Die Trinkhalle 44 in der Langestraße ist für viele Menschen mehr als nur ein gewöhnlicher Kiosk. Seit 2018 stecken das Ehepaar Gül (42) und Hamit (46) Özkan ihr Herzblut in das Geschäft und in die Nachbarschaft. Denn für viele ist der Laden die Anlaufstelle für die großen und kleinen Sorgen und Nöte im Alltag.
Ein Zuhause für alle
„Jede Nationalität ist bei uns willkommen.“ Die Trinkhalle ist ein Zuhause für alle. Durch die Notunterkunft für Geflüchtete in Habinghorst sind auch viele Menschen, die aus ihrem Heimatland vertrieben wurden, unter den Kunden. Da wird der Kiosk zum Seelsorger und Problemlöser. „Wir haben beim Übersetzen geholfen, Ärzte angerufen, Termine vereinbart und bei Anträgen geholfen“, erinnert sich Gül. „Wir sind mehr als nur ein Kiosk, wir helfen immer, wo wir können.“
Draußen läuft ein Kunde vorbei. „Ach, das ist der Bernd, der kommt sonst auch immer rein, aber heute geht’s ihm nicht so gut“, erklärt sie. Kurz vorher kamen zwei junge Mädchen aus der Nachbarschaft vorbei. „Die Sarah hat den Schlüssel von außen in der Wohnungstür stecken lassen“. Gül lacht. Das sind meine Nachbarinnen, erklärt sie. „Klingelt einfach bei ihr an, die ist zu Hause“, ruft sie den beiden zu. Die Nähe zu den Menschen ist deutlich erkennbar. „Wir sind hier richtig familiär“, erklärt die Trinkhallenbesitzerin. „Ich hab auch schon mal meinen Schlüssel vergessen, weg kommt hier nichts.“
In der Trinkhalle ist viel los
Es ist immer was los im Büdchen nebenan. „Im Sommer sitzt man immer mit der ganzen Nachbarschaft zusammen, viele kommen dann auch mal auf ein Pläuschchen vorbei“, erzählt die 42-Jährige. „Die Lange Straße ist dann genauso belebt wie früher als Einkaufsstraße.“ Selbstverständlich ist das nicht.
„In diesem Laden haben viele Brot gegessen, die woanders aufgrund ihres Aussehens oder Lebenslaufs keine Anstellung gefunden haben.“ Auch für die Kunden steht die Tür immer offen. Wenn das Geld nicht gereicht hat, wurde der ein oder andere Durstlöscher auch mal umsonst herausgegeben.
„Als jemand mal umgekippt ist, haben wir auch erste Hilfe geleistet oder bei Schwierigkeiten die Polizei gerufen“, erinnert sich Gül. Weggeguckt wurde hier nie.
Die Kraft ist aufgebracht
„Wir haben hier viele gute Menschen kennengelernt.“ Darauf ist sie stolz. 2018 hat sie mit ihrem Mann Hamit bei null angefangen. Unterstützung hatten sie keine. „Wir haben uns alles selbst erarbeitet“, erzählt sie. „Wir haben viel von uns gegeben, jetzt können wir einfach nicht mehr.“ Die 42-jährige Kioskbesitzerin fasst sich ans Herz. Der Schmerz sitzt tief, die Kraft ist aufgebraucht. Bis Ende des Jahres wird ein neuer Besitzer gesucht.
Es war eine schöne Zeit, auch wenn es momentan schwierig sei, das zu fühlen. Die fünf Jahre waren hart. Ein Trauma folgte dem nächsten. „Sieben Familienangehörige haben wir durch die Corona-Pandemie und das Erdbeben in der Türkei verloren“, erzählt sie stockend. Darunter sind auch Hamits Eltern. Güls Augen füllen sich mit Tränen. „Es sind einfach zu viele Tote in der Familie“, erzählt sie leise. „Dazu kommt, dass wir 16 Stunden pro Tag arbeiten.“
Keine Zeit für Trauer
Zeit für Gefühle und Trauer bleibt da nicht. „Verarbeitet haben wir noch nichts, wir sind noch mittendrin.“ Tränen fließen über ihre Wangen, die Stimme bricht weg. „Wir konnten noch nicht mal zu einer Beerdigung gehen.“ Dann kam auch schon der nächste Schlag: Verdacht auf Blutkrebs bei Gül. „Mein Mann war aschfahl“, erinnert sie sich. Zum Glück hat sich der Verdacht nicht bestätigt, weniger stressig war die Zeit deshalb aber nicht. Gül und Hamit sind emotional am Ende. Sie haben viel von sich gegeben, bis am Ende nicht mehr genug für sie selbst übrig war. „Wir wollen jetzt nur noch leben!“
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