Schwerin: Ein Stadtteil mit großem Zusammenhalt, aber wenigen Angeboten für Jugendliche

© Volker Engel

Schwerin: Ein Stadtteil mit großem Zusammenhalt, aber wenigen Angeboten für Jugendliche

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Aus der einstigen Bergarbeitersiedlung ist heute ein bunt gemischter Stadtteil geworden. Auf dem Berg leben Familien und Senioren. Und der Stadtteil ist noch immer einer im Wandel.

Schwerin

, 12.04.2019, 04:55 Uhr / Lesedauer: 4 min

Hanife Türedi wohnt seit 45 Jahren auf Schwerin. Dort ist sie groß geworden, dort lebt sie heute mit ihren zwei Kindern und ihrem Mann und betreibt dort den Friseursalon „Kopfsalat“. Direkt am Neuroder Platz, dem zentralen Ort des Stadtteils. Und Hanife Türedi will nie wieder weg aus Schwerin. Woanders zu wohnen, kann sie sich nicht vorstellen. „Schwerin gehört zu mir“, sagt die 46-Jährige. Auch, wenn sich heute dort vieles verändert hat.

Früher sei Schwerin wie eine große Familie gewesen. Den Zusammenhalt gebe es zwar immer noch, aber er werde weniger. „Es ist anders geworden hier“, sagt Hanife Türedi. Vor allem, seit Omma Wilma nicht mehr lebt. Die gute Seele das Stadtteils hat sich jahrzehntelang um die Schweriner Kinder gekümmert, ihnen bei den Hausaufgaben geholfen und aufgepasst, dass sie keinen Mist bauen. „Das war für uns Migranten super“, sagt Türedi.

Die Familien, die auf Schwerin leben, müssen nun ohne Omma Wilma auskommen. Sie bewerten die Lebensqualität aber immer noch als hoch. 8 von 10 Punkten gibt‘s dafür von den Schwerinern. Das liegt genau im stadtweiten Durchschnitt. „Die meisten, mit denen ich aufgewachsen bin, wohnen heute auch noch hier“, sagt Hanife Türedi. „Und die, die weggehen, kommen fast alle nach einiger Zeit zurück.“

Doch nicht alle Schweriner kennt Hanife Türedi heute. Vor etwa zehn Jahren seien viele „Neue“ nach Schwerin gezogen. „Viele meiner Nachbarn kenne ich nicht mehr, obwohl ich seit über 40 Jahren in der gleichen Straße wohne“, sagt Türedi. „Und viele grüßen auch nicht mehr, wenn man sich sieht.“

Der Neuroder Platz auf Schwerin ist noch immer der Mittelpunkt des Stadtteils.

Der Neuroder Platz auf Schwerin ist noch immer der Mittelpunkt des Stadtteils. © Tobias Weckenbrock

Die 46-Jährige erinnert sich auch ein bisschen mit Wehmut zurück an die Zeiten, in denen man mit den Nachbarn gemeinsam im Garten saß und die Kindergärtnerin von Aleyna (20) und Cemre (12) auch privat kannte. „Wenn ich von der Arbeit aus dem Salon kam, habe ich noch der Nachbarin die Haare eingedreht. Sie hat mir dafür einen Kuchen gebacken, den wir alle gemeinsam gegessen haben.“

Sie alle schätzen nicht nur die „Dorfgemeinschaft“, sondern auch die vielen grünen Ecken des Stadtteils. Vor allem auf der Halde verbringen viele Schweriner ihre Freizeit. So gibt es für die Grünflächen ebenfalls 8 von 10 Punkten. Das liegt zwar etwas unter dem stadtweiten Durchschnitt (9 Punkte), ist aber immer noch top. „Viele Grünflächen verschwinden, weil so viel gebaut wird“, sagt Hanife Türedi. Und die Grünflächen, die noch da seien, seien nicht mehr so gepflegt wie früher.

Die Halde mit der Sonnenuhr ist ein beliebtes Ausflugsziel der Schweriner.

Die Halde mit der Sonnenuhr ist ein beliebtes Ausflugsziel der Schweriner. © Jens Lukas

Bei den vielen Neubauten hat Hanife Türedi noch eine weitere Sorge. „Ich befürchte, dass es irgendwann nicht mehr bezahlbar ist, hier zu wohnen.“ Gerade erst habe sie gehört, dass Wohnungen mit etwa 54 Quadratmetern für über 600 Euro warm vermietet werden. Einfach zu viel für viele Ältere, die schon lange auf Schwerin leben und dort nicht weg wollen. „Das sind ja Mietpreise wie in der Großstadt“, sagt Türedi. Vielleicht ein Grund, warum Schwerin beim Thema Wohnen nur 6 von 10 Punkten bekommt (stadtweites Mittel: 6 Punkte).

