Eine Patientenverfügung nimmt den Angehörigen die Last, für andere zu entscheiden. Vordrucke gibt es in der Verbraucherzentrale, bei der Sozialberatung des EvK und in örtlichen Buchhandlungen.
Patientenverfügung und Co.
Selbstbestimmtheit bis in den Tod
Marcel Olbrich will wissen, was mit ihm im Krankenhaus passiert, wenn er sich nicht mehr selbst äußern kann. "Wenn ich Matsche bin, will ich nicht, dass ich noch ein halbes Jahr an Maschinen angeschlossen werde", sagt er. Denn für seinen Tod weiß er genauso was er will, wie für sein Leben. Doch wie kann man das sicherstellen?
Wer seine Wünsche im Krankenhaus nicht mehr äußern kann, ist aufgeschmissen. Entscheidungen über Leben oder Tod zu treffen, ist für die Angehörigen emotional kaum zumutbar. Eine Patientenverfügung hilft allen: dem Patienten, Ärzten und den Angehörigen. Doch wie funktioniert das überhaupt?Es soll keine künstliche Ernährung durch ärztliche Eingriffe erfolgen: Ja oder Nein? Wiederbelebungsmaßnahmen sollen unterlassen werden: Ja oder Nein? Diese Fragen sind Teil einer Patientenverfügung. Doch viele Menschen haben lange keine Antwort darauf - oft zu lange.
Einer, der sich über seinen Tod jetzt schon genauso viele Gedanken macht, wie über sein Leben, ist Marcel Olbrich. Der berufliche Stress, nicht geregelte Arbeitszeiten und ungesunde Ernährung durch den Job: Das alles sind für den 38-jährigen Marcel Olbrich Gründe genug, sich für den Fall der Fälle früh zu wappnen. "Außerdem gab es in meiner Familie viele Herzinfarkte", sagt Olbrich. "Schon seit ich 20 bin, setze ich mich intensiv damit auseinander." Vor Jahren entschloss er sich daher, eine Patientenverfügung aufzusetzen. Doch das war gar nicht so einfach wie gedacht, Olbrich brach das Vorhaben schließlich ab.
Dr. Google hilft nicht immer
"Zunächst habe ich im Internet nach Vordrucken gesucht", sagt er. "Doch da gibt es so viele unterschiedliche. Manche haben nur zwei Seiten, manche über 20. Da weiß ich gar nicht, welches das richtige ist und welches überhaupt gültig." Dieses Problem hat auch das Ethik-Komitee des Evangelischen Krankenhauses (Evk) an der Grutholzallee erkannt. Deswegen haben die Mitglieder um den Vorsitzenden Frank Obenlüneschloß eine kostenlose Broschüre mit Formularvordrucken zu Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungs- und Patientenverfügung herausgegeben. Die Sozialberatung des EvK berät vor Ort in allen Fragen zur Selbstbestimmtheit bis zum Tod.
Die Beraterinnen Karin Fromm und Constanze Brenner kennen die Hürden und Hemmschwellen. "Es besteht der Irrglaube, dass die Patientenverfügung notariell beurkundet werden muss", sagt Karin Fromm. "Ich habe mich auch von einem Notar beraten lassen", bestätigt Marcel Olbrich. Ein Kann, aber kein Muss, wie die Sozialberatung sagt. "Das hätte mich dann aber 600 Euro gekostet." Das K.o-Kriterium für den 38-Jährigen und seine Patientenverfügung. Er entschied sich dann schließlich "nur" für eine Vorsorgevollmacht. Als Bevollmächtigte eingetragen ist seine Lebensgefährtin.
"Die Vertrauensperson wird hiermit bevollmächtigt, mich in allen Angelegenheiten zu vertreten, die ich im Folgenden angebe."
