
Bei der Feuerwehr in Castrop-Rauxel ist auch der Rettungsdienst beheimatet. Die gemeinsame Leitstelle in Recklinghausen ist für die Notrufnummer 112 zuständig. Dort wird der Sachverhalt strukturiert abgefragt und dann gehandelt. © Feuerwehr Castrop-Rauxel
Die 112 wählen oder abwarten? Castrop-Rauxeler setzen ihr Leben aufs Spiel
Quatsch-Einsätze?
Die 112 ist als Notrufnummer bekannt: Im Notfall ruft man so Rettungsdienst und Feuerwehr. In Castrop-Rauxel hält sich das Gerücht, es werde zu schnell 112 gewählt. Stimmt das?
In Dortmund ist Alarm bei der Feuerwehr. Nicht wie sonst, wenn sie mit Blaulicht und Martinshorn zum nächsten Einsatz rauscht, sondern intern: Es gibt zu viele Nonsens-Einsätze im Rettungsdienst. „Wir fahren uns den Arsch ab, keiner hat mehr Lust zu arbeiten“, sagte ein Mitarbeiter jüngst gegenüber unserer Redaktion.
„Wir fahren in zwölf Stunden im Schnitt neun Einsätze, vier bis fünf sind davon Bullshit“, sagte der Mitarbeiter des Dortmunder Rettungsdienstes. Seinen Namen wollte er aus Angst um seine Stelle nicht sagen. Aber das Phänomen, das er schildert, klingt einleuchtend: „Die Leute rufen uns an wegen Rückenschmerzen, die sie seit einer Woche haben, oder weil sie nach einer durchzechten Nacht gebrochen haben.“
Der Dortmunder Feuerwehr-Chef Dirk Aschenbrenner bestätigt die Schilderung: Die Hälfte der Rettungsdienst-Einsätze sei nicht Folge echter Notfälle. So sei jedenfalls sein Gefühl. Systematisch erhoben werde das noch nicht, „aber wir denken jetzt darüber nach, wie man das tun kann“, sagte er auf Anfrage unserer Redaktion, konfrontiert mit diesen Aussagen.
Was ist dran an der These, dass Menschen schon bei Kleinigkeiten die 112 wählen? Auch in Castrop-Rauxel wird immer mal wieder hinter vorgehaltener Hand über diesen Trend gesprochen. Wir fragten also bei der Stadt Castrop-Rauxel, zuständig für die Feuerwehr, und beim Kreis Recklinghausen, zuständig für die Einsatzleitstelle, an. Dort heißt es: Bei Rettungseinsätzen in Castrop-Rauxel gebe es diese Auffälligkeiten nicht. Ganz im Gegenteil.
In Castrop-Rauxel gebe es wie im gesamten Kreis RE sicher auch mal Notrufe, die sich vor Ort nicht als solche bestätigten, antwortet ganz konkret Stadtsprecherin Nicole Fulgenzi. „Die meisten Bürgerinnen und Bürger sind medizinisch nicht geschult und können daher nicht immer zweifelsfrei erkennen, ob es sich um einen Notfall handelt, wenn sie den Notruf für den Rettungsdienst absetzen“, sagt sie.
Viele warten ab und setzen damit ihre Gesundheit aufs Spiel
Schlimmer wäre, wenn Menschen aus Rücksichtnahme und Zurückhaltung warteten, bis der Hausarzt wieder in der Praxis oder auf einem Hausbesuch bei ihnen sei, und dadurch die eigene Gesundheit aufs Spiel setzten. „Es gibt eine ganze Reihe davon“, berichtet Fulgenzi.
Im Kreis Recklinghausen habe sich eine Vorgehensweise bewährt, die das Problem gleich auszuschließen versuche: Disponenten in der Kreisleitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst, also die, die bei einem Notruf unter 112 rangehen, seien geschult. „Sie fragen strukturiert und gezielt ab, um was für einen Notfall es sich handelt“, erklärt die Kreisverwaltung. Entsprechend dieser Abfrage würden dann die Rettungskräfte alarmiert.
„Im Zweifelsfall gilt, und darin sind sich alle Beteiligten einig: Lieber einmal zu einem Einsatz herausfahren, der nicht notwendig gewesen wäre, als einen Patienten unbehandelt zu lassen und schlimmstenfalls zu verlieren“, sagt Nicole Fulgenzi.
Gefragt nach Zahlen, sagt sie analog zu den Dortmunder Kollegen: „Eine Statistik, in wie vielen Fällen kein Transport ins Krankenhaus notwendig war, gibt es nicht.“ Doch dann weicht ihre Aussage doch stark von der der Nachbarn ab: „Aus Erfahrung können wir aber sagen, dass es sich im überwiegenden Teil der Anrufe tatsächlich um Notfälle handelt.“
Transport ins Krankenhaus nicht immer erforderlich
Die Entscheidung, welche Maßnahmen zu treffen sind, würden die Einsatzkräfte vor Ort fällen. „Auch hier handelt es sich um qualifizierte Mitarbeiter des Rettungsdienstes, die die notwendigen Maßnahmen einleiten“, so die Stadtsprecherin. Wenn sie feststellten, dass kein Transport ins Krankenhaus notwendig ist, gebe es einen solchen auch nicht.

Der Dortmunder Feuerwehr-Chef Dirk Aschenbrenner. © Archiv
Es gebe aber auch Fälle, in denen ein Notarzt nachgefordert wird, weil sich die Situation vor Ort nicht so harmlos darstelle, wie am Telefon geschildert. Oder weil sie sich in den Minuten zwischen Anruf und Ankunft der Rettungskräfte dramatisch verschlechtert habe.
In Dortmund rief kürzlich erst ein Mann die 112, an den sich der Insider aus dem Rettungsdienst gut erinnern kann: „Er wurde von einer Wespe gestochen. Er hatte einen winzigen Stich an der Hand.“ In Castrop-Rauxel hätte die Leitstelle hier vermutlich keinen Rettungswagen rausgeschickt.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