Das wurde in der großen Umfrage (noch) gut bewertet

Nahversorgung: Schwerin schneidet mit 9 von 10 Punkten bei der Nahversorgung besser ab als der stadtweite Mittelwert (8 Punkte). „Es gibt hier eigentlich alles, was wir brauchen“, so Türedi. Nur eines, das fehlt auf Schwerin: „Wir hätten so gerne einen Drogeriemarkt. Wenn wir den hätten, müssten wir gar nicht mehr runter in die Stadt.“ Seit der Schlecker-Pleite vor einigen Jahren gibt es kein Drogeriegeschäft mehr. Sonst ist vom großen Edeka-Markt und Lidl über den Optiker und Hörgeräteakustiker, den Getränkemarkt und Bäckereien bis zum Friseur alles vorhanden.

Verkehrsanbindung: Mit 8 von 10 Punkten liegt Schwerin genau im stadtweiten Mittel (8 Punkte). Mit dem Auto ist man schnell in anderen Stadtteilen und umliegenden Städten wie Bochum und Dortmund. Hanife Türedi nutzt allerdings nur den ÖPNV, sie selbst hat keinen Führerschein. „Nach einem schweren Unfall in der Türkei habe ich beschlossen, nicht mehr Auto zu fahren“, sagt die 46-Jährige. Mit den Busverbindungen ist sie sehr zufrieden. „Hier fährt eigentlich alle zehn Minuten etwas“, sagt sie.

Gesundheit: Schwerin schneidet mit 9 von 10 Punkten beim Thema Gesundheit super ab (Mittelwert 8 Punkte). Bis auf einen Hautarzt bietet das große Ärztehaus am Neuroder Platz jede erdenkliche gesundheitliche Versorgung. Auch Apotheken und Hörgeräte-Akustiker sowie Optiker sind vorhanden. Das bestätigt Hanife Türedi. „Die Geschäfte haben auch ausreichend lange geöffnet“, sagt sie.

Das wurde negativ bewertet

Gastronomie: Nur 4,5 von 10 möglichen Punkten vergeben die Schweriner für das gastronomische Angebot in ihrem Stadtteil. Damit liegt Schwerin unter dem stadtweiten Durchschnitt von 6 Punkten. „Wir haben hier auch viele ältere Leute, die noch mobil und aktiv sind. Die würden gerne mittags auch mal draußen essen gehen“, sagt Hanife Türedi. Aber außer der Dönerbude am Schweriner Platz gebe es keine Möglichkeiten dafür. Weder für Ältere, noch für Familien oder Jugendliche gebe es ein kleines Restaurant. Wer auswärts essen will, muss in einen anderen Stadtteil fahren.

Jugendliche: Nur 5 von 10 Punkten gibt es für Angebote für Jugendliche auf Schwerin. Allerdings scheint es damit in der ganzen Stadt nicht weit her zu sein, der städtische Durchschnitt liegt auch nur bei 5 Punkten. „Früher haben sich alle nach der Schule auf dem Marktplatz getroffen“, sagt Hanife Türedi. Das sei aber schon lange nicht mehr so. Das Jugendzentrum Café Frosch laufe unter dem Radar, sei vielen Jugendlichen nicht bekannt. „Meine zwölfjährige Tochter Cemre hat mich gefragt, was das ist. Sie kennt deren Angebote nicht.“ Ein Zeichen, dass das Café Frosch nicht genug auf sich aufmerksam macht?

Sauberkeit: 6 Punkte gibt es für die Sauberkeit im Stadtteil (Durchschnitt 7 Punkte). Hanife Türedi ist mit der Sauberkeit einigermaßen zufrieden, sagt aber auch: „Früher war es noch sauberer auf Schwerin.“ Auch das liege an der Gemeinschaft, die nicht mehr so stark zusammenhalte wie früher. „Früher haben alle mitgeholfen. Wenn es hieß, rund um den Sportplatz wird sauber gemacht, waren alle da.“ Ausreden, nicht zu helfen, gab es nicht. Denn alle wollten etwas für ihren Stadtteil, ihre Heimat tun.

Früher und heute

Als Schwerin noch Siedlung für Bergarbeiter war

Ein Bild aus dem Jahr 1965 von der Cottenburgstraße: In diesen Jahren spielten die vielen Kinder noch allzu gern draußen, hier vor einer schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg stillgelegten Sprengstofffabrik für den Kohlenbergbau.

Ein Bild aus dem Jahr 1965 von der Cottenburgstraße: In diesen Jahren spielten die vielen Kinder noch allzu gern draußen, hier vor einer schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg stillgelegten Sprengstofffabrik für den Kohlenbergbau. © Helmut Orwat

  • Namenspatron der Zeche Graf Schwerin und des Stadtteils ist Graf Kurt Christoph von Schwerin (1684-1757).
  • Mit der Eröffnung der Schachtanlage Graf Schwerin und dem Bau der zugehörigen Arbeitersiedlung zum Ende des 19. Jahrhunderts trennte sich Schwerin von der Gemeinde Rauxel.
  • Der Stadtteil Schwerin erschien erstmals 1948 in den amtlichen Bekanntmachungen als eigener Bezirk.
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