 über die Fortführung des Steinkohle-Blocks am Kraftwerksstandort Datteln allein die Gerichte entscheiden lassen. „Die Landesregierung selbst baut keine neuen Kraftwerke und reißt auch keine begonnenen Projekte ab“, hieß der Satz im Koalitionsvertrag. Das sollte den Weg zur Zusammenarbeit von SPD und Grünen ebnen, die in der Kraftwerksfrage uneins waren. Der damalige Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, Ex-Bundesumweltminister, hatte zuvor das Kraftwerk bei einem Besuch vor Ort einen „Schwarzbau“ genannt und vollmundig gesagt, dass jeder, der mit den Grünen koalieren wolle, sich darauf einstellen müsse „dass dieses Investment nicht zu Ende gebaut wird“.
Am Ende blieb von diesen Worten, zur Enttäuschung der Grünen-Basis im Kreis Recklinghausen, nichts. Die Politik machte den Weg frei für ein „Zielabweichungsverfahren“, das das Projekt trotz einschlägiger Gerichtsurteile doch noch retten sollte, und wusch zugleich ihre Hände in Unschuld.
Habeck will Einfluss auf die Uniper-Geschäfte nehmen – aber wie?
Zwölf Jahre später wird das nun nicht mehr funktionieren. Nicht das Land, sondern der Bund ist es jetzt, der über das Wohl und Wehe des Kraftwerks mit seinem 180 Meter hohen, weithin sichtbaren Kühlturm unmittelbar zu entscheiden hat. Es ist die neueste Volte in einem an Wendungen wahrlich nicht armen Streit um das Milliardenprojekt am Dortmund-Ems-Kanal in Datteln, nahe der Waltroper Stadtgrenze. Anwohner sagen, es stehe zu nah an der Wohnbebauung, Klimaschützer kritisieren es als „Dreckschleuder“.

Große Töne: Jürgen Trittin nannte das Dattelner Kraftwerk bei einem Ortsbesuch 2010 einen "Schwarzbau". Die örtlichen Grünen-Vertreter Theo Beckmann und Ingrid Täger (neben Trittin v. l.) hörten es gerne, doch am Ende arrangierten sich die Landes-Grünen mit dem Projekt. Zum Ärger der Basis. © Kalthoff (A)
Nun also dies: Uniper, Betreiber des Kraftwerks und unter Druck angesichts der Gaskrise, wird verstaatlicht. Wieder ist es ein Grüner, der dann unmittelbar zuständig ist: Wirtschafts- und Energieminister und Vize-Kanzler Robert Habeck. Und während alle aufs Thema Gas schauen, geht ein Satz des Ministers ein wenig unter, bei dem man in Datteln und den Nachbarstädten die Ohren spitzen sollte: Habeck kündigte nämlich an, nach der Verstaatlichung Einfluss auf das Geschäft von Uniper zu nehmen. „Und dann wird man sich die einzelnen Geschäftsfelder im Einzelnen sehr genau anschauen“, sagte er laut „Börsen-Zeitung“. Umstritten ist neben der Beteiligung an Kernkraftwerken in Schweden und der Stromerzeugung in Russland – natürlich auch das Kohlekraftwerk Datteln 4.
Der Umweltverband BUND fordert eine Kursänderung
Umweltschützer verbinden mit der Verstaatlichung Hoffnungen: Der Verband BUND mahnt an, dass der Staat nach der Übernahme Unipers dafür sorgen müsse, dass sich die Ausrichtung des Konzerns zugunsten erneuerbarer Energien ändere. Der Staat müsse für eine „schnelle Dekarbonisierung“ sorgen und das Unternehmen zu einem „relevanten Akteur der Energiewende“ machen.
Doch gut möglich, dass dem künftigen Kraftwerks-Eigentümer, was die Anlage Datteln 4 angeht, eine Gerichtsentscheidung zuvorkommt. Dirk Teßmer ist einer der Anwälte, die die Kraftwerks-Gegner vor Gericht vertreten. Er bringt in Erinnerung, dass unabhängig davon, wie der Staat als Eigentümer künftig mit dem Kraftwerk weitermachen will, tatsächlich die Richter des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster dem Projekt den Garaus machen könnten, noch bevor der Staat überhaupt gefragt ist, sich zu verhalten.
