Standpunkte zur Alten Eiche: Akteure und Strippenzieher - eine Analyse
Vor dem Ratsentscheid
Kurz vor der Entscheidung des Castrop-Rauxeler Rates über die Alte Eiche ist das Ergebnis weitgehend klar. Unklar ist: Wer geht wie aus dem langen Streit um die Eiche hervor? Eine Analyse.
Die Alte Eiche kann erhalten bleiben, wenn der Rat der Stadt am Donnerstag (30.4.) einem gemeinsamen Antrag von SPD, CDU, FWI und Grünen zustimmt. Sie wollen in einem sogenannten Heilungsverfahren den Bebauungsplan „Wohnen an der Emscher“ so verändern, dass die Stieleiche im Zentrum des Baugebietes erhalten bleibt.
Der neue Plan ist schon abgestimmt mit dem Investor, der monatelang mauerte und sich nicht dem Wunsch vieler Bürger und Parteien beugen wollte, den Baum in sein Baugebiet einzuplanen. Wie konnte dieses Ergebnis nun erzielt werden? Wer waren die Akteure, wer Fundis und Realos, wer sind Gewinner und Verlierer? Eine Analyse:
Hätte es dieses Anwohner-Paar von der Heerstraße nicht gegeben, vielleicht hätte sich all das gar nicht mehr abgespielt, was seit Herbst 2018 die Gemüter in Castrop-Rauxel erhitzt. Die beiden wohnen seit 20 Jahren in einem Reihenhaus nördlich der Heerstraße.
Sie sind direkte Profiteure der Grünflächen: Nicht nur, weil sie das Grün hinten heraus lieben, sondern weil sie eine Gartenverlängerung gepachtet hatten – ein Stück der Fläche, die bald bebaut werden soll. Ende 2018 schrieben sie einen Brief an die Fraktionen im Rat mit der Bitte, das Bauvorhaben zu stoppen, zumindest aber ihren Lieblingsbaum zu erhalten, den sie aufgrund des Stammdurchmessers von 3,30 bis 3,40 Meter auf ein Alter von 260 Jahre schätzten.
Sie hatten beim Kampf um den Erhalt der Eiche ein besonderes Interesse und setzten sich entsprechend intensiv ein. Jetzt, wo die Eiche bleibt, ist für sie nicht das erreicht, was sie eigentlich wollten: keine Bebauung zwischen ihrem Haus und der Emscher. Vor anderthalb Jahren hieß es über einen möglichen Verlust ihres Paradies hinterm Haus: „Vielleicht ziehen wir auch weg.“
Aus dem anfänglichen Protest der Anwohner entwickelte sich eine Initiative, die sich Steiner / Stoye anschloss. Sie bildete sich aus Natur- und Umweltschützern aus ganz Castrop-Rauxel. Auf einer Website, die inzwischen nicht mehr unter der der Adresse www.rettetdiealteeiche.de, sondern auf http://85.214.249.120/alteeiche zu finden ist, veröffentlichten die Mitstreiter Positionsschreiben. Darunter parteilose, aber auch Mitglieder der Grünen, der FWI und der Linken. Sie nannten sich zwar „Rettet die Alte Eiche“ und stilisierten den Baum zu ihrem Symbol in einer Zeit der weltweiten Diskussionen über den Klimawandel und -schutz. Aber unter ihnen gab es verschiedene Positionen: Menschen, die einer Kompromisslösung – die Eiche bleibt, aber das Baugebiet kommt – zustimmen könnten, aber auch solche, die diesen einzelnen Baum nur symbolisch für die ganze Fläche mit ihren rund 300 Bäumen sah. Fundis und Realos treffen vor allem hier aufeinander.
