Streit bei Zwangsversteigerung in Castrop-Rauxel „So einen Termin habe ich noch nie erlebt“

Streit bei Zwangsversteigerung – Es wird laut im Gerichtssaal
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Das höchste zugelassene Gebot im Saal 1 des Amtsgerichts liegt bei 52.000 Euro. „Können wir kurz rausgehen und sprechen?“, fragt Arwa Abou Hachem. Er deutet zuerst auf sich und dann auf den Mann mit dem bisher höchsten Gebot. Der Rechtspfleger, der die Zwangsversteigerung leitet, genehmigt es. Die Unterredung dauert keine ganze Minute. Die Männer kommen zurück. Hachem bietet 52.001 Euro. Dreimal fragt der Rechtspfleger nach weiteren Geboten. Niemand meldet sich.

Meistens laufen Zwangsversteigerungen ruhig ab. Am Dienstagmorgen ging es in dem Castrop-Rauxeler Gerichtssaal aber hoch her. Zwischen den Bietern wurde es ungemütlich und laut. Und am Ende steht der Vorwurf, dass der erfolgreiche Bieter seine Konkurrenz ausgetrickst habe.

Tim Schweers vermarktet die Wohnung für die Bausparkasse Schwäbisch-Hall. Hier steht er vor dem Sitzungssaal im Amtsgericht.
Tim Schweers vermarktet die Wohnung für die Bausparkasse Schwäbisch-Hall. So eine Zwangsversteigerung habe er noch nie erlebt, sagt er uns nach dem Termin. © Tewe Schefer

Um diese Wohnung geht es

Gegenstand der Zwangsversteigerung ist eine etwa 84 Quadratmeter große Wohnung an der Lange Straße im Stadtteil Habinghorst. Gutachter bescheinigen dem Gebäude einen mangelhaften Gesamteindruck. Der Keller ist feucht. „Der Zustand der Wohnung kann nicht beurteilt werden.“ Ihr Verkehrswert wird von Gutachtern mit 58.000 Euro angegeben.

Bieter stapeln zuerst tief

Die ersten Gebote liegen nur bei 5.500 beziehungsweise 7.000 Euro. Deshalb schreitet Tim Schweers ein. Er vermarktet die Wohnung für die Bausparkasse Schwäbisch-Hall. Die Bank wolle mindestens sieben Zehntel des Verkehrswertes, also 40.600 Euro, erzielen. Bei niedrigeren Geboten hätte die Bank als Gläubiger das Recht, sie abzulehnen. Damit die Interessenten einen besseren Eindruck von der Wohnung bekommen, zeigt Schweers ihnen vor dem Gerichtssaal Fotos vom Inneren der noch restmöblierten Wohnung.

Es wird laut im Gerichtssaal

Die Bilder haben offenbar Wirkung. Arwa Abou Hachem bietet als Geschäftsführer der Lina Immobilien GmbH aus Essen 41.000 Euro für die Wohnung. Direkt danach will er als Privatperson das Angebot seiner eigenen Firma überbieten. Zunächst will er 50.000, dann sofort 60.000 Euro bieten. Diese Gebote weist der vorsitzende Rechtspfleger zurück. Hachem hat vor dem Termin keine Sicherheitsleistung für sich selbst erbracht, sondern nur für seine Firma. Als Privatperson dürfte er nur mitbieten, wenn er vorher zehn Prozent des Verkehrswerts der Wohnung als Sicherheit hinterlegt hätte.

Hachem protestiert. Erst vor einer Woche habe er an einem anderen Gericht um eine andere Immobilie mitgeboten – dabei sei auch keine Sicherheitsleistung verlangt worden. Er will einen Brief aus diesem Amtsgericht aus seinem Auto holen und ihn dem Rechtspfleger zeigen. Der erklärt ihm wiederholt, dass er das Gebot zurückweisen müsse. Er werde sein Verfahren nicht von einem anderen Fall abhängig machen. Hachem sagt immer wieder, dass er nicht gut Deutsch spreche – die Verständigung läuft unrund. Irgendwann schaltet sich anderer Bieter ein. Das Gebot sei zurückgewiesen worden. Er wolle jetzt weitermachen. Da sagt Hachem laut: „Ich rede nicht mit dir! Sei leise!“ Kurz darauf unterbricht der Rechtspfleger die Versteigerung für 20 Minuten.

Tim Schweers erklärt unserer Redaktion später, Gläubiger könnten entscheiden, ob Bieter vor einer Zwangsversteigerung eine Sicherheitsleistung erbringen müssen. Sie hätten auch die Möglichkeit, darauf zu verzichten. Es könnte also sein, dass Hachem bei einer anderen Versteigerung keine Sicherheitsleistung hinterlegen musste.

Verhandelt wurde im Saal 1 des Amtsgerichts, das hier von außen abgebildet ist.
Verhandelt wurde im Saal 1 des Amtsgerichts – dort waren Bild- und Tonaufnahmen verboten. © Tewe Schefer

Nach der Pause erklärt der Rechtspfleger Hachem, er müsse sein privates Gebot definitiv zurückweisen. Er habe bloß die Möglichkeit, Widerspruch dagegen einzulegen. Das tut Hachem.

Andere Interessenten gehen über das bisher höchste gültige Gebot hinaus. Ein Mann bietet im Auftrag seines Bruders mit, der in der Türkei lebt. Ein anderer Mann wurde von seiner Frau zum Mitbieten bevollmächtigt. Die gebotene Summe steigt schnell von 41.000 Euro auf 50.000 Euro. Immer wenn jemand eine Summe nennt, legt Hachem noch 100 Euro drauf. Einmal wartet er damit solange, bis der Rechtspfleger zum dritten Mal nach weiteren Geboten gefragt hat. Der Bieter, mit dem sich Hachem vor der Pause angelegt hat, blickt genervt drein.

Konkurrent protestiert

Schließlich ersteigert Hachem die Wohnung an der Lange Straße für 52.001 Euro für seine Firma. Als die Versteigerung schon für beendet erklärt ist, fragt er, ob er nun sein höheres privates Gebot von 60.000 Euro zurückziehen könne. Es wird kompliziert. Das Gebot selbst, sagt der Rechtspfleger, könne Hachem nicht zurückziehen. Höchstens könne er beantragen, den Widerspruch gegen dessen Zurückweisung zurücknehmen. Das müsse er schriftlich beantragen, und das Gericht werde an einem anderen Tag darüber entscheiden.

Das bringt den Bieter, der neben uns sitzt, endgültig auf die Palme. „Das ist ein Trick!“, ruft er dem Rechtspfleger zu. Er habe bei der Versteigerung auch auf das 60.000-Euro-Angebot von Hachem reagiert. Hätte es dieses nicht gegeben, wäre er vielleicht anders vorgegangen.

Nachdem Schweers einen zweiten Versteigerungstermin mit Beteiligung von Hachem hinter sich hat, fragen nach seiner Einschätzung. Es habe wieder Verständigungsprobleme gegeben. Er halte es für wahrscheinlicher, dass Hachem nicht bewusst taktiert habe. „So einen Termin habe ich in der Form auch noch nie erlebt“, sagt Schweers.

Voraussichtlich wird die Wohnung an der Lange Straße jedenfalls in den Besitz von Hachems Unternehmen übergehen. Was er genau mit der Wohnung machen werde, wisse er noch nicht, sagt er uns nach der Versteigerung. Auf die Frage, wieso er einmal für sich und einmal für seine Firma bieten wollte, bekommen wir keine klare Antwort.

Hier erfahren Sie alles, was Sie über Zwangsversteigerungen wissen sollten.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 11. November 2024.