Der Tod von Eduard P. aus Castrop-Rauxel Kopfschuss wurde tagelang nicht entdeckt

Erst unentdeckt, dann ungesühnt – der Tod des Eduard P.
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Der Tod von Eduard P. ist ein Verbrechen, das bis heute nie ganz geklärt werden konnte. Es fängt damit an, dass erst Tage nach seinem Tod auffällt, dass Eduard P. erschossen wurde. Vor Prozess machten Polizei und Justiz dann große Fehler und am Ende ist sich die Staatsanwaltschaft sehr sicher, den Täter zu kennen, doch ins Gefängnis geht niemand.

Die Geschichte beginnt Silvester 1991 in einem Haus in Castrop-Rauxel Habinghorst. Familie P. feiert hier wohl zu dritt zusammen das neue Jahr. Johannes P., damals 52 Jahre alt, trinkt an diesem Abend viel, wie so oft. Später heißt es in den Akten immer, er sei „alkoholkrank“. Irgendwann in der Nacht auf der Jahr 1992 streitet er sich mit seinem Vater. Was den Streit ausgelöst hat, ob geschrien wurde, wer wem gedroht hat? Unklar.

Sicher ist: Irgendwann fallen drei Schüsse aus einer Walther PP. Einer der Schüsse trifft Eduard P., der damals 82 Jahre alt ist. Er wird ins Evangelische Krankenhaus eingeliefert, doch niemand merkt, dass der Mann angeschossen wurde und seine Familie sagt dem Krankenhaus nichts. Sein Zustand verschlechtert sich schnell und er wird noch am 2. Januar ins Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer verlegt. Er stirbt dort an den Folgen des Kopfschusses. Der Gerichtsmediziner wird später sagen, dass für Eduard P. „keine Überlebenschance bestand.“

Einschussloch am Auge

Erst am 3. Januar wird klar: Edurard P. ist eines gewaltsamen Todes gestorben. Bei der Obduktion findet ein Arzt schließlich das Einschussloch am Auge und die Austrittswunde am Hinterkopf. Die hatte man zunächst für eine Verletzung nach einem Sturz gehalten, das Einschussloch sei von einer starken Schwellung verdeckt worden.

Noch am selben Tag wird Johannes P. festgenommen und zum ersten Mal vernommen. Aber Johannes P. ist süchtig und plötzlich keinen Alkohol mehr zu konsumieren setzt seinem Körper schwer zu. Er wird von einem Arzt untersucht uns ins Justizkrankenhaus Fröndenberg gebracht. Der Arzt sieht bei Johannes P. erste Anzeichen eines Alkohol-Entzugsdeliriums. Ein Alkohol-Entzugsdelirium (Delirium tremens) ist eine lebensbedrohliche Komplikation beim plötzlichen Alkoholentzug, gekennzeichnet durch Verwirrtheit, Halluzinationen, starkes Zittern, Angst, Schwitzen und Krampfanfälle.

Was in der Silvesternacht 1991 passiert ist, bis heute ist es nicht klar.
Was in der Silvesternacht 1991 passiert ist, bis heute ist es nicht klar. © unsplash

Trotzdem wird Johannes P. von zwei Polizeibeamten befragt. Die beiden Beamten erinnern sich später sehr unterschiedlich an die Vernehmung von P. Während einer „Entzugserscheinungen“ bei dem mutmaßlichen Täter erkennt, habe der zweite Beamte das nicht wahrgenommen. Beim Gespräch über Waffen sei der 54-Jährige sogar regelrecht „aufgeblüht“.

Mit heißem Wasser bedroht

Bei den Beamten erzählt Johannes P. seine Version der Geschichte. Er habe sich mit seinem Vater gestritten und er gibt zu auf ihn geschossen zu haben. Aber es sei Notwehr gewesen. Sein Vater habe ihn mit einem Topf heißen Wassers bedroht. Johannes P. fühlt sich in die Ecke getrieben und stellt sich mit der gezogenen Pistole in die Tür. Aber er habe seinen Vater nicht erschießen wollen, sondern ihn nur erschrecken wollen.

Ein Detail wird später noch entscheidend: Während der Vernehmung verweigert P. die Unterschrift unter die Belehrung und das Protokoll. Eine Woche später gibt es noch eine weitere Vernehmung auf der Intensivstation des Krankenhauses, doch eine Belehrung gibt es nicht mehr. Die Richterin ging damals davon aus, dass Johannes P. schließlich schon den Beamten einige Tage vorher belehrt wurde. Auch in diesem Gespräch bleibt der Verdächtige bei seiner Version der Geschichte.