Aus dem Aktionskreis heraus gründeten zwölf Mitstreiter Mitte Juli 2019 den gleichnamigen Verein, um mit ihm zusätzliche rechtliche Möglichkeiten zu haben. Als zentraler Vereinszweck galt der Kauf des Grundstücks, auf dem die Alte Eiche steht. Eigentlich ist die Gruppe relativ deckungsgleich mit dem Aktionskreis, aber nicht alle Vertreter gehören beiden Initiativen an. Der Kompromiss-Plan, die Eiche zu erhalten, aber trotzdem zu bauen, entzweit den Verein genauso wie den Aktionskreis in Fundis und Realos. So ist auch zu erklären, dass der Vorstand den Plänen jetzt grünes Licht gab, kurz darauf aber deutlich wurde, dass das bei weitem nicht Konsens, vielleicht nicht einmal Mehrheitsmeinung in der Mitgliedschaft ist.
Die Person, der Kern der Eichen-Freunde: Seit Ende September 2019 wohnt Johannes mehr oder weniger in der Alten Eiche. Der Aktivist aus dem Hambacher Forst baute sich am Vorabend zum 1. Oktober ein Baumhaus in zwölf Metern Höhe, um zu verhindern, dass mit dem Ende der gesetzlichen Schutzfrist der Baum gefällt würde. Um Mitternacht wollten rund 40 Polizisten, die Feuerwehr und ein Notarzt dafür sorgen, dass HambiPotter aus dem Baum herausgeholt wird. Etwa ein Dutzend Eichenretter schützten ihn mit einem Gerichtsbeschluss, dass die Eiche bis zur Klärung stehen bleiben muss. So rückten die Einsatzkräfte gegen 6 Uhr ab und schickten gegen 7.30 Uhr auch vier Fachleute einer Baumschneide-Fachfirma wieder weg, die direkt am 1. Oktober ihre Sägen am Symbol-Baum anlegen sollten. Am 23. Oktober* sperrte Investor Dreigrund die Wege und Zugänge zum Plangebiet mit Bauzäunen ab. Kennengelernt hatten sich HambiPotter und die Aktivisten bei den zahlreichen und von BUND und Grünen initiierten Besuchen des Hambacher Forstes. Letztlich entschied HambiPotter sich, seinen angestammten Wald unweit des Braunkohle-Tagebaus zu verlassen und nach Habinghorst umzusiedeln.
*Wir hatten im ursprünglichen Artikel bei der Absperrung vom 24. September geschrieben. Wir haben das hier korrigiert.
Für den rechtlichen Beistand der Eichen-Aktivisten sorgte das BUND-Landesvorstandsmitglied aus Henrichenburg – ein Umweltaktivist, der das besondere Besteck des Kampfes vor Verwaltungsgerichten beherrscht. Er hat sich so schon in vielen anderen Großprojekten in der Region wie dem Kraftwerksbau in Lünen und Datteln, der Planung des Gewerbegebietes NewPark und der B474n durch die Natur zum Teil erfolgreich eingebracht. Sein Florett sind seltene Artenbestände in der Tier- und Pflanzenwelt, sein Säbel sind Verfahrensmängel und -fehler bei der Bauleitplanung. Mit unterschiedlichen Mitteln hebelte er mit Juristen auch hier das Bauvorhaben phasenweise aus, verlängerte Schutzfristen und brachte so die Politik in Bedrängnis.
Bauausschuss-Chef und Bürgermeisterkandidat Oliver Lind (CDU):
Der CDU-Baurechts-Experte aus dem Stadtrat, der auch Vorsitzender des Stadtentwicklungs- und Bauausschusses ist, bezog mit seiner Fraktion recht deutlich Stellung: Der Bebauungsplan ist mit dem Investor seit Jahren abgestimmt. Es gibt keine Grundlage, ihn jetzt abzuändern – der alten Eiche, die man erst Ende 2018 ins Spiel brachte, zum Trotz.
Er war bei einem Vor-Ort-Info-Termin mit der Stadtverwaltung (Heiko Dobrindt, Klaus Breuer, Philipp Röhnert) unter der Eiche als Moderator dabei, vertrat aber auch da die obige Position: einmal beschlossen, ist das Planungsrecht ganz klar. Er stieg im Laufe der Zeit zum Bürgermeisterkandidaten der CDU für die Kommunalwahl 2020 empor – und in diesem Zuge muss auch der Plan entstanden sein, Lind als Retter eines Kompromisses aufs Schild zu heben.