So steht es in der Vorsorgevollmacht. Heißt: Die Lebensgefährtin von Marcel Olbrich entscheidet, nach seinem Willen, was mit ihm passiert, wenn er sich im Krankenhaus nicht mehr selbst dazu äußern kann. "Wir gehen zu Hause sehr offen und realistisch mit dem Thema um", sagt Olbrich. "Wir werden ja nicht alle 90." Was wer will und was nicht, hat er mit seiner Lebensgefährtin genau besprochen. "Ich habe ihr damit den Druck genommen. Und wenn ich da liege und Matsche bin, hat sie nicht die Möglichkeit, die Maschinen noch sechs Monate lang laufen zu lassen." Auch seine Eltern wissen, was er will. Eine Magensonde oder der Anschluss an eine Herz-Lungenmaschine kommen für Olbrich auf keinen Fall infrage. Die Angehörigen und Kinder entlasten, das sei häufig der Grund für eine Vollmacht, bestätigen Fromm und Brenner von der Sozialberatung. Umgekehrt darf Marcel Olbrich auch für seine Freundin entscheiden.
Marcel Olbrich hat mit seinen 38 Jahren schon alles zu seinem Tod geregelt. Das ist nicht der Normalfall. "Die meisten kommen erst zu uns, wenn es eigentlich schon zu spät ist", sagt Karin Fromm von der Sozialberatung im Evangelischen Krankenhaus. Für die Vollmachten sei es aber nie zu früh, sagt sie. Und schließlich könne der Patient seine Meinung ja wieder ändern. "Der aktuelle Patientenwille ist das, was zählt", sagt Frank Obenlüneschloß.
Wie viele Patientenverfügungen es gibt, lässt sich nicht genau beziffern, denn die Vollmachten müssen nirgendwo festgehalten werden. "Aber das Bewusstsein dafür ist in den vergangenen fünf Jahren deutlich gestiegen", sagt Karin Fromm. Das merke sie in den vielen Beratungen dazu. Fünf bis sechs seien es mittlerweile pro Woche. "Mit uns können aber viele leichter sprechen, als mit ihren Angehörigen. Wir sind ja neutral." Bei der Gründung der Sozialberatung vor 24 Jahren, kümmerten sich drei Angestellte um die Patienten. Heute sind es zehn. Und der Bedarf steigt.
Orientierung gibt dazu das zentrale Vorsorgeregister. Gestartet ist das Register 2003 als Initiative der Notare. Es dient der Information der mit Betreuungsverfahren befassten Gerichte und trägt dazu bei, dass erteilte Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügungen und Patientenverfügungen im Ernstfall rechtssicher aufgefunden und im Betreuungsverfahren berücksichtigt werden können. Bislang sind dort bundesweit 3,8 Millionen Verfügungen eingetragen.
Marcel Olbrich hat sich in der Vielzahl der Vordrucke zur Patientenverfügung kaum zurechtgefunden. "Sich da alleine durchzukämpfen, ist eigentlich unmöglich", sagt der 38-Jährige. © Olbrich
Wichtig ist nur, dass die Vollmachten mit dem Patienten ins Krankenhaus gelangen. "Der Arzt muss ja wissen, was der Wille des Patienten ist", sagt Sozialberaterin Constanze Brenner. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus werde immer danach gefragt. Eine Kopie wird dann in der Patientenakte hinterlegt. Kann der Patient sich im Krankenhaus noch äußern, gelte sein gesprochenes Wort und nicht die Verfügung. Marcel Olbrich hat sich abgesichert: vier Kopien seiner Vorsorgevollmacht bei den Eltern, der Schwester, zu Hause und auf der Arbeit deponiert.
Als Schwerstpflegefall zu enden und auf die Hilfe seiner Angehörigen angewiesen zu sein, will Marcel Olbrich auf keinen Fall. "Meine Mutter hat meinen Opa bin zum Tod gepflegt", sagt er. "Er hatte Lungenkrebs. Einen Schwerstpflegefall zu pflegen und zu betreuen, ist für die Angehörigen kaum leistbar. Daher habe ich alles geklärt, was ich klären muss."
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