Heimliche Heldin des Jahres Castrop-Rauxelerin wird zur „Flüchtlingsmama“ für Ukrainer

Heimliche Heldin des Jahres: Schnelle Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine
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Der Ukraine-Krieg trifft uns auch persönlich. Wir bekommen die Folgen im Alltag zu spüren. Wir haben aber auch erfahren, was Solidarität bedeutet, wie Hilfe für uns selbst zu einem Gewinn werden kann. Viele Menschen in Castrop-Rauxel haben nicht lange nachgedacht, sondern angepackt.

Regina Haumann-Jörgens ist eine dieser Menschen. Für mich ist sie eine der stillen Heldinnen des Jahres. Obwohl sie das im Gespräch gleich vehement zurückweist. So viele hätten doch Ähnliches getan. Im Rückblick auf das Jahr sagt die Castrop-Rauxelerin: „Es war fordernd und bereichernd.“

Es war dieser Satz, der mich im Frühjahr bei meinem Besuch in Dingen beeindruckte: „Regina hat jetzt noch acht Kinder“, sagte Sveta Syngaivskij. Es war mehr als „nur“ ein Obdach, das Regina Haumann-Jörgens und ihre Familie bot. Sie kümmerte sich um die beiden Familien, die aus der Ukraine nach Deutschland gekommen waren, war zu Beginn fast jeden Tag da. Eine „Flüchtingsmama“.

Leerstehendes Haus geöffnet

Acht Menschen, die nicht viel mehr mitgebracht hatten als das Lebensnotwendige in drei Koffern: Sveta Syngaivskij, damals 37 Jahre alt, ihr Mann Jura (42) und die Kinder Bohdan (14) und Polina (12). Sveta Kretschyschkina (46) und ihre Kinder Alina (25), Anja (18) und Lisa (7), deren Mann und Vater in der Ukraine bleiben musste. Sie zeigten mir Fotos auf dem Handy, die von einer glücklicheren Zeit erzählen, aber auch von Tagen und Nächten dicht gedrängt in einem kalten Keller oder von der beschwerlichen Flucht, Menschenmassen an der Grenze, die Nacht auf dem Bahnsteig in Berlin.

Regina Haumann-Jörgens mit drei von acht Flüchtlingen aus der Ukraine, denen sie ein Haus zur Verfügung stellt: v.l. Sveta Syngaivskij, Alina und Anja Kretschyschkina.
Regina Haumann-Jörgens mit drei von acht Flüchtlingen aus der Ukraine, denen sie ein Haus zur Verfügung stellt: v.l. Sveta Syngaivskij, Alina und Anja Kretschyschkina. © Ronny von Wangenheim

Regina Haumann-Jörgens hatte für die beiden Familien ihr leerstehendes Haus in Dingen reaktiviert, hatte Spenden gesammelt für die Einrichtung, Kleidung und mehr. Und sie half bei den bürokratischen Hürden, an denen auch sie manchmal verzweifelte. Dass ihr Aufenthalt länger dauern würde, ahnten die Flüchtlinge da schon. „Wenn Putin tot ist, dann gehen wir zurück“, sagte Sveta Syngaivskij damals in unserem Gespräch mit einem bitteren Lachen.

Heute, gut ein halbes Jahr später, leben sieben von ihnen weiter in dem Haus. „Das älteste Mädchen zieht aus, es will selbstständiger werden“, berichtet Regina Haumann-Jörgens. Arbeiten können, dürfen sie noch nicht, so berichtet sie weiter. Obwohl die Erwachsenen dies gleich nach ihrer Ankunft in Castrop-Rauxel angestrebt hätten. „Sie müssen erst den Deutschkurs abschließen“, sagt die Frohlinderin. Den besuchen die Erwachsenen täglich. Die Kinder gehen auf die Wilhelmschule beziehungsweise das Ernst-Barlach-Gymnasium. Das funktioniere sehr gut.

Freude am Helfen

Alle wollen in Deutschland bleiben, erzählt sie weiter. „Die Kinder bekommen hier eine bessere Schulausbildung“, sagt Regina Haumann-Jörgens. „Unter den Flüchtlingen, die mit Familie hier sind, kenne ich viele, die hierbleiben wollen.“ Vor allem ältere und Alleinstehende seien es, die wieder in ihre Heimat zurückkehren würden.

Sveta Syngaivskij, Anna und Alina Kretschyschkina leben seit Anfang April in Castrop-Rauxel.
Sveta Syngaivskij, Anna und Alina Kretschyschkina leben seit Anfang April in Castrop-Rauxel. © Ronny von Wangenheim

Der Einsatz für die beiden Familien aus Ukraine hat Regina Haumann-Jörgens und ihre Familie etwas gekostet – und das nicht nur finanziell. Wichtiger aber ist ihr: „Es hat uns Freude gebracht, dass man Menschen helfen kann.“ Das Thema sei in der Familie immer präsent.

„Wir versuchen, mehr Zeit den Kinder zu schenken, dass man abkommt vom Materiellen“, sagt sie. Die vielen Geschichten, die sie gehört hat, zeigen, wie wenig die Ukraine-Flüchtlinge mitnehmen konnten. Dass ein Koffer reichen musste für die wichtigsten Dinge des Lebens. Und ja, auch dieser Gedanke war da: Wenn wir in eine solche Situation kämen, wie würden wir uns freuen, wenn uns jemand einfach so aufnähme, offen und ohne Vorbehalte.“

Das alles hat Folgen für die Familie: „Wir haben einen Draht zur Caritas gefunden. Mir war bisher nicht so bewusst, dass es viele Menschen in Castrop-Rauxel gibt, die Hilfe brauchen. Nicht nur Flüchtlinge.“

Netzwerk in Frohlinde

Also wird genauer geschaut, was man noch wirklich braucht. Auch die drei Kinder, drei, fünf und sieben Jahre alt, sortieren Spielzeug aus, das dann über die Caritas zu anderen Kindern kommt. „Wir reden darüber“, sagt Regina Haumann-Jörgens mit einem Lächeln, bei Kindern sei das manchmal etwas schwierig. „Aber der Puppenwagen, der eigentlich nicht das Haus verlassen sollte, wird jetzt andere Kinder freuen.“ Statt etwas für wenig Geld bei Ebay zu verkaufen, wie es die Frohlinderin bislang manchmal tat, wird es jetzt abgegeben.

Auf der Haben-Seite steht bei ihr noch anderes. „Ich bin auf viele positive Hilfe in Frohlinde gestoßen“, erzählt sie, „in der Kirchengemeinde hat sich eine Frauengruppe gebildet, in die Flüchtlinge gehen können.“ Sie habe ein kleines Netzwerk aufgebaut, wisse jetzt, wen sie in Frohlinde ansprechen könne.

Regina Haumann-Jörgens: „Unsere Welt ist so anonym geworden, wir laufen aneinander vorbei. Da ist es sehr schön. dass es Menschen gibt, die sagen, wir helfen mit. Das war das Schönste in diesem Jahr.“

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