Für Anfang 2020 kündigte er einen „Lind-Plan“ zur Rettung der Eiche an, obwohl ein Vermittlungs- und Gesprächsangebot beim Investor vonseiten des Bürgermeisters lange vorlag. Er sprach in kleinem Kreise mit Stadtbaurätin Lenort, Thomas Krämerkämper und Thorsten Velhorst, lotete Kompromisspotenzial mit aus und fand mit dem Investor und der Stadt bei einem zweiten Treffen im Februar eine Lösung für ein Alternativ-Bebauungskonzept, das nun in einem „geheilten“ Bebauungsplan verabschiedet werden soll. Die politische Mehrheit ist ihm hier sicher.
Er unterbreitete dem Investor lange vor dem „Lind-Plan“ Gesprächsangebote, bei dem er Eichenfreunde, BUND und Fachverwaltung an den Tisch holen wollte. Ohne durchschlagenden Erfolg. Die Baum-Aktivisten fühlten sich lange Zeit von ihm und seiner Partei, der SPD, mindestens nicht ernst genommen. Sein persönlicher Plan, in diesem Gebiet ein Haus für seine Familie (zwei kleine Kinder) zu bauen, wurde von Gegnern instrumentalisiert. Daraufhin gab er diesen Plan auf.
Sie kam auf halber Strecke ins Team der Stadtverwaltung als Nachfolgerin des Technischen Beigeordneten Heiko Dobrindt, der in den Ruhestand ging. Sie nahm das Thema auf und wird nun von der Stadtverwaltung als Moderatorin des Kompromiss-Prozesses in Stellung gebracht – anders als die CDU behauptet. Das könnte man als Wahlkampf bezeichnen, denn Kravanja und Lind werden um das Bürgermeisteramt streiten. Lenort selbst tritt seit ihrem Start im Verwaltungsvorstand als bestimmte, aber auch zuhörende Mittlerin auf. Sie hatte in diesem Verfahren einen Draufsicht-Bonus: Sie steckt nicht wie ihr Amtsvorgänger schon seit mehr als einem Jahrzehnt in diesen Planungen.
Der Geschäftsführer der Firma, die das grüne Gelände kaufte, um es zu bebauen, verstummte zwischenzeitlich: Er beharrte, vielleicht auch auf Bestreben der Gesellschafter der GmbH, die eigens für „Wohnen an der Emscher“ gegründet wurde, auf dem alten und von der Politik beschlossenen Plan. Trotz aller Proteste und der Unterschriftensammlung in Castrop-Rauxel. Das ist sein gutes Recht, denn einem Investor, gerade von außerhalb, ist nicht vorzuwerfen, dass er das Bestreben hat, einen möglichst großen Gewinn zu erzielen – es ist sein Geschäftsmodell.
Er sprach monatelang nicht mit unserer Redaktion, ließ sich nun aber auf einen Kompromiss ein, der ihn Umsatz kosten wird. Denn obwohl es „nur“ darum geht, die Eiche zu erhalten, umfasst der neue Bauplan statt der einst geplanten 70 noch 51 „Gebäude“: 29 Einfamilienhäuser, 20 Doppelhaushälften, 2 Mehrfamilienhäuser. Die Bebauung wird viel energieeffizienter und damit klimafreundlicher ausfallen, als jemals geplant.
Unter ökologischen Gesichtspunkten konnte der BUND so einen guten Kompromiss für den Wegfall des Ökosystems erzielen. Vielleicht ist Velhorst derjenige, der am Ende das „Happy End“ erst möglich gemacht hat: die Eiche bleibt, die Häuser kommen. Es sei denn, es gibt noch eine unerwartete Wendung. Eine Klage? Überraschungen hatte diese schier unendliche Geschichte schließlich schon viele.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.