In den Artikeln von damals ist sich die Staatsanwaltschaft ziemlich sicher, dass sie Johannes P. verurteilen können. Es scheint so, als müsste man nur noch die Frage klären, ob P. schuldfähig ist oder nicht. Ein Gutachten wird aufgrund seiner Aussagen erstellt.

Fehler über Fehler

Am 10. August beginnt der Prozess gegen Johannes P. vor dem Dortmunder Landgericht. Ihm wird Totschlag unterstellt, für einen Mord gab es nicht genug Hinweise. Direkt zu Beginn attackiert Ps. Verteidiger Ralf Neuhaus die Vernehmungen. Er sagt, dass die „Art des Umgangs mit dem Angeklagten während des Ermittlungsverfahrens nicht justizförmig war“. Der Jurist kritisiert am ersten Verhandlungstag zahlreiche Versäumnisse der zuständigen Polizeibeamten und der Haftrichterin. Sie hätten Johannes P. in seinem Zustand nicht verhören dürfen, es habe keine gesicherte Belehrung gegeben.

Vor Gericht gibt dann auch die Haftrichterin zu, dass der Zustand von Johannes P. schlecht gewesen sei. Sie habe Schwierigkeiten gehabt, die Aufmerksamkeit des Angeklagten auf sich zu ziehen. „Ich weiß aber nicht, ob der nicht konnte oder nicht wollte“, stellte sie klar.

Schon nach zwei Verhandlungstagen am Landgericht geben die Ermittlungen kein gutes Bild ab. Es sieht schnell so aus, als könnten alle drei Vernehmungen vor Gericht nicht verwertet werden, wegen Formfehlern. Ohne das Geständnis aus den Vernehmungen hat das Gericht keine Beweise gegen Johannes P. Es gibt nur noch eine andere Möglichkeit herauszufinden, was am tödlichen Silvesterabend passiert ist. Die Mutter von Johannes P., die einzige, die wahrscheinlich alles gesehen oder zumindest mitbekommen hat, müsste aussagen.

Aussage sei „nicht wichtig“

Das Gericht meldet sich auch telefonisch bei ihr. Während des Prozesses sitzt Johannes P. nicht in Untersuchungshaft, sondern ist auf freiem Fuß und lebt bei seiner Mutter. Als der Richter die 86-Jährige anruft, um sie zu fragen, ob sie im Prozess aussagen will, reicht sie den Hörer an ihren Sohn weiter. Der sagt dem Richter, dass die Aussage seiner Mutter „nicht wichtig“ sei. Er werde schon dafür sorgen, dass sie nicht spreche.
Der Richter ermahnt ihn im Prozess zwar dafür, aber als nächste Angehörige muss die Mutter nicht aussagen. Auch der Anwalt von Johannes P. bezeichnete das Verhalten seines Mandanten als „nicht schön“.

Das Landgericht Dortmund konnte schließlich keine Vernehmungen gegen Johannes P. verwerten. Er wurde nicht angemessen aufgeklärt und war nicht in der körperlichen Verfassung, vernommen zu werden.
Das Landgericht Dortmund konnte schließlich keine Vernehmungen gegen Johannes P. verwerten. Er wurde nicht angemessen aufgeklärt und war nicht in der körperlichen Verfassung, vernommen zu werden. © picture alliance/dpa

Am vierten Verhandlungstag muss das Gericht dann verkünden: Die Vernehmungen waren nicht rechtens und dürfen nicht verwertet werden. Ohne weitere Beweise oder Zeugenaussagen hat das Gericht nichts Belastendes mehr gegen Johannes P. in der Hand. Am fünften Tag der Verhandlung wird Johannes P. freigesprochen, auch die Staatsanwaltschaft hatte den Freispruch gefordert. In seinem Plädoyer sagt der Staatsanwalt: „Er spricht vieles dafür, dass der Angeklagte die Tat begangen hat, allerdings können wir dies nicht mit letzter Sicherheit nachweisen.“

Die Richter sprechen Johannes P. frei. Richter Windgätter sagt zum Abschluss des Prozesses: „Die einzige sichere Erkenntnis, die wir haben, ist die, dass der Vater des Angeklagten gewaltsam zu Tode gekommen ist. Es bleibt ein ungutes Gefühl zurück, aber die Strafprozessordnung sieht vor, dass die Rechte des Angeklagten beachtet werden müssen.“