Bebauungsplan bereits zweimal für nichtig erklärt
Denn bekanntlich hat dieses Gericht den Bebauungsplan fürs Kraftwerk bereits zum zweiten Mal für nichtig erklärt. Eine Revision wurde nicht zugelassen, gegen diese Entscheidung läuft eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Das wiederum hat darüber noch nicht befunden, die Beteiligten rechnen aber bald mit Nachrichten aus Leipzig. Das oberste Verwaltungsgericht Deutschlands steigt nicht in die inhaltliche Prüfung ein, sondern schaut nur, ob das Urteil aus Münster formalrechtlich in Ordnung ist.
Sollte es beim OVG-Urteil bleiben, halten es die Kraftwerksgegner nur für eine Formalie, dass sie dann auch im Verfahren um die immissionsschutzrechtliche Genehmigung, also die Betriebserlaubnis für Datteln 4, gewinnen. Die Logik: Für ein Kraftwerk, das auf einem Gelände ohne gültiges Baurecht steht, kann es auch keine Betriebserlaubnis geben. „So hat das Gericht ja schon seinerzeit entschieden, als Eon den ersten Versuch unternommen hat“, erinnert Teßmer. Damals hatte die Politik versucht, die Sache im Nachhinein zu „heilen“ – wobei man wieder bei den Grünen wäre, bei denen das heftigen internen Streit ausgelöst hatte. Damit, dass es diesmal noch einen „Heilungsversuch“ gäbe, wenn das Gericht im Sinne der Kraftwerksgegner entscheidet, ist allerdings nicht zu rechnen.
Wenn Gerichte final den Daumen senken, wird abgerissen
Wie könnte es stattdessen nun weitergehen? Obwohl das 1050-Megawatt-Kraftwerk längst steht und täglich Strom und Fernwärme produziert, bleibt es dabei: Wenn die Gerichte final gegen Datteln 4 entscheiden, muss das Betreiber-Unternehmen die ganze Anlage auf eigene Kosten wieder abreißen. „Dazu hatte sich seinerzeit Eon verpflichtet“, sagt Anwalt Teßmer. Denn bekanntlich war der damalige Betreiber so selbstgewiss, dass er glaubte, niemals in diese Lage zu kommen. Das Nachfolge-Unternehmen Uniper trat später mit allen Rechten und Pflichten ein, und das gilt nun auch für den Nach-Nachfolger, den Staat. Der stünde dann für einen möglichen Abriss gerade. Die Kosten für den Steuerzahler wären immens: Allein für den Bau und die Rechtsstreitigkeiten haben Eon und Uniper bereits um die 1,5 Milliarden Euro hingeblättert. Und ein Komplett-Abriss samt Wiederherstellung der ursprünglich grünen Fläche wird ebenfalls teuer.
Unmittelbare Folgen für das Gerichtsverfahren durch die Tatsache, dass Uniper künftig in Staatshand ist, sieht Teßmer indes nicht. „Ich gehe nicht einmal davon aus, dass die Gegenseite jetzt ihre Anwälte auswechselt.“
Geboren und aufgewachsen in Gelsenkirchen-Buer, studiert in Bochum und Dublin. Wollte seit dem Schülerpraktikum in der achten Klasse nie etwas anderes werden als Journalist. Als freier Mitarbeiter seit dem 14. Lebensjahr eifrig darauf hin gearbeitet, den schönsten Beruf der Welt zu ergreifen. Dann in Osthessen zur Redakteursausbildung. Im Jahr 2006 von Osthessen ins Ostvest. Tief eingeatmet und mit Westernhagen gesagt: “Ich bin wieder hier, in meinem Revier.” Das geliebte Ruhrgebiet, das Ostvest, auch und gerade das kleine Waltrop: Fundgruben für Geschichten, die erzählt werden wollen. Immer wieder gerne.